Für Vittorio Hösle ist die mittlere Schaffensperiode des außergewöhnlichen Denkers Friedrich Nietzsches seine philosophisch fruchtbarste, weil er in ihr einerseits schon fast alle seine bedeutenden Einsichten formuliert, freilich noch im Vertrauen auf die Wissenschaft und ohne die späte Aggressivität, andererseits weil er die ihm kongeniale Aphorismenform zur vorher und nachher in der deutschen Philosophie nicht erreichten Vollendung bringt. Aphorismen finden sich in seinen Werken „Menschliches, Allzumenschliches – Ein Buch für freie Geister“ (1878 – 1880), „Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile“ (1881) und „Die fröhliche Wissenschaft“ (1882). Vittorio Hösle erklärt: „Die Aphorismensammlung ist die Gegenform zum System, weil sie pointierte, oft paradoxe Einsichten ausdrückt und sich nicht darum zu kümmern braucht, ob diese einzelnen Einsichten einander folgen oder auch nur konsistent sind.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Vittorio Hösle
Ein freier Wille ist für Paracelsus ein Ding der Unmöglichkeit
Der Naturphilosoph Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, der von 1493 bis 1541 lebte, führte schon im Jahr 1527 an der Basler medizinischen Fakultät Vorlesungen in der deutschen Sprache ein. Paracelsus lehrt in seinem “Buch Paragranum” vier Säulen der Medizin: Philosophie, Astronomie, Alchemie und „proprietas“, so etwas wie eine Ethik der Medizin. Laut Vittorio Hösle sind darin Zukunftsweisendes und nach modernen Kriterien Unwissenschaftliches miteinander verwoben: „Neben der Forderung nach einer Begründung der Medizin durch Chemie Mineralogie findet sich der Gedanke, dass der menschliche Mikrokosmos, also etwa einzelne Organe den Planeten entsprechen.“ Wichtig ist für Paracelsus die Suche nach einem Grund der Medizin und das Streben nach Gewissheit. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Die letzte Form des Geistes ist für Hegel die Philosophie
Die umfassendste Dreieinigkeit des Gedankensystems von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) ist die Einteilung in Logik, Natur und Geist. Die Logik behandelt dabei im wesentlichen Begriffe, die sich selbst anordnen: der Begriff des Seins ist, während der Begriff des Raums, der erste der Naturphilosophie, selbst nicht räumlich ist. Daher nennt Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Natur das Außersichsein der Idee. Doch sie ist auf zunehmende Verinnerlichung angelegt, die in der besonderen Seinsart des Organischen gipfelt, in dem die Teile um des Ganzen willen da sind und in dem schließlich sich so etwas wie Gefühl entwickelt. Vittorio Hösle ergänzt: „Der Geist schließlich entstammt zwar der Natur, transzendiert sie aber zugleich als Rückkehr zur Logik. Damit wird Hegel der doppelten Natur des Menschen gerecht, der einerseits zur realen Welt gehört, andererseits normative Geltungsansprüche erhebt, ohne doch deswegen den Dualismus Kants weiterzuführen. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Hegel war der größte Sytematiker der Philosophiegeschichte
Vittorio Hösle stellt sich die Fragen, was das System des großen Denkers Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) so attraktiv macht, warum es immer wieder Hegelrenaissancen gegeben hat und warum kein bedeutender Philosoph um eine Auseinandersetzung mit ihm herumkommt. Für Vittorio Hösle steht fest: „Man mag Hegel ablehnen; doch wer ihn ignoriert, wird eine bestimmte Ebene des Philosophierens gar nicht in den Blick bekommen, ohne die philosophische Größe nicht zu erringen ist.“ Eine der Antworten, die Vittorio Hösle auf seine eingangs gestellten Fragen gibt, ist, dass Georg Wilhelm Friedrich Hegel der größte Systematiker der Philosophiegeschichte ist. Es gibt keinen anderen Philosophen, der nicht nur alle Disziplinen seines Faches vergleichbar bereichert, sondern diese Disziplinen auch in einen schlüssigen Ordnungszusammenhang gebracht hat. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Jakob Böhme stellt die Frage nach dem Leiden auf der Welt
Für Vittorio Hösle gebührt der Ehrentitel des ersten epochemachenden deutschen Philosophen der Neuzeit Jakob Böhme, der von 1575 bis 1624 lebte. Seinem ersten Werk „Aurora oder Morgenröte im Aufgang“ ging eine lange Phase innerer Gärung voran. Jakob Böhme rühmt sich, nicht aus Büchern gelernt zu haben, sondern aus seinem eigenen Buch, das sich ihm geöffnet hat. Jakob Böhme strebt eine Theosophie an, das heißt eine Erkenntnis Gottes, die ein Verständnis auch der Natur aus Gottes trinitarischem Wesen heraus ermöglichen soll. Laut Vittorio Hösle ist Jakob Böhme sicher kein rationaler Theologe. Statt rigoros zu argumentieren, wendet er sich im Namen des Geistes oft gegen die Vernunft: Vittorio Hösle erklärt: „Seine Begriffswelt vermischt kategorial unterschiedliche Ebenen – metaphysische Prinzipien, naturphilosophische, zumal alchemistische Kategorien, Engel und Teufel; seine zahlreichen Werke sind voller Wiederholungen.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Arthur Schopenhauer verfügte über eine enorme Originalität
Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) ist für Vittorio Hösle einer der größten Stilisten unter den deutschen Philosophen. Wo Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) nur sprachgewaltig ist, ist Arthur Schopenhauer zugleich unübertrefflich klar und elegant. Vittorio Hösle rät jedem, der deutsch zu schreiben wagt, seinen Essay „Über Schriftstellerei und Stil“ zu lesen. Vittorio Hösle fügt hinzu: „Sein phänomenologischer Blick ist durchdringend, die Fülle seiner Interessen ähnlich enzyklopädisch wie bei Hegel, sein architektonisches Talent beim Systembaubeachtlich.“ Die Originalität Arthur Schopenhauers ist enorm. Er ist es, der die seit den Griechen bestehende Logosphilosophie radikal herausgefordert hat, ohne auf die flache und ebenfalls seit der Antike vertraute Alternative des Materialismus zu verfallen. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Gottfried Wilhelm Leibniz war das letzte Universalgenie
Gottfried Wilhelm Leibniz, der von 1646 bis 1716 lebte, ist für Vittorio Hösle nicht nur der am vielseitigsten begabte Deutsche aller Zeiten gewesen, sondern war zugleich auch der letzte Universalgelehrte der Menschheit. Er war umfassend gebildet n der Logik, der Erkenntnistheorie, der Metaphysik, der Religionsphilosophie, der Mathematik, der Natur- und Ingenieurswissenschaften, der Jurisprudenz und der Historiographie. Vittorio Hösle schreibt: „Es gibt kaum einen anderen Menschen, dessen Lektüre so sehr als Gegengift gegen Stolz auf eigene, selbst bedeutende geistige Leistungen zu empfehlen ist, weil der intelligente Leser sehr bald spürt, das Leibniz` Fähigkeit, in allen Feldern einfache, wenn auch manchmal kontraintuitive Lösungen für komplexe Fragen zu finden, unerreichbar ist.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor for Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Immanuel Kant ist am revolutionärsten in seiner Ethik
Immanuel Kant, der von 1724 bis 1804 lebte, publizierte sein erstes epochales philosophisches Werk, die „Kritik der reinen Vernunft“, 1781 im Alter von 57 Jahren. Um seine Ideen auszuarbeiten, brauchte Immanuel Kant also viel Zeit. Er nahm sich die Zeit, die er brauchte, um seine Philosophie neu zu strukturieren und zu begründen. Vorher hatte er nur seine „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral“, 1764 veröffentlicht, einen zweiten Preis der Berliner Akademie der Wissenschaften erhalten. Vittorio Hösle empfiehlt dem Anfänger in der Philosophie dringend das Studium der Schriften Immanuel Kants, zudem diese nicht nur den Scharfsinn schulen, sondern zudem jenen sittlichen Ernst vermitteln, ohne den Philosophie selten mehr ist als das Lösen von Puzzles. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Cusanus war einer der begabtesten Deutschen des Mittelalters
Nikolaus von Kues, der von 1401 bis 1464 lebte, hat vor allem Traktate und Dialoge geschrieben und dazu knapp 300 Predigten verfasst. Für Vittorio Hösle war Nikolaus von Kues der wohl am vielseitigsten begabte Deutsche des Mittelalters. Er war ein philosophischer Theologe, der auf hohem Niveau juristisch, mathematisch und naturwissenschaftlich denken konnte. Cusanus, wie er auch genannt wurde, machte eine glänzende Karriere als Kardinal, Fürstbischof von Brixen und als Berater des Papstes. Nach ihm wird man keinen vergleichbar bedeutenden Intellektuellen in hohen kirchlichen Ämtern mehr finden. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA). Sein neuestes Buch trägt den Titel “Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie und ist im C. H. Beck Verlag erschienen.
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ist der Philosoph der Natur
Vittorio Hösle sagt über Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854), dass man seine Eigenart am treffendsten damit bezeichnet, dass dieser die vielleicht produktivste Phase seines Denkens bereits im Alter von 25 Jahren beendet hatte. Sein letztes wichtiges Buch veröffentlichte er mit 34. Doch noch bis zu seinem Tod hielt er bedeutende Vorlesungen. Dabei erkennt man immer mehr Kontinuitäten in seiner Entwicklung, auch wenn die sprunghafte Veränderung seiner Interessen und der Wandel seiner Positionen, von einem jugendlichen Pantheismus zu einer Form des Christentums, die der traditionellen Christologie eher entgegenkommt, unübersehbar ist. Vittorio Hösle erklärt: „Der Mythos faszinierte schon den Teenager, und die Spätphilosophie will die frühen Systementwürfe nur ergänzen, nicht ersetzen, Freiheit bleibt das Leben lang ein Hauptthema.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Friedrich Nietzsche war der Terrorist unter den Philosophen
Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) ist kein normaler Philosoph. Denn es gibt keinen anderen Denker, der sich weniger um Konsistenz in seinen Aussagen gekümmert, ja, mehr in Widersprüchen verstrickt hat. Mit seinem Werk kann man nahezu alles belegen. Aber nicht nur war Logik nicht seine Stärke, auch das Studium der Tradition, das Vittorio Hösle jedem Philosophen dringend empfiehlt, war bei Friedrich Nietzsche hauptsächlich durch die Sekundärliteratur seiner Zeit vermittelt. Vittorio Hösle erklärt: „Nietzsche ist als Philosoph und als Philosophiehistoriker gleichermaßen ein Dilettant, auch wen sein erst 1878 gefundener einzigartiger Stil von verführerischer Schönheit den Mangel an Argumenten und Evidenzen meist verdeckt.“ Seine Philosophie nicht besser durch den Größenwahn, mit dem er seinen Selbsthass zunehmend kompensierte. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Johann Gottlieb Fichte war einer der größten Denker aller Zeiten
Der deutsche Idealismus ist für Vittorio Hösle die intellektuell anspruchsvollste Philosophie gewesen, die das Land bis zu diesem Zeitpunkt hervorgebracht hat. Zudem gelang es ihm, nahezu alle innovativen Leistungen der früheren deutschen Philosophie in Form eines Systems, der komplexesten Gestalt des philosophischen Denkens, zu integrieren. Vittorio Hösle fügt hinzu: „Die religiöse Motivation der drei Hauptfiguren, die alle Theologie studiert hatten, trug dazu bei, dass eine weltgeschichtlich neue Form philosophischer Religiosität entstand, die das deutsche, zumal protestantische, aber in Ansätzen auch katholische Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts nachhaltig prägte.“ Die drei entscheidenden Denker des deutschen Idealismus waren Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831). Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Der Theologe Meister Eckhart war der erste deutsche Philosoph
Für Vittorio Hösle war Dominikaner Meister Eckhart, der von 1260 bis 1327/28 lebte, aus verschiedenen Gründen der erste deutsche wahrhaftige Philosoph. Unter anderem war der Erste, der eigene philosophische Gedanken in der Volkssprache artikulierte. Manche seine Ideen nehmen auf verblüffende Weise religionsphilosophische Ideen der späteren deutschen Tradition vorweg, die von anderen christlichen Gedankengebäuden gravierend abweichen, wie schon seine Zeitgenossen erkannten. Gegen Ende seines Lebens wurde zuerst in Köln, dann in Avignon ein Inquisitionsprozess gegen Meister Eckhard geführt, der 1329 mit der posthumen Verurteilung von 17 seiner Thesen als häretisch endete. Vittorio Hösle erklärt: „Offenbar sah man Ähnlichkeiten zwischen seiner Lehre und derjenigen der Schwestern und Brüdern des freien Geistes, denen man nachsagte, sich im Namen der Freiheit des Geistes von den Dogmen und Normen der Kirche gelöst zu haben.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).
Die deutschen Philosophie ist ein artifizielles Konstrukt
Vittorio Hösle beschreibt in seinem Buch die Geschichte der deutschen Philosophie vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ihr Sonderweg beginnt mit Meister Eckardt und Nicolaus Cusanus. Gottfried Wilhelm Leibniz und Immanuel Kant und die Fundierung der Geisteswissenschaften sind für Vittorio Hösle die Voraussetzung für die Synthese des Deutschen Idealismus. Arthur Schopenhauer, Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Friedrich Nietzsche lösen anschließend das Christentum und die bisher gültige Vernunftmetaphysik auf. Es folgen im frühen 20. Jahrhundert die Neubegründungen der Philosophie bei Gottlob Frege, bei den Neukantianern und in der Phänomenologie eines Edmund Husserl. Zur Philosophie des Nationalsozialismus zählt der Autor Martin Heidegger, Arnold Gehlen und Carl Schmitt. Georg Gadamer, Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas und Hans Jonas sind für Vittorio Hösle die großen Philosophen der Bundesrepublik. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame in den USA.