Das Absolute ist relativ

Wozu dient Strafrecht? Sogenannte absolute Theorien beantworteten das früher mit Verweisen auf überhistorische, natürliche und religiöse Prinzipien. Dazu zählten Vergeltung, Ausgleich von Schuld und anderes. Thomas Fischer stellt fest: „Solche Theorien halten der Überprüfung nicht stand, weil sie sich auf einer rein begriffsfixierten Ebene bewegen. Sie nehmen die Worte und Begriffe für die Wirklichkeit.“ Denn was zum Beispiel Schuld und was Ausgleich ist, ist ja gerade die Frage. Und diese ist nicht absolut zu beantworten, sondern nur nach Maßgabe der jeweils historisch geltenden Rationalität. Das „Absolute“ in der menschlichen Zivilisation ist, wie die Geschichte lehrt, in jeder Hinsicht relativ. Die Gerechtigkeit durch das Strafrecht muss man daher anders definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Nadav Eyal kennt die Vorboten der Revolte

Die aktuelle Globalisierung schritt schnell voran und der Einfluss globaler Beziehungen auf das Leben der Menschen nahm zu. Gleichzeitig wuchs auch die Opposition dagegen. Nadav Eyal erklärt: „Diese hat viele Gesichter: Anarchisten, Umweltschützer, Marxisten, Populisten und zahlreiche andere. Der härteste und älteste Kern der Revolte ist der Fundamentalismus.“ Manchmal kämpft er gegen die wissenschaftliche Revolution, und stets wettert er gegen die Ideen der Aufklärung und bedauert die Folgen der industriellen Revolution.“ Er schöpft seine Kraft nicht nur aus Ignoranz und Armut. Sondern er bezieht sie auch aus einem stark empfundenen Bedeutungs- und Identitätsverlust, aus der Entfremdung in der globalen Welt. Im Herbst 2008 begann die Weltwirtschaft zusammenzubrechen. Es war ein Kollaps mit lautem Getöse. Nadav Eyal ist einer der bekanntesten Journalisten Israels.

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Ein Verbrechen muss nicht verziehen werden

Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1953 in ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“: „Verstehen ist eine nicht endende Tätigkeit. Durch diese begreifen wir Wirklichkeit. In ständigem Abwandeln und Verändern, begreifen und versöhnen uns mit ihr. Das heißt, durch die wir versuchen, in der Welt zuhause zu sein.“ Manche Menschen versuchen die Bedingungen eines Verbrechens oder einer unmoralischen Handlung nachzuvollziehen. Dadurch bekommen sie wie Svenja Flaßpöhler salopp formuliert, wieder Boden unter ihre Füße. Zuerst schien die Welt gänzlich aus den Fugen geraten zu sein. Jetzt steht ihnen nicht mehr fremd, gar teuflisch gegenüber. Sondern sie ist jetzt der Rationalität zugänglich. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Verstehen heißt, Zusammenhänge herzustellen, Kausalketten zu erkennen.“ Doch, so ergänzt Hannah Arendt, ein solches Verstehen zieht nicht notwendigerweise ein Verzeihen nach sich. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Die Pflicht des Vergebens gilt nicht für das Böse

Die Philosophin Hannah Arendt vertritt die Meinung, verstimmte Verbrechen von der Möglichkeit des Verzeihens auszuschließen: „Zweifellos bildet die Einsicht >Denn sie wissen nicht, was sie tun< den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Während für den französischen Philosophen Jacques Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss: Das Unverzeihliche mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Damit bleibt Arendts Begriff des Verzeihens innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits der Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Menschen können gewalttätig und grausam sein

Auf dem Weg, sich von seinen angeborenen Instinkten zu befreien, ist der Mensch schon lange, jedenfalls lange bevor er Grund hatte, dem Verdacht einer Geringschätzung der Natur ausgesetzt zu sein. Zunächst war seine allmählich wachsende Fähigkeit, sich selbst eine Lebensweise auszuwählen, nicht günstig für die Pflanzen und Tiere, von denen der Mensch sich ernährte. Er pflanzte sie in Reih und Glied, züchtete sie nach seinen Erwartungen und ging mit den Tieren nach seinen Zwecken um. Volker Gerhard erläutert: „Er trennte die Jungtiere von den Müttern, um deren Milch für sich selbst zu nutzen, schor ihnen das Fell, und schlachte sie, nicht nur um ihr Fleisch zu essen, sondern auch, um sie den Göttern zu opfern.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Das Böse lässt sich nur unzureichend erklären

Die meisten Menschen sprechen nicht gerne über das Böse, sie umschreiben und vermeiden den Ausdruck, halten ihn für dunkel und bedrohlich, für vielschichtig, mehrdeutig, unwissenschaftlich und undefinierbar – und sie wissen doch, was damit gemeint ist. Das Böse ängstigt und bedrückt sie, es ist unheimlich, unfassbar und sehr oft unaussprechbar. Es fällt ihnen schwer, das Böse zu benennen, selbst den bloßen Ausdruck nehmen sie kaum in den Mund. Laut Reinhard Haller tun sich viele Menschen schwer, das Böse in ihrem Inneren zu betrachten, böse Absichten als solche kundzutun und das Wort an sich auszusprechen. Man kann seiner Meinung nach den Begriff des Bösen tatsächlich nur schwer beschreiben und nur unzureichend erklären. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

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Reinhard Haller lotet die Abgründe des Bösen aus

Weit über ein Jahr seines Lebens hat sich Reinhard Haller von Mördern ihre Lebensgeschichten erzählen lassen. Es ging ihm darum, die Persönlichkeit der Täter zu beschreiben, ihre Motive zu analysieren und festzustellen, ob sie mit klarem Verstand – das Gesetz spricht dann von bösem Willen – oder krankhafter Absicht gehandelt haben. In seinem neuen Buch „Das Böse“ präsentiert er seine Ergebnisse. Dabei hat er festgestellt, dass die zur bösen Tat führenden Motive, zumindest vordergründig, oft erstaunlich banal waren. Manchmal entwickelt sich das Böse aus einer jahrelangen Konfliktsituation, dann wieder resultiert es aus den sich aufschaukelnden Emotionen eines Streits. Oft entspringt es momentanen Frustrationen, manchmal folgt es einem umfassenden, bis in alle Einzelheiten durchdachten, grauenhaften Plan. Der Psychiater und Psychotherapeut Reinhard Haller arbeitet vornehmlich als Therapeut, Sachverständiger und Vortragender.

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Julia Shaw stellt vier Typologien des Mordes vor

Julia Shaw hat wirklich eine Abneigung gegen Typologien, die versuchen, Menschen, die einen Mord begangen haben, auf der Grundlage der Tatorte, die sie hinterlassen, oder ihrer vermeintlichen unbewussten Motivation zu klassifizieren. Allerdings steht sie auf funktionale Typologien. Und der im Jahr 2007 von Albert Roberts und seinen Forscherkollegen veröffentlichte Aufsatz hält in dieser Hinsicht einer Prüfung stand. In diesem Aufsatz behaupten die Forscher, dass „Homizid kein homogenes Verhalten ist. Menschen, die Tötungsdelikte begehen, unterscheiden sich in puncto Motivation, Umweltfaktoren, Demografie und interpersoneller Dynamik. Verschiede Faktoren komplexer Kombinationen führen Tötungsdelikte herbei.“ Morde, die politisch motiviert sind, fehlen in ihrer Taxonomie. Die Forscher stellten jedoch fest, dass die meisten Morde trotz dieser Komplexität gut in eine Vierer-Typologie passen, die nur auf den wesentlichsten Elementen des Verbrechens basiert. Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.

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Ein guter Richter solle Gnade walten lassen

In ihrer Erörterung der Perspektive nachträglicher Bestrafung hat Martha Nussbaum wiederholt auf die immense Bedeutung des vorausschauenden Denkens verwiesen: „Wenn die Gesellschaften das menschliche Wohl besser schützen würden, gäbe es zwar sicher auch weiterhin Verbrechen, doch es wären insgesamt weniger.“ Bildung, Erwerbstätigkeit und Wohlverhältnisse machen viel aus. Bei der Auseinandersetzung mit der Bestrafung möchte Martha Nussbaum auf eine von den Stoikern hoch geschätzte Haltung zu sprechen kommen. Der griechisch-römischen Auffassung nach ist Gnade oder Milde eine Eigenschaft eines guten Richters, wenn er darüber entscheidet, wie auf Ungerechtigkeiten reagiert werden soll. Seneca definiert sie als „Mäßigung in der Macht zu strafen“. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Julia Shaw begibt sich auf die Spur des Bösen

Die Kriminalpsychologin und Bestsellerautorin Julia Shaw beschreibt in ihrem neuen Buch „Böse“ wie die Menschen jeden Tag das Böse neu erschaffen. Herausgekommen ist dabei eine Studie über Heuchelei und den ganz normalen Wahnsinn, welche die vertrauten Kategorien von Gut und Böse über den Haufen wirft. Julia Shaw sucht und findet das Böse nicht nur in den Gehirnen von Massenmördern, sondern in jedem Menschen. Und sie erläutert mithilfe psychologischer Fallstudien, wie man sich mit seiner dunklen Seite versöhnen kann. Friedrich Nietzsche, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, schrieb 1881: „Böse denken heißt böse machen.“ Das heißt: Nur wenn man etwas das Etikett böse verpasst, nur wenn man denkt, dass etwas böse ist, wird es auch böse. Das Böse, so argumentiert Friedrich Nietzsche, sei eine subjektive Erfahrung, nicht etwas, was einer Person, einem Objekt oder einer Handlung innewohne.

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Man darf sich vom Hass der anderen nicht anstecken lassen

So nachvollziehbar Hass als Reaktion auf ein Verbrechen ist, so hält er leider einen Menschen in einem negativen Zustand gefangen und schwächt seine Seele. Georg Pieper weiß: „Hass führt zu Anspannung und einer eingeengten Sichtweise. Wir dürfen uns vom Hass der anderen nicht anstecken lassen.“ Weder vom Hass der Islamisten noch vom Hass der Rechtspopulisten oder der Rechtsextremisten. Er macht diese Menschen nach der Ansicht von Georg Pieper außerdem viel wichtiger, als sie eigentlich sind. Und wenn man sich dem Hass gegen sie hingibt, begibt man sich auf die gleiche Stufe mit Leuten, die man wegen ihrer Gewalttaten und ihrer Aggression gegen andere Menschen ablehnt und fürchtet. Dadurch verliert man den Kontakt zu seinen eigenen Stärken und schadet sich selbst. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Selbstkontrolle verhindert aggressives Verhalten

Um die sichtbare Aggressivität eines Menschen zu verstehen, reicht es nicht aus, nur auf die treibenden Faktoren zu schauen, sondern ebenso muss man auch die hemmenden Faktoren berücksichtigen, vor allem Angst vor negativen Folgen sowie moralische Einstellungen. Durch sie ist die sichtbare Aggressivität bei den meisten Menschen viel geringer als die inneren Tendenzen. Hans-Peter Nolting erläutert: „Bei einem Teil der hochaggressiven Personen sind solche Hemmungen nur schwach ausgeprägt. Psychopathen haben keine Angst vor negativen Folgen, ebenso wie Despoten, eine positive Einstellung zu Gewalt und aggressiver Machtausübung.“ In anderen Fällen aber sin die Hemmungen des betreffenden Menschen immerhin so gut entwickelt, dass er gewöhnlich unaggressiv, wenn nicht sogar liebenswürdig erscheint. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Deutschland steigt vom Paria zur moralischen Supermacht auf

Deutschland hat nach den Verbrechen und dem totalen Bankrott des Dritten Reiches eine erstaunliche Karriere gemacht. Josef Joffe beschreibt in seinem neuen Buch „Der gute Deutsche“ wie es Deutschland gelang, vom schuldbeladenen Paria zur moralischen Supermacht aufzusteigen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war das Land der Aussätzige der Welt. Heute ist die Zweite Republik das beste Deutschland, das es je gab: liberal, stabil, sozial. Josef Joffe zeichnet die Entwicklung der Bundesrepublik als Bildungsroman, der dem klassischen Dreisprung gehorcht: die Not der Jugendjahre, die Prüfungen der Wanderjahre, Läuterung und Reifung im Erwachsenenalter. Unterwerfung, Besatzung und Zerstückelung prägten die Jahre der Not. Zu den Prüfungen zählen unter anderem die hart umkämpfte Wiederbewaffnung un die Westbindung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer. Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT.

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Zorn in der Ehe rührt oftmals von ungerechtfertigten Geschlechterrollen her

Zorn in vertrauten Beziehungen resultiert häufig aus einer der zahlreichen falschen Wertvorstellungen einer Gesellschaft in Bezug auf Fehlverhalten und die Schwere, mit der es ins Gewicht fällt. Beispielsweise das Streben nach Unabhängigkeit von Kindern und selbst ihre Suche nach bloßem Vergnügen häufig äußerste Missbilligung erfahren. Martha Nussbaum nennt ein weiteres Beispiel: „So verbindet sich auch der Zorn in der Ehe in vielen Fällen mit Annahmen und Erwartungen, die maßgeblich von ungerechtfertigten Geschlechterrollen herrühren; Männer haben namentlich das Streben der Frauen nach Unabhängigkeit und Gleichheit als besonders bedrohlich empfunden.“ Es ist oft schwierig zu trennen zwischen Fällen, in denen Zorn unangebracht ist, weil die betreffende Person gegen eine schlechte gesellschaftliche Norm verstoßen, aber nichts wirklich Falsches getan hat, und Fällen, in denen ein wirkliches Unrecht geschehen ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Eine Wirtschaftskrise wie 2008 darf sich nicht wiederholen

Philipp Blom ist fest davon überzeugt, dass sich eine Wirtschaftskrise wie 2008 nicht wiederholen darf, weder moralisch noch finanziell: „Mit der Bankenrettung verloren demokratische Regierungen ihre Legitimität in den Augen vieler Bürger, die begriffen oder zu begreifen meinten, dass hier eine Seilschaft sich selbst versorgte, während sie zahllose einfache, hart arbeitende Leute in den Abgrund stürzen ließ.“ Diese Krise hat nicht nur finanzielle Reserven nutzlos verbrannt, sondern auch sehr öffentlich und ohne jedes Schamgefühl den Glauben an die fundamentale Gerechtigkeit einer Gesellschaft, die ehrliche Arbeit belohnt und Verbrechen bestraft. Wenn die liberale Demokratie in den Augen so vieler dramatisch versagt und so offensichtlich immer weniger imstande ist, die fundamentalen Versprechen des Gesellschaftsvertrags einzuhalten, dann ist es verständlich, dass sich die Menschen nach Alternativen umsehen, die ihnen eher geeignet erscheinen, ihre Interessen zu wahren, und die auch ihrem Selbstbild besser entsprechen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Manchmal kann das Verlangen nach Rache gerechtfertigt sein

Zwar ermorden nur wenige betrogene Ehepartner wie Medea ihre Kinder, um den Betrüger zu verletzen, doch Schmerz zufügen wollen mit Sicherheit viele. Ihre entsprechenden Anstrengungen haben laut Martha Nussbaum nicht selten schwere Kollateralschäden zur Folge. Auch wenn die Selbstbeherrschung den betrogenen Teil davon abhält zu tun, was er in seiner Wut am liebsten tun würde, so gärt es doch weiter in ihm, und er setzt all seine Hoffnungen darauf, dass es dem betrügenden Teil und seiner neuen Familie irgendwie schlecht ergeht. Und wie oft geschieht es nicht, dass der böse Wille aufs Neue durchbricht – sei es in Gerichtsverfahren, in der subtilen Beeinflussung der Kinder oder einfach nur in der mangelnden Bereitschaft, Männer wieder Vertrauen entgegenzubringen. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Die unverzeihliche Schuld braucht einen Verzicht auf Vergeltung

Es gibt Schulden, die sind schlechterdings nicht abzahlbar. So gewaltig ist ihr Umfang, dass sie nie und nimmer zu begleichen sind. Für viele Ökonomen ist in derartigen Fällen ein Schuldenschnitt die einzig rationale Lösung. Auch moralische Schuld ist mitunter nicht wiedergutzumachen. Weder durch so genannte Reparationszahlungen noch durch Schmerzensgeld oder noch so aufrichtige Bekundungen des Bedauerns. Gerade eine solche im Grunde nie zu begleichende Schuld ist für den französischen Philosophen Jacques Derrida Gegenstand des Verzeihens. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Nur eine unverzeihliche Schuld braucht einen Verzicht auf Vergeltung, weil jede verzeihliche Schuld sich sehr einfach begleichen lässt.“ Nur das Unverzeihbare, so Jacques Derrida wörtlich, „rufe“ nach Verzeihung. Dr. Svenja Flaßpöhler ist seit Dezember 2016 leitende Redakteurin im Ressort Literatur und Geisteswissenschaften beim Sender „Deutschlandradio Kultur“.

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Das Böse ist das Fremde und radikal Andere

Das Böse. Dunkel, geheimnisvoll, furchteinflößend. Als das Unfassbare schlechthin, das menschliches Vertrauen in die Welt erschüttert, reizt es zu Dämonisierungen – und auch zu Projektionen. Das Böse ist das Fremde. Das radikal Andere. Ob Heimtücke, Falschheit oder Hinterlist, ob Missbrauch, Amoklauf oder Terrorismus: Den gesunden Menschenverstand übersteigend verursacht die böse Tat Abscheu, Angst und ein tiefes Schutzbedürfnis. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Das Böse muss bekämpft werden. Überwacht, weggesperrt, ausgeschlossen – gar ausgerottet.“ Aber könnte es nicht sein, dass das Böse gar nicht von außen kommt, verschlagen und verführerisch in Häuser und Herzen drängt – sondern vielmehr uranfänglich in uns selbst lebt? Tatsächlich zeigt sich ja gerade im Schlaf, wie ungeheuerlich die Phantasien eines Menschen sein können. Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Bei einem Trauma wird Todesangst erlebt

Eine Angststörung muss man ganz eindeutig von einer Traumastörung trennen. Georg Pieper erläutert: „Unter Trauma verstehen wir in der Psychologie außergewöhnlich belastende Ereignisse oder Situationen, in denen Todesangst erlebt wird. Entweder ist das eigene Leben direkt in Gefahr oder, wie zum Beispiel bei einer Vergewaltigung, die eigene körperliche Unversehrtheit schwer bedroht.“ Auch als Zeuge eines solchen Ereignisses kann man ein Trauma erleiden. In einer traumatisierten Situation erlebt man außerdem das Gefühl der totalen Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts. Man hat den Eindruck, die Situation nicht mehr handhaben zu können und ihr vollkommen ausgeliefert zu sein. Nicht alle Menschen entwickeln allerdings nach einer traumatisierenden Situation eine posttraumatische Belastungsstörung. Manche kommen mit solchen schweren Erlebnissen erstaunlich gut zurecht. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Kein Mensch möchte als Steppenwolf enden

Ob eine Person tatsächlich die Auffassungen einer Gruppe teilt, ist manchmal zweifelhaft. Denn der sogenannte Gruppenreflex sorgt dafür, dass die eigenen Meinung zurückgehalten oder unterdrückt wird, weil die Gemeinschaft für das Überleben des Einzelnen sehr wichtig ist. Anja Förster und Peter Kreuz stellen klar: „Das Ausleben von Individualität steht dem Einzelnen also nie völlig frei, sondern ist immer mehr oder weniger eingedämmt.“ Ein Mensch neigt schon aus biologischen Gründen dazu, seine Individualität, sein Freiheitsstreben und seine Eigenständigkeit der Gemeinschaft unterzuordnen. Die Furcht als „Steppenwolf“ zu enden, ist einfach zu groß. Wenn ein Gruppenmitglied dennoch in einer bestimmten Frage „Nein“ sagt, dann betrifft dieses „Nein“ auch immer die Erwartungen und die Forderungen der Gruppe. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Alle Menschen können fehlerhafte Detektive sein

Das Gedächtnis eines Menschen arbeitet fast nie ganz zuverlässig. So sehr sich die meisten Menschen wünschen würden, dass die Justiz unfehlbar sei, dass die Polizei immer den tatsächlich Schuldigen fasst, wissen sie doch, dass das in Wahrheit nicht der Fall ist. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Menschen wegen schrecklicher Verbrechen zu Unrecht verurteilt und eingesperrt wurden. Julia Shaw nennt Zahlen: „Im Durchschnitt verbrachten diese Menschen 14 Jahre im Gefängnis, und das wegen eines Verbrechens, dass sie nicht begangen hatten. Fehlerhafte Erinnerung spielte in mindestens 75 Prozent der Fälle eine Rolle.“ Wenn solche Fälle später überprüft werden, wird häufig klar, dass die beteiligten Polizisten alles in ihrer Macht stehende getan haben, um einen Verdächtigen hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Das radikal Böse gehört zur menschlichen Natur

So ist es dem Aufklärer Immanuel Kant zufolge gerade die Freiheit, die einen Menschen zur Moral befähigt. Sich souverän über seine Neigungen erhebend gehorcht der Mensch einzig und allein der Vernunft, die den Grundsatz allen moralischen Handelns in Form des kategorischen Imperativs bereits in sich trägt: „Handle nur nach derjenige Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Nur wer diesem Vernunftbefehl aus reiner Pflicht Folge leistet, handelt moralisch; agiert ein Mensch aus Neigung und folgt dabei zufällig einer verallgemeinerbaren Maxime, hat dies mit moral nichts zu tun. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Dieses Kantische Moralverständnis bringt nun naturgemäß auch einen vollkommen anderen Begriff des Bösen mit sich. Wenn wir nämlich keine Sklaven unserer Natur sind, sind wir notwendigerweise auch frei, uns für das Böse zu entscheiden.“ Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Die Literatur der Spätromantik war düster und sarkastisch

Die frühromantische Aufbruchsstimmung wich in der Spätphase der Romantik einer eher düsteren, sarkastischen und gebrochenen Sicht auf die Verhältnisse. Beispielhaft für diese neue Phase der romantischen Bewegung ist das Werk von E. T. H. Hoffmann(1776 – 1822), das schon bald über Deutschland hinaus beachtet wurde und auf Autoren wie Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe entscheidende Wirkung hatte. E. T. H. Hoffmann führte ein Doppelleben wie so viele seiner Figuren, die sich in verschiedene Ichs aufspalten. Tagsüber arbeitete er in dem ungeliebten Beruf eines Kammergerichtsrats, nachts führte ein sein „eigentliches“ Leben. Seine Begabungen waren weit gespannt und machten es ihm schwer, sich zu entscheiden. Er zeichnete, musizierte und komponierte und schrieb immer wieder über jenen Zwiespalt zwischen „Künstler“ und „Philister“, dem nicht nur er, sondern dem sich auch andere romantische Autoren ausgesetzt fühlten.

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Aggression ist eine Reaktion auf negative Erfahrungen

Wenn man das Verhalten eines Menschen verstehen will, dann sind besonders seine Motive interessant. Das gilt auch für das Thema Aggression. So ist denn das „Tatmotiv“ ein fester Begriff in jedem Krimi und ebenso bei der Klärung und juristischen Bewertung realer Verbrechen. Die Frage nach Motiven betrifft aber nicht nur schwerwiegende Taten, sondern das gesamte Spektrum der Aggression. Auf die Frage, warum sich Menschen aggressiv verhalten, gehen die Antworten überwiegend in eine Richtung. Hans-Peter Nolting erläutert: „Aggressives Verhalten ist eine Reaktion auf negative Erfahrungen. Genannt werden unter anderem: Überforderung, Einengung, Armut, vor allem aber negative Erlebnisse mit anderen Menschen, zu Beispiel egoistisches, abweisendes, verständnisloses Verhalten.“ Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Das Verbot eines Marktes ist ungeschicktes Marktdesing

Alvin E. Roth nennt eine Transaktion abstoßend, wenn einige Menschen diese tätigen wollen, während andere sie davon abhalten wollen. Die Arten abstoßender Transaktionen, die Alvin E. Roth am meisten interessieren, sind diejenigen, bei denen ist nicht leicht ist, genau zu bestimmen, warum einige Menschen an ihnen Anstoß nehmen. Ökonomen sagen, dass Transaktionen „negative Externalitäten“ haben, wenn sie Menschen schaden, die nicht an den Transaktionen beteiligt sind. Dabei ist zu beachten, dass „abstoßend“ nicht das Gleiche ist wie „ekelhaft“. Zudem kann etwas in einer Region als abstoßende empfunden werden, während es in einer anderen ganz in Ordnung ist, und es kann abstoßend für manche Menschen sein, für andere dagegen nicht. Im Jahr 2012 erhielt Alvin E. Roth den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Der Wirtschaftsprofessor lehrt an der Stanford University.

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