Die Demokratie ist nur durch eine prozessuale Definition zu begreifen

Die Globalisierung als chronische Mobilisierung, als Einladung zum Dasein in ständiger Bewegung, erfasst nur einen kleinen Teil der Menschheit, obwohl man den Tourismus als eine Schule des Weltbürgertums im weitesten Sinne auffassen darf. Peter Sloterdijk fügt hinzu: „Darin sind die Deutschen weit fortgeschritten. Für viele Menschen bedeutet das Reisen die Einlösung eines Guthabens an Globalisierungskapital.“ Für die vielen, deren Radius nur wenige Meilen um ihren Wohnort reicht, wie bei zahlreichen Menschen, die Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt haben, ist die kosmopolitische Tendenz furchteinflößend. Sie nehmen an der Res publica, am öffentlichen Raum, und am Weltverkehr fast gar nicht teil. Deshalb hilft es nicht weiter, Wähler populistischer Parteien oder beharrliche Nichtwähler als Idioten – im Gegenteil von Kosmopoliten – zu bezeichnen. Peter Sloterdijk gilt als einer der wirkungsmächtigsten und zugleich heftig umstrittenen Denker Deutschlands.

Die Demokratie könnte sich in eine Diktatur der totalen Transparenz verwandeln

Die Demokratie ist für Peter Sloterdijk nur durch eine prozessuale Definition zu begreifen: „Sie ist ihre eigene permanente Infragestellung – mit der Aussicht darauf, dass schon jetzt genügend Demokratie da ist, um mehr Demokratie wagen zu können. Wo Republik ist – die öffentliche Angelegenheit –, herrscht die Tendenz zur Ausdehnung des öffentlichen Raums.“ Man gerät dabei allerdings leicht in gefährliche Gesellschaft, denn am Ende der Entwicklung könnte die Diktatur der totalen Transparenz stehen, in der die private Sphäre, die politikfrei sein sollte, von der Zudringlichkeit der Politik kolonisiert wird.

Die Metapher der Familie ist laut Peter Sloterdijk außerordentlich dehnbar: „Dass sie am Ende aber die ganze Menschheit einschließen soll, dass alle Brüder und Schwestern sind, das leuchtet dann doch nicht jedem unmittelbar ein. Diejenigen, welche die Grenzen der Familie enger ziehen wollen, fallen heute als Populisten und Neonationalisten auf.“ Der regressive Nationalismus unserer Tage hat aber, was man nicht vergessen darf, eine defensive und immunitäre Funktion. Er wendet sich gegen die Idee, dass es absolute Reisefreiheit für Gefährdungen geben soll.

Der Philosoph leistet den Menschen Beihilfe zum Zweifel

Es gibt heute keine hinreichend starke philosophische Vision der Welt, um das ganze unter einem Dach zu erfassen. Die Philosophie entstand ursprünglich als therapeutische Kosmologie – das heißt, als Versuch, den Menschen in der erweiterten Welt heimisch zu machen. Peter Sloterdijk ergänzt: „Der Philosoph ist heute zum öffentlichen Intellektuellen mutiert. Er kann nicht mehr als Designer des Ganzen auftreten. Wenn`s gut geht, fungiert er als Berater oder Beiträger.“ Der Philosoph kann die Menschen allerdings lehren, was sie am schlechtesten können: Er leistet ihnen Beihilfe zum Zweifel.

Die alte Philosophie war attraktiv, weil sie einen Heilsweg anbot, der aus der scheinbaren Unordnung der alltäglichen Existenz in eine tiefenstrukturelle Ordnung hinüberleitete. So gelangte der philosophierende Mensch zu einer Art Letztversicherung. Peter Sloterdijk erklärt: „Wer die kosmische Partitur studiert, begreift, dass er aus dem ganzen nicht herausfallen kann. Die alltägliche Verlorenheit lässt uns das Gegenteil befürchten. Die primäre dogmatische Philosophie konnte den Menschen gut zureden: Wenn du Angst hast, bist du im Irrtum. Wenn du Einsicht erlangt hast, wirst du ruhig.“ Quelle: Der Spiegel

Von Hans Klumbies