Die Philosophie muss wieder Alltagsfragen beantworten

Für Julian Nida-Rümelin geht es in der Philosophie um Fragen wie: Was ist gerecht?, Wirkt in der Welt eine Vorsehung oder ist alles durch den Zufall bestimmt? Dies sind uralte Fragen, die sich Philosophen zu jeder Zeit neu stellen müssen. Die Philosophie soll sich seiner Meinung nach nicht nur als akademische Disziplin verstehen, sondern einen Beitrag zu rationaler Handlungs- und Weltorientierung leisten. Vorbildlich haben sich Platon und Aristoteles verhalten, die sich zu allen Lebensfragen äußerten. Julian Nida-Rümelin sagt: „Erst in den vergangen 300 Jahren ist das in den Hintergrund gerückt. Und das Vakuum wird heute durch mehr oder weniger seriöse Angebote gefüllt.“

Gewalt und Raub sind durch soziale Ungerechtigkeiten nicht zu rechtfertigen

Zu einer der wichtigsten Fragen und Herausforderung der Gegenwart zählt Julian Nida-Rümelin die globalen Entwicklungen. Er nennt als Beispiel die interessanten Gedanken zu einem neuen Kosmopolitismus, die der afrikanisch-britische Moralphilosoph Kwame Appiah in seinen viel gelesenen Büchern äußert. Zu den Jugendunruhen, die englische Metropolen erschütterten, äußert sich Julian Nida-Rümelin wie folgt: „Ohne Gerechtigkeit kann sich kein Staat auf Dauer stabil und gedeihlich entwickeln. In den letzten 20 Jahren hat sich aber die Auffassung verbreitet, es gehe in erster Linie um Standorteffizienz und günstige Bedingungen für Investoren – Gerechtigkeit schien da hinderlich.“

Zudem konzentrierte sich laut Julian Nida-Rümelin das Vermögen in wenigen Händen, was die Eliten nicht als verwerflich ansahen. Doch nun entrichten die Gesellschaften einen hohen Preis dafür. Als Beispiel für den Wert der Gerechtigkeit nennt er Amerika, in der die Gewaltkriminalität um ein vielfaches höher ist als in Ländern, in denen es gerechter zugeht. Dennoch lassen sich seiner Meinung nach Gewalt und Raub nicht mit sozialer Ungerechtigkeit rechtfertigen. Er zitiert den Philosophen John Rawls, der eine ganze Theorie zu dem Thema entwickelt hat: „Widerstand ist legitim, er darf auch mal Gesetze brechen, aber er muss Humanität wahren und darf die Demokratie als ganze nicht gefährden.“

Julian Nida-Rümelin beobachtet eine Renaissance des politischen Interesses

Obwohl das Vertrauen der Bürger in die Parlamente schwindet und die Wahlbeteiligung ständig sinkt, will Julian Nida-Rümelin sogar eine Renaissance des politischen Interesses ausmachen. Dennoch treten immer weniger Menschen in eine politische Partei ein. Julian Nida-Rümelin erklärt: „Viele Debatten finden im Internet statt – und keinesfalls nur auf Stammtischniveau, wie Kritiker sagen, sondern zum Teil sehr seriös. Das neue Engagement ist oft auf die konkrete Lebenssituation bezogen: Ich bin für Kita-Plätze in meinem Viertel oder gegen Stuttgart 21.“

Eine Gesellschaft braucht laut Julian Nida-Rümelin Persönlichkeiten, die es auch einmal in Kauf nehmen, sich unbeliebt zu machen und nicht ihr Fähnchen ständig nach dem Wind drehen. Seiner Meinung nach kann man dieser klassischen Tugend wieder mehr Geltung verleihen, indem man sich an Platon und Aristoteles hält. Für die griechischen Philosophen waren Besonnenheit, Gerechtigkeit im Umgang miteinander und die Urteilskraft die Voraussetzungen für ein gelingendes Gemeinwesen und für das Glück des Einzelnen.

Kurzbiographie: Julian Nida-Rümelin

Julian Nida-Rümelin hat Philosophie und Politikwissenschaft, Physik und Mathematik in München und Tübingen studiert. Anschließend lehrte er in München, Minneapolis, Tübingen, Brügge, Göttingen, St. Gallen und Berlin. Schon in frühen Jahren trat er in die SPD ein, da für ihn Philosophie und politischer Engagement untrennbar zusammen gehören.

Von 1998 bis 2002 war er Kulturreferent in München. Danach wirkte er knapp zwei Jahre Kulturstaatsminister der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 2009 hat er den Lehrstuhl für Philosophie und Politische Theorie an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München verliehen bekommen. Außerdem ist Julian Nida-Rümelin Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie.

Von Hans Klumbies