Die frühromantische Aufbruchsstimmung wich in der Spätphase der Romantik einer eher düsteren, sarkastischen und gebrochenen Sicht auf die Verhältnisse. Beispielhaft für diese neue Phase der romantischen Bewegung ist das Werk von E. T. H. Hoffmann(1776 – 1822), das schon bald über Deutschland hinaus beachtet wurde und auf Autoren wie Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe entscheidende Wirkung hatte. E. T. H. Hoffmann führte ein Doppelleben wie so viele seiner Figuren, die sich in verschiedene Ichs aufspalten. Tagsüber arbeitete er in dem ungeliebten Beruf eines Kammergerichtsrats, nachts führte ein sein „eigentliches“ Leben. Seine Begabungen waren weit gespannt und machten es ihm schwer, sich zu entscheiden. Er zeichnete, musizierte und komponierte und schrieb immer wieder über jenen Zwiespalt zwischen „Künstler“ und „Philister“, dem nicht nur er, sondern dem sich auch andere romantische Autoren ausgesetzt fühlten.
E. T. H. Hoffmann thematisierte die „Nachtseiten“ der menschlichen Existenz
In seinen „Fantasiestücken“ (1814) und „Nachtstücken“ (1817) thematisierte E. T. H. Hoffmann vor allem die „Nachtseiten“ des Zivilisationsprozesses und stellte das Unheimliche, das Dämonische, den Wahnsinn und das Verbrechen in den Mittelpunkt. Insbesondere sein Roman „Die Elixiere des Teufels“ (1815/16) zeigt, wie fließend die Übergänge zur Schauerromantik waren. In ihrem Interesse für die „Nachtseiten“ der menschlichen Existenz, für das Abgründige, Abseitige, Geheimnisvolle unterschied sich die Schauerromantik von der Aufklärung, die es als ihre Aufgabe angesehen hatte, die Dunkelheit „aufzuklären“ und Licht zu schaffen.
In der Gestalt des Kapellmeisters Kreisler, eine Figur, die im „Kater Murr“ (1820 – 22) ebenso wie in den Erzählungen „Kreisleriana“ (1814 – 16) auftauchte, hat E. T. A. Hoffmann seine eigenen Erfahrungen als Musiker und Schriftsteller verarbeitet. Dabei geht es ihm nicht nur um den Zusammenstoß zwischen der Welt der Künstler und der Bürgerwelt und dessen zerstörerische Wirkungen auf das künstlerische Individuum, sondern auch um die Problematik künstlerischer Produktivität und Existenz an sich.
Zu E. T. H. Hoffmanns berühmtesten Erzählungen gehört „Der Sandmann“
Diese existentielle Gefährdung wird entweder märchenhaft aufgelöst wie in „Der Goldne Topf“ (1814), sie endet in Wahnsinn und Selbstzerstörung wie in den „Kreisleriana“, oder sie führt zum Mord wie in „Das Fräulein von Scuderi“ (1819), wo der Goldschmied Cardillac so sehr an den von ihm verfertigten Schmuckstücken hängt, dass er deren Käufer tötet, um wieder in ihren Besitz zu kommen. Zu E. T. H. Hoffmanns berühmtesten Erzählungen gehört „Der Sandmann“ aus den „Nachtstücken“.
In den „Nachtstücken“ hat er die verdrängten Ängste, Träume, Wünschen und Phantasien des Bürgers gestaltet. E. T. A. Hoffmann war einer der Ersten, der sich für das Unheimliche, Angsterregende, für die sogenannten „Nachtseiten“ des Menschen interessiert hat. Persönlichkeitsspaltung, Identitäts- und Realitätsverlust, Verfolgungswahn und so weiter sind die wiederkehrenden Themen in E. T. A. Hoffmanns Prosa. In gewisser Weise nimmt er mit seinen Krankengeschichten spätere Einsichten der Psychoanalyse vorweg. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler
Von Hans Klumbies