Julia Shaw begibt sich auf die Spur des Bösen

Die Kriminalpsychologin und Bestsellerautorin Julia Shaw beschreibt in ihrem neuen Buch „Böse“ wie die Menschen jeden Tag das Böse neu erschaffen. Herausgekommen ist dabei eine Studie über Heuchelei und den ganz normalen Wahnsinn, welche die vertrauten Kategorien von Gut und Böse über den Haufen wirft. Julia Shaw sucht und findet das Böse nicht nur in den Gehirnen von Massenmördern, sondern in jedem Menschen. Und sie erläutert mithilfe psychologischer Fallstudien, wie man sich mit seiner dunklen Seite versöhnen kann. Friedrich Nietzsche, einer der bedeutendsten deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, schrieb 1881: „Böse denken heißt böse machen.“ Das heißt: Nur wenn man etwas das Etikett böse verpasst, nur wenn man denkt, dass etwas böse ist, wird es auch böse. Das Böse, so argumentiert Friedrich Nietzsche, sei eine subjektive Erfahrung, nicht etwas, was einer Person, einem Objekt oder einer Handlung innewohne.

Ein Mensch sollte nicht durch einen einzigen Akt definiert werden

Julia Shaw hat mit „Böse“ weder ein philosophisches noch ein religiöses Buch geschrieben. Und es geht auch nicht um Moral. Es ist ein Buch, das helfen möchte, zu verstehen, warum ein Mensch einem anderen Entsetzliches antut. Es ist ein Werk voller Experimente und Theorien, dass die Aufmerksamkeit auf die Wissenschaft lenken möchte. Zudem weist Julia Shaw darauf hin, dass die Vielschichtigkeit der menschlichen Erfahrung nicht aufhört, nur weil ein Individuum ein schreckliches Verbrechen begangen hat. Ein Mensch sollte nicht durch einen einzigen Akt definiert werden.

Inmitten der Vielfalt des Tötens gibt es ein Kategorie, welche die Menschen am intensivsten berührt: das Töten von Mitgliedern der eigenen Spezies. Aber sie beschäftigt sie auf seltsame Weise, denn obwohl sie das Töten von Menschen verdammen, fantasieren viele davon. Mordphantasien helfen einem Menschen, immer auf das Schlimmste vorbereitet zu sein und Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, die eigene Lebensqualität zu verbessern, indem man Leute loswird, die zwischen einem und seinem Zielen stehen.

Das Böse existiert nur in den Ängsten der Menschen

Zu sexuellen Übergriffen kommt es laut Julia Shaw zumindest teilweise, weil viele Menschen die Grundeinstellung teilen, die diese Übergriffe als akzeptables, verständliches oder zumindest tolerierbares Verhalten erscheinen lassen. Dabei werden eine Reihe frauenfeindlicher Werte aufrechterhalten, die so üble Wurzeln haben, dass sie nichts als Schaden anrichten können. Jeder, der diese Grundeinstellung teilt, hilft mit, Männer zu sexuellen Raubtieren zu machen.

Julia Shaw ist fest davon überzeugt, dass es keinen Menschen, keine Gruppe, kein Verhalten, keine Sache gibt, die objektiv böse ist. Vielleicht existiert das Böse wirklich nur in den Ängsten der Menschen. Das Böse wird erst in dem Moment erschaffen, in dem ein Mensch es als solches wahrnimmt. Und genauso schnell, wie man das Böse erschaffen kann, verschwindet es auch wieder, wenn man seine Wahrnehmung verändert. Ein Fazit des Buchs lautet: Nur wer versteht, was zu Leid führt, kann damit beginnen, dagegen anzukämpfen.

Böse
Die Psychologie unserer Abgründe
Julia Shaw
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 319 Seiten, Auflage 2: 2018
ISBN: 978-3-446-26029-0, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies