Jean-Paul Sartre fragt nach dem Sein

Bei Jean-Paul Sartre hat das Wort „Transzendenz“ keinerlei Beziehung zum Göttlichen oder Himmlischen mehr. Ger Groot erklärt: „Er will damit nur sagen, dass das „Ich“ mit einer Überschreitung der eigenen Denksphäre zur Welt hin zusammenfällt. Es besteht nur in dieser Dynamik. Es ist nicht eine Identität, die irgendwo als ein Kern im Denken einer Person vorhanden wäre.“ Dächte man das „Ich“ auf diese Weise, dann machte man es zu einem Ding, das sich im Grunde nicht von den Dingen in der Welt unterscheidet. Alle Spannung und Dynamik, aus der das „Ich“ nach Jean-Paul Sartres Ansicht nun gerade besteht, wäre daraus verschwunden. Es wäre sich daher selbst fremd geworden. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Manchmal fächert sich die eigene Identität regelrecht auf

Im neuen Philosophie Magazin 01/2024 geht es im Titelthema um alternative Leben nach dem Motto: „Wer wäre ich, wenn …?“ Viele Möglichkeiten, sich zu entwerfen, bleiben im Laufe eines Lebens unverwirklicht. Die Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt: „Es gibt Momente, in denen sich die eigene Identität regelrecht auffächert.“ Tatsächlich sind Lebensumstände ja nicht einfach wie Kleider, die man einer festen, unveränderbaren Identität überwirft. Lebensumstände haben die Macht, einen Menschen tief zu verändern. Oder noch stärker: Sie haben die die Kraft, einer Person die Möglichkeit eines ganz anderen Ich zu eröffnen. Zunächst einmal kann man das eigene Leben nur vor dem Hintergrund vorstellbarer Alternativen als gestaltbar erfahren. Es stimmt, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann. Und doch gibt es auch Entscheidungen, die sich zurücknehmen oder mindestens überdenken lassen.

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Die Frühromantiker folgten der Idee des freien Ich

In ihrem Buch „Fabelhafte Rebellen“ beschreibt Andrea Wulf eine Gruppe von Frühromantikern, die in Jena lebten und die Idee des freien Ich folgten. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte postulierte: „Der Mensch soll sich selbst bestimmen und nie durch etwas fremdes sich bestimmen lassen.“ Für die etwa zehn Jahre, die der Zirkel dieser Denker ab Mitte der 1790er Jahre in Jena zusammenlebten, entwickelte sich die kleine Stadt an der Saale zum Mittelpunkt der abendländischen Philosophie. Es war zwar nur ein kurzer Augenblick im Zeitenlauf, aber der Moment, der das Denken der Menschen von Grund auf veränderte. Als Autorin wurde Andrea Wulf mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, vor allem für ihren Weltbestseller „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ 2016, der in 27 Sprachen übersetzt wurde.

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Personalität ist ein eingeübtes Rollenspiel

Zwischen Personalität und Individualität besteht ein Unterschied. Personalität ist ein eingeübtes, von Situation zu Situation variables Rollenspiel. Menschen erstreiten damit strategische Vorteile im sozialen Wettbewerb oder erhalten sie aufrecht. Dazu gehört für Markus Gabriel so scheinbar Unproblematisches wie die menschliche Fähigkeit, körperlich unversehrt durch den Alltag zu gelangen. Dennoch ist auch die Alltagswirklichkeit dauernd vom Ausbruch von Gewalt bedroht. Man denke nur an die alltäglichen Einbrüche, Taschendiebe und brutalen U-Bahn-Schubsern. Individualität dagegen ergibt sich aus dem schieren Umstand, dass jeder Mensch unvertretbar er selber ist. Martin Heidegger nannte dies mit einem seiner unzähligen Neologismen auf Neudeutsch „Jemeinigkeit“. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Geburt ist kein absoluter Anfang

Die Geburt ist die absolute Grenze der Wiedererkennbarkeit. Sie ist die Schwelle, auf der das „Ich“ mit einem anderen verschwimmt. Emanuele Coccia erklärt: „Unmöglich zu sagen, ob der Atem, der uns erlaubt, diese Silbe auszusprechen, wirklich uns gehört. Oder ob er die Fortsetzung des Körpers unserer Mutter ist. Unmöglich zu sagen, ob diese Silbe unseren Körper bezeichnet oder den, aus dem wir gekommen sind.“ Die Geburt ist die Kraft, durch welche die Menschen „ich“ nur sagen können, wenn sie alle Erinnerung verleugnen. Sie müssen vergessen, woher sie kommen. Sie müssen den anderen Körper vergessen, der sie solange beherbergt hat, müssen sich von ihm ent-identifizieren. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Der Geist bringt technische Innovationen hervor

Ein Grund für die Hochschätzung der geistigen Leistung kann bereits ihrem Anteil an den technischen Innovationen entnommen werden. Ein prominentes Beispiel für eine echte Erfindung ist bekanntlich das Rad. Für dieses hat es kein Vorbild in der Natur gegeben. Volker Gerhardt erklärt: „Konstruktion und Installation eines Rads verdanken wir allein dem geistigen Einfall eines homo sapiens.“ Ob die Idee aber etwas taugt, zeigt sich nur im folgenden Fall. Ein geschickter homo faber muss in der Lage ist, ein sich drehendes und belastbares Rad zu bauen, das der praktischen Belastung standhält. Für Volker Gerhardt haben homo sapiens und homo faber vieles gemeinsam. Aus den modernen Unterscheidungen zwischen den beiden Typen geht das nicht hervor. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Nietzsche ist von Schopenhauer begeistert

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt Friedrich Nietzsches Name überall in Europa zu erschallen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird er an Popularität mit Arthur Schopenhauer konkurrieren. Dieser zieht schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts die europäische Zivilisation und Konversation in seinen Bann. Ger Groot stellt fest: „Auch Friedrich Nietzsche steht stark unter dem Eindruck Arthur Schopenhauers. Genau zu der Zeit, in der er aufwächst, Mitte des 19. Jahrhunderts, ist Arthur Schopenhauer in aller Munde.“ Friedrich Nietzsche liest ihn als Gymnasiast und ist sofort hellauf begeistert. In mancher Hinsicht wird seine Weltsicht bis ans Ende seiner Schaffenszeit davon gezeichnet bleiben. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Der Gottesglauben dämmert weg

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nabelt sich die philosophische Psychologie von der spekulativen Philosophie ab. Sie entwickelt sich zu einer experimentellen Wissenschaft mit Forschern wie Wilhelm Hundt, William James und Gerard Heymans in Groningen. Ger Groot betont: „Das hat einen prägenden Einfluss auf die Art und Weise, wie die Menschen sich selbst sehen.“ Im Laufe des 19. Jahrhunderts sondert sich das Persönliche und da Religiöse zunehmend voneinander ab. Und die Bedeutung des „einzigartigen Ichs“ wird außerhalb der religiösen Sphäre noch wichtiger und nachhaltiger als in ihr. Das Wegdämmern des Gottesglaubens zehrt nicht am Ich, sondern lässt es erstarken. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Tim Parks reist ins Zentrum des Denkens

Tim Parks reist in seinem neuen Buch „Bin ich mein Gehirn?“ in das menschliche Zentrum des Denkens. Dabei konfrontiert er philosophische und neurowissenschaftliche Theorien mit seinen eigenen Erfahrungen. Die meisten Philosophen gehen davon aus, dass die Erfahrung eines Menschen in seinem Gehirn eingeschlossen ist und die äußere Realität unzuverlässig repräsentiert. Farbe, Geruch, Klang, heißt es, ereignen sich nur im eigenen Kopf. Wenn Neurowissenschaftler das Gehirn untersuchen, finden sie nur Milliarden von Neuronen. Diese tausche elektrische Impulse aus und setzen chemischen Substanzen frei. Die Idee zu seinem Buch entwickelte Tim Parks nach einem zufälligen Gespräch mit Riccardo Manzottis radial neuen Theorie des Bewusstseins. Er erzählt dabei die erstaunliche Geschichte eines Paradigmenwechsels. Tim Parks ist ein britischer Schriftsteller und Übersetzer, der seit 1981 in Italien lebt.

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In der Leistungskultur herrscht der Wettbewerb

Die radikale Verantwortung für das eigene Ich geht mit einer Aufwertung der persönlichen Initiative und folgerichtig einer Leistungskultur einher, in der ein Mensch fortwährend seine inneren Ressourcen mobilisieren muss, um erfolgreich zu sein. Matthew B. Crawford weiß: „Dies zeigt sich zum Beispiel im verschärften Wettbewerb auf dem typisch „bürgerlichen“ Bildungsweg. Auf jeder Stufe, von der Vorschule bis zu den Zulassungstests für Aufbaustudien, findet eine harte soziale Auslese statt.“ Da man von der Annahme ausgeht, die modernen westlichen Gesellschaften funktionieren nach dem Leistungsprinzip, biete also in einem System ohne starre Strukturen faire Aufstiegschancen, ist das Scheitern mit einem schlimmen Stigma verbunden, als es bei einer realistischeren Vorstellung von der Gesellschaft der Fall wäre. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Die große Wahrheit gibt es nicht

Axel Braig entdeckte durch die Lektüre der „Essays“ von Michel de Montaigne, wie hilfreich philosophische Literatur bei der Auseinandersetzung mit den Fragestellungen des eigenen Lebens sein kann. Auf der Suche nach einer alltagstauglichen Philosophie begegnet der Philosoph, Arzt und Musiker Axel Braig in seinem Buch „Über die Sinne des Lebens und ob es sie gibt“ ganz unterschiedlichen Denkern. Dabei setzt er Epikur, Albert Camus, Ludwig Wittgenstein, Emmanuel Lévinas und viele andere in ein Verhältnis zu ganz konkreten Lebensfragen und Lebenslagen. Ohne ein geschlossenes System zu bilden, fügten sich deren Konzepte mit der Zeit für den Autor zu einem zwar lockeren, aber hilfreichen Geflecht. Statt der einen großen Wahrheit baut Axel Braig auf viele Wahrnehmungen. Damit stimmt er in das philosophische „Lob des Polytheismus“ ein, welches der moderne Skeptiker Odo Marquard gesungen hat.

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Bildung sorgt für individuelles Glück

Dass sich Menschen und Gesellschaften durch Bildung verändern lassen, gehört zu den zentralen Mythen moderner Bildungsideologien. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Vielen gilt Bildung als jenes Instrumentarium, mit dem nicht nur die Menschen ihr individuelles Glück finden, sondern mit dem man auch die sozialen, politischen und ökonomischen Probleme unserer Zeit lösen kann.“ Wer einen Menschen aus dem Netz rassistischer oder sexistischer Vorurteile befreien und zum Positiven verändern möchte, empfiehlt, ihn zu bilden. Wer eine Gesellschaft gerechter und friedlicher haben möchte, empfiehlt, damit in der Schule zu beginnen. Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, ob Bildung hält, was man sich hier von ihr verspricht. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Im Antlitz zeigt sich die Unendlichkeit des anderen

Für Sonja Flaßpöhler gibt ein fundamentales erkenntnistheoretisches Problem: „So sehr wir einen anderen Menschen verstehen wollen, bleiben wir doch in unserem Bewusstseinsraum eingeschlossen. Dabei reduzieren wir das Gegenüber auf die Logik des Selben.“ Es war der Philosoph Emmanuel Lévinas, der am deutlichsten auf diese Grenze des Verstehens hingewiesen hat. Nämlich eine Grenze, die sich manifestiert im „Antlitz“ des Anderen: „Das Antlitz entzieht sich dem Besitz, meinem Vermögen. In seiner Epiphanie im Ausdruck, wandelt sich das Sinnliche, das eben noch fassbar war, in vollständigen Widerstand gegen den Zugriff.“ Was sich im Antlitz, so Emmanuel Lévinas, zeigt, ist die Unendlichkeit des anderen. Seine absolute Andersheit, die sich durch keinerlei Kategorien des Verstandes einhegen lässt. Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Friedrich Schiller setzt auf das Erhabene

Ger Groot weiß: „Wie viele Denker seiner Generation, versucht auch Friedrich Schiller, Immanuel Kant weiterzudenken.“ Für den Romantiker, der er ist, ist es bedeutsam, dass er dabei Immanuel Kants Idee des Erhabenen mehr Beachtung schenkt als dem Schönen. Das Schöne ist der klassische Gegenstand der Ästhetik. In seiner Schrift „Über das Erhabene“ schreibt Friedrich Schiller: „Das Überwältigende in der Natur wird das Milieu, in dem der Mensch die Unendlichkeit, in die er sich hineingestellt sieht, erfährt.“ Diese Unendlichkeit übersteigt seine Vernunft und erschüttert ihn zutiefst in seinem Wesen. Sie schleudert den Menschen aus dem begrenzten Horizont seines alltäglichen Lebens heraus. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Werte müssen immer neu verhandelt werden

Viele Menschen glauben, es gäbe ein Allheilmittel für oder eigentlich gegen die Pluralisierung. Isolde Charim erläutert: „Mehr noch als die Leitkultur aber mit dieser eng verwoben ist das neueste Kaninchen aus dem Allheilmittel-Hut, die Werte.“ „Unsere“ Werte. Bisher führte die Bildung das Ranking der Allheilmittel an. Nun sind es die Werte. Wobei diese Diskussion meist unterstellt, diese „unsere“ Werte seien ein fixer Katalog, ein feststehender Kanon – und nicht etwas, das immer wieder neu verhandelt wird und werden muss. Dabei unterschlägt diese Diskussion einen zentralen Wert der Demokratie: die Verhandelbarkeit selbst. Die Möglichkeit also, ebenjene Werte immer wieder zu verhandeln und damit umzuschreiben. Die Debatte um die Werte dreht sich immer um das Akzeptieren der Grundwerte. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Arthur Schopenhauer kennt sein „Ich“

Ich kenne mein „Ich“ durchaus, sagt Arthur Schopenhauer. Wenn er in sein Inneres hineinschaut, sieht er allerdings keine Vernunft. Sondern er erblickt eine Dynamik von Hunger, Begierde und Strebenskraft. Er sieht, dass darin alles zutiefst nach seinem Willen bewegt wird. Viel stärker als die Vernunft, die ihn mit Mühe in Schach zu halten versucht, offenbart sich der Wille als die tiefste Wahrheit des Dings-an-sich. Und das ist das Ich. Ger Groot ergänzt: „Damit offenbart sich auch, was die Wirklichkeit in sich selbst ist.“ Dank des Blicks, den Arthur Schopenhauer in die Realität seines „Ichs“ werfen kann, weiß er nun auch, wie diese Welt-an-sich aussieht. Sein Ich ist schließlich Teil dieser Wirklichkeit. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Der Romantiker sucht die religiöse Wahrheit in der Natur

Ironischerweise fällt die neue Empfindsamkeit für die wüste Natur in der Epoche der Romantik zeitlich mit der besseren Zugänglichkeit der Natur zusammen. Ger Groot erläutert: „Denn gerade in den unwirtlichen Alpen wird die Infrastruktur ausgebaut. Und auch die Entwicklungen in der Klettertechnik machen Fortschritte. Durch das Gebirge werden trittfeste Wege angelegt, wodurch so etwas wie „Tourismus“ möglich wird.“ Und im Jahr 1786 kommt es zur Erstbesteigung des Mont-Blanc-Gipfels. Dieses Jahr markiert den Beginn des alpinen Bergsports. Ihn prägt eine Mischung aus technischem Können und einem tief empfundenen Respekt vor den Wundern der Natur. Diese konnten dank der neuen technischen Möglichkeiten zum Objekt einer „sublimen“ Erfahrung werden. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die moderne Philosophie wendet sich dem Menschen zu

Der englische Dichter Alexander Pope schreibt in seinem großen Lehrgedicht aus dem Jahre 1734 folgende Zeilen: „Erkenne dich selbst, versuche nicht, Gott zu durchschauen. Der wahre Forschungsgegenstand der Menschheit ist der Mensch.“ Laut Ger Groot war es Immanuel Kant, der diese Idee zum ersten Mal philosophisch explizit und richtungsweisend formulierte. Er beginnt seine Studie „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ mit dem Satz: „Alle Fortschritte in der Kultur, wodurch der Mensch seine Schule macht, haben das Ziel, diese erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch für die Welt anzuwenden. Aber der wichtigste Gegenstand in derselben, auf den er jene verwenden kann, ist der Mensch. Weil er sein eigener letzter Zweck ist.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Rolf Dobelli unterscheidet zwischen zwei Ichs

Rolf Dobelli unterscheidet zwischen einem „erlebenden Ich“ und einem „erinnernden Ich“. Das erlebende Ich ist jener Teil des Bewusstseins, der den jeweils aktuellen Augenblick erlebt. Es erlebt nicht nur, was man gerade tut, sondern auch, was man dabei denkt und fühlt. Rolf Dobelli nennt Beispiele: „Es nimmt körperliche Zustände wie Müdigkeit, Zahnschmerzen oder Anspannung wahr.“ Dies alles vermischt sich zu einem einzigen erlebten Moment. Psychologen gehen davon aus, dass ein solcher Moment rund drei Sekunden dauert. Das ist die Dauer, die man als Gegenwart empfindet, kurzum all die erlebten Dinge, die man zu einem „Jetzt“ zusammenfasst. Eine längere Zeitspanne wird bereits als Abfolge verschiedener Momente erlebt. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

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Die verdrängten Wünsche kann nur ein Psychoanalytiker erschließen

Sigmund Freud geht von zwei entscheidenden Trieben des Menschen aus, dem Todestrieb, dessen Ziel sei, Leben zu zerstören, und dem Geschlechtstrieb, dessen Ziel sei, Leben zu erhalten. Wie Sigmund Freud sagt, sind Triebe niemals bewusst. Philipp Hübl erklärt: „Wie viele mentale Ausdrücke führt auch „Trieb“ ein Doppelleben. Die rein funktionale Lesart fasst Trieb also als einen Mechanismus auf, der etwas macht, also bestimmte Wirkungen hat.“ Spricht man von den menschlichen Trieben im Sinne von Wünschen, die intentional sind und sich im Bewusstsein äußern, so sind sie sowohl durch ihren Inhalt als auch durch ihre Form, ihren mentalen Modus, bestimmt. Wie die heutige Forschung teilt auch Sigmund Freud Wünsche und Emotionen in zwei Teile auf. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Das soziale Unbewusste ist ein Teil der Kultur

Viele Überzeugungen eines Menschen liegen in einer weitgehend undefinierten Form vor, die Terry Eagleton als soziales Unbewusstes bezeichnet. Dabei handelt es sich um jenen riesigen Bestand an Instinkten, Vorurteilen, religiösen Einstellungen, Empfindungen, halb ausgeformten Meinungen und spontanen Annahmen, die das Substrat der das Substrat der alltäglichen Verhaltensweisen bilden und die man selten in Frage stellt. Terry Eagleton ergänzt: „Tatsächlich sind einige dieser Annahmen so tief verwurzelt, dass wir sie vermutlich nur in Zweifel ziehen könnten, wenn es zu einer weitreichenden Veränderung unsere Lebensweise käme, die sie uns zum ersten Mal deutlich zu Bewusstsein brächt.“ Dieses soziale Unbewusste ist ein Aspekt dessen, was man unter Kultur versteht. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Das menschliche Leben war von Anfang an ein gesellschaftliches

Das menschliche Leben funktioniert „normativ“. Das heißt: Es ist von Regeln bestimmt, die nicht allein empirisch sind, also nicht nur aus Erfahrung und Bedingungen bestehen, sondern aus selbst gemachten Wertungen und Zumutungen. Thomas Fischer erläutert: „Die Frage, ob man dies in einem reflektierten, absichtsvollen Sinn „will“ oder als richtig, angemessen, rational empfindet, stellt sich in der Wirklichkeit nicht, denn eine Alternative besteht nicht.“ Das menschliche Leben ist von Anfang an ein gesellschaftliches gewesen und daher untrennbar mit Normativität verbunden. Anders als in den theoretischen Modellen des sogenannten „Gesellschaftsvertrags“ beschrieben, entstanden menschliche Gesellschaften nicht als quasi vertragliche Zusammenschlüsse freier und geistig entwickelter Individuen aus rationalen Gründen, sondern immer und ausschließlich als Gemeinschaften, in einer kollektiven evolutionären Entwicklung aufeinander bezogenen bewussten Handelns. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Aggressives Verhalten im 3. Lebensjahr ist keine Verhaltensstörung

Menschen unterscheiden sich erheblich darin, wie häufig, auf welche Weise, aus welchen Motiven und bei welchen Anlässen sie andere Menschen angreifen – kurz: Sie unterscheiden sich in ihrer Aggressivität. Hans-Peter Nolting ergänzt: „Diese Aggressivität ist einerseits eine ganz individuelle Eigenschaft, andererseits ist jeder Einzelne nicht nur eine einzigartige Persönlichkeit, sondern gehört stets auch zu Kategorien wie Geschlecht und Altersgruppe.“ Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich nur mit Zögern bestätigen, dass das Jugendalter der aggressivste Altersabschnitt ist. Knapp formuliert müsste man eher sagen: In der Gewaltstatistik ist das Jugend- und frühe Erwachsenenalter tatsächlich überrepräsentiert, aber die hohe Zahl der Taten geht im Wesentlichen auf das Konto einer Minderheit von Jugendlichen. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Liebe ist die Verantwortung eines Ichs für ein Du

Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Fantasie; und das Gedächtnis selber verwandelt sich, da es aus der Einzelung in die Ganzheit stürzt. Martin Buber ergänzt: „Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selber verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt.“ Alles Mittel ist Hindernis. Nur wo alles Mittel zerfallen ist, geschieht die Begegnung. Dass die unmittelbare Beziehung ein Wirken am Gegenüber einschließt, ist an folgendem offenbar: die Wesenstat der Kunst bestimmt den Vorgang, in dem die Gestalt zum Werk wird. Das Gegenüber erfüllt sich durch die Begegnung, es tritt durch sie in die Welt der Dinge ein, unendlich fortzuwirken, unendlich Es, aber auch unendlich wieder Du zu werden, beglückend und befeuernd. Martin Buber (1878 – 1965) war ein österreichisch-israelischer Religionsphilosoph.

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Die Kindheit prägen intensive Erlebnisse

In den ersten drei Jahren lernt jeder Mansch mehr als im Rest seines Lebens. Manche Eigenschaften sind biologisch festgelegt, manche kann man verändern. Die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren schreibt: „Es gibt kein Alter, in dem alles so irrsinnig intensiv erlebt wird wie in der Kindheit. Wir Großen sollten uns daran erinnern, wie das war.“ Babys werden in der Regel wunderbar umsorgt. Wenn sie schreien, werden sie gefüttert, fühlen sie sich unwohl, werden sie liebevoll gestreichelt und getröstet. Und sonst schlafen sie viel. Andreas Salcher ergänzt: „Sobald wir einigermaßen auf allen vieren krabbeln können, beginnen wir die Welt um uns zu entdecken, zu greifen, zu begreifen, Stufen hinaufzuklettern und wieder herunterzukommen, erste Worte zu brabbeln, mit Sand zu spielen, mit Wasser zu spritzen und vieles mehr.“ Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.

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