Träume sind Themenkreise, die die Vergangenheit in die Gegenwart holen. Tagträume und Phantasien – bei denen der Geist weit abschweift, bilden eine Übergangszone; anschließend nähert man sich den Gedanken des Einschlafens, den Halluzinationen und den Träumen. Tagträume können sich zu jeder Zeit einstellen. Eric Klinger, ein Spezialist für Tagträume, schreibt: „Tagträume erinnern uns immer wieder an unsere aktuellen Angelegenheiten … Bei den Angelegenheiten, auf die sie zurückkommen, handelt es sich meist um jene, die emotional für uns am wichtigsten sind.“ David Gelernter ergänzt: „Tagträume und Träume sind zuerst und vor allem Erinnerungsvorgänge.“ Das Erinnern ist – unter ansonsten gleichen Voraussetzungen – ein Vorgang, der die neuesten, frischesten Erinnerungen stark bevorzugt. Die gleiche Präferenz zeigen auch Tagträume. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Tagträume setzen Entspannung voraus
Für manche Menschen und insbesondere Kinder ist das Denken niemals etwas Natürliches. Kinder halten sich über längere Zeiträume als Erwachsene in den tagtraumreichen Regionen des Geistes auf. Tagträume setzen Entspannung voraus. Zu behaupten, jemand sei „aufmerksam für die Umgebung“ und hänge gleichzeitig Tagträumen nach, ist absurd. Tagträume zeigen unabhängig von der Tageszeit stets, dass sich der Tagträumer zunehmend außerhalb der Kontrolle des bewussten Geistes befindet. Manchmal entschließt sich ein Mensch auch aktiv, einem Tagtraum nachzuhängen.
Oft sind es jedoch die Tagträume, die sich für einen Menschen entscheiden. Jerome Singer ist Experte für das Thema; nach seiner Ansicht stellen sich Tagträume in der Regel ungewollt ein – sie laufen ab, wenn unsere Umgebung still und langweilig wird. Selbst wenn man sich entschließt, sich einem Tagtraum hinzugeben, wobei man häufig ein explizites Thema im Kopf hat, haben Tagträume wie gewöhnliche Träume eine Handlung. Tagräume erzählen Geschichten. Themen von Tagträumen sind häufig Geschichten nach dem Motto „Nur einmal angenommen, dass …“ oder „Ach wäre doch nur …“.
Tagträume sind visuell und haben eine Handlung
Tagträume können traurig sein, und manche Menschen, die aus Prinzip ernsthaft sind, mögen sie nicht. Beispielsweise waren Lehrer nie versessen auf tagträumende Schüler. Tagträume umfangen einen Menschen und beanspruchen ihn ganz; darin ähneln sie den bei geringer Konzentration auftretenden Halluzinationen stärker als dem vernünftigen Denken. Manchmal werden sie aber auch vom bewussten Geist gezielt geplant und gesteuert – darin sind sie anders als Träume, bei denen das Bewusstsein zwar eine wichtige, aber im Wesentlichen verborgene, implizite Rolle spielt.
David Gelernter stellt fest: „Tagträume sind keine Halluzinationen, können ihnen aber nahekommen.“ Unmittelbar vor dem Schlaf trifft man allerdings auf die Grenze zu den Halluzinationen. Natürlich werden Tagträume leicht unterbrochen. Wer ihnen nachhängt, ist schnell wachzurufen; aber Tagträume können auch fesselnd sein. Noch stärker gilt das natürlich für sexuelle Phantasien. Tagträume sind visuell, haben eine Handlung und legen den Tagträumer in Beschlag. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter
Von Hans Klumbies