Gedanken sind in Wahrnehmungen oder Ideen verankert

„Denken“ wird nur selten als Fachterminus oder philosophischer Begriff benutzt. Intuitiv hat er laut David Gelernter aber eine klare Bedeutung: „Wir meinen damit die bewusste, absichtliche Handhabung mentaler Zustände, mit der wir, von den gegebenen Rohmaterialien ausgehend, ein Ziel erreichen wollen. Das Musterbeispiel ist die Vernunft.“ Man geht von bestimmten Voraussetzungen aus und hat ein Ziel. Darauf begibt man sich auf einen logischen Weg, der einen von den Voraussetzungen zum Ziel führt; es ist ein mentaler Weg, ein Gedankenweg. Damit dieser Gedankengang in eine Handlung umgesetzt wird, ist unter Umständen eine weitere Runde des vernünftigen Denkens notwendig. Das it mentale Manipulation, mentales Tun, die Anwendung des Geistes auf die Realität. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Eine Rückbesinnung ist ein Ereignis

Ein Gedanke ist eine Wahrnehmung, eine Erinnerung oder eine originäre Erfindung, ein Produkt der Phantasie – dies bezeichnet David Gelernter als Idee. Natürlich kann man auch etwas wahrnehmen, dass einen überwältigt. Dann macht man sich darüber keine Gedanken mehr, sondern befindet sich in dem gefährlichen Zustand des reinen Seins oder zumindest in einem Zustand, in dem das Gefühl über das Denken dominiert, bis man sich wieder fasst. Oder man hat eine überwältigende Erinnerung beziehungsweise eine überwältigende Idee.

David Gelernter erklärt: „Gedanken sind in Wahrnehmungen, Rückbesinnungen oder Ideen verankert – selbst unangenehme Gefühle oder sogar das pure Erleben können aus diesen Quellen erwachsen.“ Wichtig ist dabei der Unterschied zwischen Rückbesinnungen und Erinnerungen. Eine Rückbesinnung ist ein Ereignis. Eine Erinnerung ist ein Erfahrungsschnipsel oder aber eine Tatsache oder Regel oder sonst etwas, das man gelernt hat und das für die Rückbesinnung zur Verfügung steht. Jeder Gedanke – Wahrnehmung, Rückbesinnung, Idee – ist ein geistiges Ereignis im zeitlichen Ablauf.

Empfindungen und Emotionen sind Arten des Seins

Ein Gedanke muss immer ein Gedanke über etwas sein; er hat eine Intentionalität. Empfindungen und Emotionen dagegen sind keine geistigen Behältnisse, sondern Arten des Seins. Zugleich sind Empfindungen und Emotionen Beispiele für eine Klasse mentaler Phänomene. Genau wie es mehrere Typen von Gedanken gibt, so gibt es auch mehrere Typen von Gefühlen. „Gefühl“ und „Emotion“ sind im richtigen Zusammenhang sogar Synonyme, denn Emotionen haben ihre Grundlage im Körper. Der Philosoph und Psychologe William James schreibt: „Eine von allen körperlichen Gefühlen losgelöste Emotion ist unvorstellbar.“

Reine Emotionen wie Glück und Traurigkeit drücken sich körperlich aus. Wenn man glücklich ist, fühlt sich der eigene Körper ganz anders an, als wenn man traurig ist. Bei Gefühlen gibt es zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen keine klare Trennlinie. Im Zusammenhang mit Sigmund Freuds Erfindung des „Triebes“ schreibt Jonathan Lear, der Begriff stelle „möglicherweise sogar die Vorstellung von einer scharfen Grenze“ zwischen Geist und Körper in Frage. Die tiefe gegenseitige Durchdringung und Verflechtung von Körper und Psyche ist ganz allgemein eine Grundtatsache der Psychologie. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies