Selbstkontrolle verhindert aggressives Verhalten

Um die sichtbare Aggressivität eines Menschen zu verstehen, reicht es nicht aus, nur auf die treibenden Faktoren zu schauen, sondern ebenso muss man auch die hemmenden Faktoren berücksichtigen, vor allem Angst vor negativen Folgen sowie moralische Einstellungen. Durch sie ist die sichtbare Aggressivität bei den meisten Menschen viel geringer als die inneren Tendenzen. Hans-Peter Nolting erläutert: „Bei einem Teil der hochaggressiven Personen sind solche Hemmungen nur schwach ausgeprägt. Psychopathen haben keine Angst vor negativen Folgen, ebenso wie Despoten, eine positive Einstellung zu Gewalt und aggressiver Machtausübung.“ In anderen Fällen aber sin die Hemmungen des betreffenden Menschen immerhin so gut entwickelt, dass er gewöhnlich unaggressiv, wenn nicht sogar liebenswürdig erscheint. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

Straftäter verfügen nur über eine schwache Selbstkontrolle

Diese Menschen leben ihre aggressive Neigung, wie etwa sexuellen Sadismus, ausschließlich in risikolosen Situationen aus. Andere Täter sind so „überkontrolliert“, dass sie jede aggressive Äußerung oder auch nur energisches Auftreten vermeiden und daher selber wiederholt zum leichten Opfer werden – bis sie einmal in einer kritischen Situation „überreagieren“. Des Weiteren gibt es Menschen, die über Monate oder Jahre auf eine einzige Gewalthandlung hinarbeiten, etwa ein Attentat oder einen Amoklauf, und dabei weitgehend zu verbergen wissen, welche Verbrechen sie jeden Tag in ihrer Phantasie verüben.

Hans-Peter Nolting erklärt: „Um aggressives Verhalten zu vermeiden, braucht man häufig ein beachtliches Maß an Selbstkontrolle, und die ist nicht nur eine Frage des Wollens, sondern auch des Könnens. Manchen Menschen möchten sich im Zaume halten, aber ihre Fähigkeit zur Selbststeuerung reicht nicht aus.“ Eine schwache Selbstkontrolle ist nach dem amerikanischen Sozialpsychologen Roy Baumeister eine typische Problematik vieler Straftäter. Sie haben ihre Affekte bei Streitigkeiten weniger unter Kontrolle aus die meisten Menschen.

Das Verhalten eines Menschen ist eine Frage seiner Kompetenzen

Viele Straftäter neigen zudem auch zu ungezügeltem Konsum von Alkohol, Nikotin und Drogen, ebenso zu impulsiven sexuellen Handlungen. Sie verursachen überdurchschnittlich oft Unfälle im Straßenverkehr, gehen unvernünftig und planlos mit Geld um und verlieren schnell wieder einen Job, weil sie nicht pünktlich zur Arbeit erscheinen und bei anstrengenden Aufgaben nicht durchhalten. Gewiss hängt das Verhalten eines Menschen maßgeblich davon ab, was er anstrebt oder was er vermeiden möchte – aber eben auch davon, was er kann oder was er nicht kann.

Aggressives ebenso wie sozial-positives Verhalten ist immer auch zu einem Gutteil eine Frage von Kompetenzen: körperlichen, sprachlichen und kognitiven. Für Prügeleien braucht man Körperkräfte, für Spott und Häme braucht man den passenden Wortschatz, und der Gebrauch von Waffen muss in der Regel eigens trainiert werden. Auf der sozial-positiven Seite kann demgegenüber beispielsweise eine gute Kompetenz in der Kommunikation helfen, eine aufgeheizte Stimmung zu entschärfen oder einen Konflikt friedlich zu regeln. Quelle: „Psychologie der Aggression“ von Hans-Peter Nolting

Von Hans Klumbies