Die Entschleunigung ist für Ralf Konersmann eine Illusion

Stress, Burn-out – fast jeder Mensch weiß, was damit gemeint ist. Vor hundert Jahren sprach man eher von Nervosität schreibt Ralf Konersmann in seinem Buch „Wörterbuch der Unruhe“. Auf die Frage, was sich seit früher verändert hat, antwortet Ralf Konersmann: „Die Nervosität wurde eher als kollektives Schicksal erlebt. Mit Nervosität meinte man eher die Atmosphäre der großen Stadt.“ Das Wort Stress steht mehr für einen Rückzug auf den Einzelnen. Stress wird vor allem als private Herausforderung gesehen, für die jeder seine eigenen Lösungen finden muss. Dieses Denken setzt auch voraus, dass Unruhe als eine Normalität behandelt wird. Die Unruhe der Gegenwart unterscheidet sich allerdings grundlegend von der „inquietas“, wie sie Seneca und andere Stoiker beschreiben. Ralf Konersmann ist Professor für Philosophie an der Universität Kiel.

Weiterlesen

Der Pragmatismus verabscheut Ideologien und Doktrinen

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 06/2017 ist der philosophischen Strömung des Pragmatismus gewidmet. Pragmatiker haben heutzutage bei vielen Menschen nicht einen besonders guten Ruf, da sie ihnen Prinzipienlosigkeit und Ideenarmut unterstellen. Besonders in Deutschland besitzt die aus den USA stammende Denktradition ein zweifelhaftes Image, da sie hierzulande als rein zweckorientiert, theoriefern und marktkonform gilt. Es könnte sein, dass man dem Pragmatismus damit unrecht tut. Denn einst strebten die führenden Pragmatiker wie Charles Sanders Peirce, William James und John Dewey nach nicht mehr und nicht weniger als einer radikalen Erneuerung der Demokratie. Am Anfang des Pragmatismus steht der Gedanke, dass sich Theorien nicht durch logischen Konsistenz oder ihre Übereinstimmung mit dem Wesen der Dinge, sondern an ihren praktischen Folgen bewähren.

Weiterlesen

Der Mensch beherrscht die Erde wie keine ander Spezies

Alles was die Menschen tun und sind, ist in der einen oder anderen Weise das Resultat der evolutionären Prägungen, die sie zu der Spezies gemacht hat, die den Planeten Erde beherrscht wie keine andere. Matthias Horx ergänzt: „Was uns von allen anderen Tierarten unterscheidet, ist die extreme Empfindlichkeit und Hilfsbedürftigkeit unserer Brut. Keine andere Spezies muss einen derart komplexen Aufwand treiben, damit ihre Babys überleben.“ Dazu zählen unter anderem Zuneigung, Ernährung, Schutz, Wärme, Erkennen, Berühren, Wickeln, Spielen, Erziehen, Ermahnen. Zwar gibt es auch im Tierreich Fürsorge – Ratten, Katzen, Hunde lecken und „groomen“ ihre Brut, Vögel bauen Nester, die sie auskleiden und warten geduldig, bis ihre Kinder flügge sind. Aber der Aufwand für den menschlichen Nachwuchs ist so gigantisch, dass er das ganze Leben fordert. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

Weiterlesen

Die Demokratie ist nur durch eine prozessuale Definition zu begreifen

Die Globalisierung als chronische Mobilisierung, als Einladung zum Dasein in ständiger Bewegung, erfasst nur einen kleinen Teil der Menschheit, obwohl man den Tourismus als eine Schule des Weltbürgertums im weitesten Sinne auffassen darf. Peter Sloterdijk fügt hinzu: „Darin sind die Deutschen weit fortgeschritten. Für viele Menschen bedeutet das Reisen die Einlösung eines Guthabens an Globalisierungskapital.“ Für die vielen, deren Radius nur wenige Meilen um ihren Wohnort reicht, wie bei zahlreichen Menschen, die Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt haben, ist die kosmopolitische Tendenz furchteinflößend. Sie nehmen an der Res publica, am öffentlichen Raum, und am Weltverkehr fast gar nicht teil. Deshalb hilft es nicht weiter, Wähler populistischer Parteien oder beharrliche Nichtwähler als Idioten – im Gegenteil von Kosmopoliten – zu bezeichnen. Peter Sloterdijk gilt als einer der wirkungsmächtigsten und zugleich heftig umstrittenen Denker Deutschlands.

Weiterlesen

Anja Förster und Peter Kreuz liefern Zündstoff für Andersdenker

In ihrem neuen Buch „Zündstoff für Andersdenker“ liefern Anja Förster und Peter Kreuz, die zu den profiliertesten Managementvordenker in Deutschland zählen, Zündfunken für Menschen, die ihr Leben verändern möchten. Unter echten Helden stellen sich die Autoren Menschen vor, die mutig und neugierig sind, enge Grenzen nicht akzeptieren, altgediente Standards in Frage stellen und Neues vorantreiben. Sonja Förster und Peter Kreuz schreiben: „Fortschritt, Entwicklung und neues Wissen entstehen, weil es Menschen gibt, die nicht ängstlich vor dem Unbekannten weglaufen, sondern stehen bleiben, genauer hinschauen, experimentieren und Veränderungen vorantreiben. Ohne Abweichung von der Norm ist Fortschritt nicht möglich. Noch nie haben die Angepassten die Welt verändert. Wer jegliches Risiko vermeidet, bewegt überhaupt nichts. Gegen diesen Stillstand wenden sich Anja Förster und Peter Kreuz auch in ihrem neuen Buch.

Weiterlesen

Emotionen sind von der jeweiligen Kultur abhängig

Bereits auf der Ebene der Sprache wird deutlich, wie abhängig die Gefühlswelt von der entsprechenden Kultur ist. Denn das Verständnis eines Menschen von Emotionen und Gefühlen hängt immer auch davon ab, wie er darüber redet. Auch im modernen Geschäftsleben zeigt sich die Kulturabhängigkeit von Emotionen. Ulrich Schnabel nennt ein Beispiel: „So kommt es in global operierenden Firmen immer wieder zu Problemen, weil Emotionen in verschiedenen Kulturkreisen so unterschiedlich interpretiert werden.“ In der Wissenschaft hat es sich eingebürgert, strikt zwischen biologisch geprägten Effekten und kulturell beeinflussten Emotionen oder Gefühlen zu unterscheiden. Ulrich Schnabel kennt die gängigsten Definitionen: „Ein Affekt ist eine (unbewusste) Reaktion des Körpers auf ein äußeres Ereignis, die weitgehend automatisiert und unreflektiert abläuft und nur kurze Zeit dauert; der Affekt wird nicht versprachlicht und unterliegt keiner Bewertung.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen

Friedrich Nietzsche will denkend die Welt umgestalten

Friedrich Nietzsche stellt alles in Frage. Andreas Urs Sommer vertritt in seinem Buch „Nietzsche und die Folgen“ die These, dass ihm im Übergang vom letzten Ernst der ersten Werke zu ausgelassener Heiterkeit in späten Schriften die Lust zu unbedingten Festschreibungen immer mehr abhandenkam. Dennoch scheint er ein Denker zu sein, der zu Vereinseitigungen einlädt. Andreas Urs Sommer arbeitet in seinem Buch heraus, was seinen Lesern heute noch von Friedrich Nietzsches Denken bleibt. Das Buch erschließt, welchen Rollen Friedrich Nietzsche auf so unterschiedlichen Feldern wie der Literatur und der bildenden Kunst oder der Religion und der Politik bis heute spielt. Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Weiterlesen

Wirklich Erfolgreiche können ihr Handy ausschalten

Klaus Biedermann stellt sich die Frage, ob das Phänomen Burn-out vielleicht etwas mit fehlender Sinnhaftigkeit im Leben der Betroffenen zu tun haben könnte oder gar mit dem Verlust von Werten. Jemand, der wirklich tief begeistert ist von dem, was er tut, kann seiner Meinung nach gar nicht ausbrennen, im Gegenteil: „Er bekommt Kraft aus seiner Tätigkeit, auch wenn er zwölf Stunden oder mehr darauf verwendet.“ Aber bei vielen Menschen ist das nicht der Fall. Arbeitsüberlastung, Tempodruck, mangelnde Mitsprache bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse, Mobbing, autoritäre Führungsstile und fehlende Wertschätzung sind Faktoren, die auch in Deutschland den Menschen ein hohes Maß an Belastbarkeit abverlangen. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.

Weiterlesen

Macht steckt in allen Handlungen des Alltags

Die Sozialpsychologen haben des Entstehen von Macht häufig auf der Basis des Paradigmas der „führerlosen Gruppendiskussion“ untersucht: Man bringt eine Gruppe Fremder zusammen und bittet sie, ein Problem gemeinsam zu lösen. Es werden dabei keine Rollen zugewiesen, es gibt also auch weder Führer noch Anweisungen noch Hilfestellungen. Dacher Keltner erklärt: „Während der Entscheidungsfindung erlangen einige der Teilnehmer sehr schnell Macht. Einige Teilnehmer bilden rasch Verhaltensmuster heraus, die Einfluss signalisieren und auch so interpretiert werden.“ Das Gleiche gilt auch für die Interaktion von Kindern. Wie Untersuchungen der „führerlosen Gruppendiskussionen“ zeigen, taucht die Macht immer sehr schnell auf. Die Menschen gewinnen sie als das Ergebnis oft unscheinbarer, alltäglicher Verhaltensweisen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

Weiterlesen

Die Deutschen sind von einer kollektiven Verunsicherung ergriffen

Menschen mit einer anhaltenden Angst, die nicht auf bestimmte Auslöser in der unmittelbaren Umgebung beschränkt und durch deine große Anzahl von Sorgen und Vorahnungen bestimmt ist, leiden an einer generalisierten Angststörung. Georg Pieper vertritt die Ansicht, dass die Deutschen von einer kollektiven Verunsicherung ergriffen sind, die sich über die vergangenen Jahre aufgebaut und im Jahr 2016 ein alarmierend hohes Niveau erreicht hat. Die Ursachen für dieses Unsicherheitsgefühl sind vielfältig. Georg Pieper erklärt: „Ein wichtiger Aspekt aus psychologischer Sicht ist das Gefühl, nicht mehr Herr über das eigene Schicksal zu sein und sich immer weniger als selbstwirksam zu erleben.“ Außerdem leben die Menschen heutzutage in einer globalisierten Welt, in der die wirtschaftlichen Zusammenhänge für viele undurchschaubar geworden sind. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

Weiterlesen

Heute ist Heimat ein Prozess der Selbstfindung

In früheren Zeiten war er Schicksal, der Ort der eigenen Herkunft, der einen prägte, ob man wollte oder nicht – früher ist Heimat einem Menschen zugestoßen. Heute ist sie ein Prozess der Selbstfindung. Weil die Menschen oft den Wohnort oder den Arbeitsplatz wechseln, weil sich viele in radiale Individualisten verwandelt haben. Und natürlich auch, weil die Welt enger zusammengerückt ist, durch die neuen Völkerwanderungen, den Tourismus, das World Wide Web, weil auch das kleinste Dorf heute globalisiert ist. Lokalzeitungen brachten den Menschen einst ihre Heimat nahe, weshalb sich manche gleich Heimatzeitungen nannten. Der Essayist Christian Schüle schreibt in seinem neuen Buch „Heimat – Ein Phantomschmerz“: „Heute über Heimat zu sprechen heißt vor allem, über ihren Verlust zu reden.“ Das Verschwinden der Heimat ist für ihn ein Problem mit zwei Seiten.

Weiterlesen

Künstliche Intelligenz hat nichts mit Science Fiction zu tun

Die Künstliche Intelligenz, abgekürzt KI, wird die vierte industrielle Revolution erheblich beschleunigen. Maschinen werden sich in nicht ferner Zukunft erinnern können, sie werden Muster erkennen und „vernünftig“ reagieren. Als vierte industrielle Revolution, auch Industrie 4.0 genannt, bezeichnet man die digitale Vernetzung der Produktion und ganzer Wertschöpfungsketten vom Rohstofflieferanten über Zwischenverarbeiter bis zum Verbraucher. Der gesamte Prozess wird digital begleitet und optimiert. Davon gibt es einiges schon heute: Die Rückverfolgbarkeit von Produkten bis zum Lieferanten gibt eine Ahnung davon. Künftig soll aber jedes Produkt seine eigene Identität in einem Chip mit sich tragen. Dieser Chip enthält alle produktrelevanten Daten des Werkstücks, von seiner Herkunft über seine Bearbeitung bis zu seinem Endeinsatz und eventuell seiner Wiederverwertung. Als Gegenstück werden auch alle Anlagen der industriellen Produktion ihre Produktionsdaten über auslesbare Chips preisgeben.

Weiterlesen

Das Kerngeschäft bei Google bildet das Suchen im Internet

Wissen ist ein öffentliches Gut, das häufig durch private Mächte bereitgestellt wird. Das ist, für sich genommen, nichts Neues. Neu dagegen ist die schiere Größe, die globale Reichweite und die kleine Zahl der dominanten privaten Mächte, die diese Funktion innehaben und dabei „öffentliche Räume in Privatbesitz“ erschaffen. Timothy Garton Ash stellt fest: „In vielen westlichen Sprachen rufen die meisten Leute auf der Suche nach Wissen über eine Google-Suche einen Wikipedia-Artikel auf.“ Über die Jahre hinweg ist Google zu einem derart großen profitorientierten Unternehmen mit so vielen Produkten und futuristischen Forschungsabteilungen herangewachsen, dass sich der Gesamtkonzern im Jahr 2015 einen neuen Namen verpasste – Alphabet. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

Weiterlesen

Der Homo Deus könnte das Ende des Homo sapiens bedeuten

In seinem neuen Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ entwirft Yuval Noah Harari ein düsteres Bild des 21. Jahrhunderts, in dem gerade die idealisierten Träume zur technologischen Optimierung der Gesellschaft, an denen in Silicon Valley gearbeitet wird, schließlich zur Erschaffung eines neuen „Übermenschen“ und zum möglichen Ende des Homo sapiens führen. Außerdem behauptet der Autor, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger. Er nennt ein Beispiel: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Weiterlesen

Die Menschen sind lediglich Teil der Natur

Als das Werk „Über die Entstehung der Arten“ von Charles Darwin (1809 – 1882) im Jahr 1859 veröffentlicht wurde, sorgte es nicht nur in England für großen Wirbel. Fortan war es nicht mehr möglich, die Menschen völlig losgelöst vom übrigen Tierreich zu betrachten. Nigel Warburton erklärt: „Die Menschen waren nicht mehr etwas Besonderes, sondern lediglich Teil der Natur, wie jedes Tier. Vielleicht erscheint uns das heute nicht mehr überraschend, aber für die meisten Zeitgenossen des Viktorianischen Zeitalters war diese Theorie ein Skandal.“ Heute fällt es einem Menschen leicht, seine Ähnlichkeit mit den Affen zu erkennen. Dazu braucht er lediglich ein paar Minuten in der Gesellschaft eines Schimpansen oder Gorillas verbringen. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

Weiterlesen

Zum Glück gibt es immer Alternativen

Als geistiger Baumeister der Welt hat der Psychologe William James schon vor mehr als hundert Jahren das Bewusstsein beschrieben: „Mein Erleben ist das, worauf ich mich entschieden habe, meine Aufmerksamkeit zu richten.“ Es ist also eine Frage des Blickwinkels: Für den einen ist das Glas halb voll, für den anderen halb leer. Offensichtlich sind es nicht die sogenannten Tatsachen, die die Welt regieren, sondern die innere Reaktion eines Menschen auf sie. Reinhard K. Sprenger ergänzt: „Es ist nicht der äußere Rahmen, sondern die Art des inneren Erlebens, die Einstellung, die die Erfahrung bestimmt. Uns bleibt immer ein Spielraum in der Interpretation des Vorgefundenen. Da gibt es immer Alternativen.“ Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

Weiterlesen

Es lohnt sich über Gott und die Welt nachzudenken

Das Thema der 20. Auflage des Philosophicum Lech hieß „Über Gott und die Welt“. Das Thema ist nicht so beliebig wie es auf den ersten Blick aussieht, denn dahinter verbergen sich die entscheidenden Fragen des Menschen, jene Fragen, mit denen sich auch die Philosophie seit gut 2.500 Jahren beschäftigt. Aber gerade in extrem unruhiger und unsicherer Zeit wie der heutigen lohnt es sich unbedingt über Gott und die Welt nachzudenken. Der österreichische Philosophieprofessor und wissenschaftliche Leiter des Philosophicum Lech Konrad Paul Liessmann schreibt: „Über Gott und die Welt zu reden könnte als anarchische Gesprächsform gewertet werden, die quer steht zu den Ansprüchen, die an eine zeitgemäße Kommunikationskompetenz gerichtet werden.“ Wer über Gott und die Welt spricht, nimmt sich zudem die Freiheit, auch einmal über jene großen Fragen zu sprechen, deren Erörterung entweder als wenig zielführend oder als unpassend empfunden wird.

Weiterlesen

Durch Offenheit entwickeln sich Beziehungen weiter

Ereignisse, die das Leben entscheidend verändern, sind für Judith Glück die wichtigsten Katalysatoren für die Entwicklung von Weisheit, weil sie das Potential haben, die persönliche Sicht auf das Leben, auf das eigenen Selbst und andere Menschen zu verändern. Weisheit kann sich aber nur dann entwickeln, wenn Menschen auch bereit sind, sich verändern zu lassen. Judith Glück erklärt: „Wenn sie also neuen Erfahrungen nicht mit einer vorgefassten Sichtweise begegnen, die sie nach Möglichkeit beibehalten wollen, sondern willens sind, sich überraschen oder beeindrucken zu lassen.“ Weise Menschen haben sich somit bis zu einem gewissen Grad die kindliche Fähigkeit des Staunens, des Wahrnehmens ohne sofortige Einordnung erhalten. Zudem weisen weise Menschen Verantwortung nicht so schnell von sich. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Weiterlesen

Viele Menschen ziehen sich in kleine soziale Welten zurück

Wissenschaftler und öffentliche Medien berichten in jüngerer Zeit über eine offensichtlich zunehmende Tendenz in der Bevölkerung, sich von der heutigen Gesellschaft ganz bewusst abzuwenden und stattdessen in Heil in „kleinen sozialen Welten“ zu suchen. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Die freiwillige Selbstabschließung, der entschlossene Rückzug in eine übersichtliche Lebenswelt gehört zu den typischen Antworten auf die allerorts spürbaren Verunsicherungen, mit denen Menschen ihre Selbstsicherheiten zurückgewinnen möchten.“ Die Orte und Strategien, die Menschen wählen, und die persönlichen und materiellen Hintergründe, die sie zum Rückzug in eine vom Rest der Gesellschaft abgeschirmte Welt veranlassen, können sehr unterschiedlich sein. Ein Beispiel ist die vom Schweizer Bestsellerautor Rolf Dobelli empfohlene „Nachrichtendiät“, also die Weigerung, sich überhaupt noch mit politischen und sozialen Geschehnissen auseinanderzusetzen. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

Weiterlesen

Europa eroberte die Welt durch das Schießpulver

Philip T. Hoffman enthüllt in seinem neuen Buch „Wie Europa die Welt eroberte“ die verblüffenden Gründe für Europas Vorherrschaft auf der Welt. Die Weltmacht der europäischen Staaten eroberten zwischen 1492 und 1914 rund 84 Prozent des Weltterritoriums. Dazu trug ein unverwechselbarer Entwicklungspfad bei, der auf militärischen Auseinandersetzungen aufbaute. Jahrhundertelang gaben die Staaten Europas riesige Geldsummen für militärischen Innovationen aus. Der Vorsprung Europas in der Verwendung des Schießpulvers sicherte beispielsweise die Kolonialreiche und den einträglichen Sklavenhandel. Die Herrscher des europäischen Kontinents führten ständig Kriege gegeneinander, die sich auf das Leben der Menschen in der ganzen Welt auswirkten. Philip T. Hoffman ergänzt: „Der Erfolg, der den Herrschern in diesem grausamen Wettbewerb winkte, waren finanzieller oder territorialer Zugewinn, die Verteidigung des eigenen Glaubens oder schlicht der Ruhm des Siegs.“ Philip T. Hoffman ist Professor für Wirtschaft und Geschichte am California Institute of Technology.

Weiterlesen

Johann Wolfgang von Goethe arbeitete über 50 Jahre am „Faust“

Als Krönung, nicht nur des Altersschaffens, sondern des Werks insgesamt, gilt die Faust-Dichtung, an der Johann Wolfgang von Goethe über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren als seinem „Hauptgeschäft“ gearbeitet hat. Noch vor 1775 schrieb der Schriftsteller einzelne Szenen nieder, die aber erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden und als „Urfaust“ bekannt geworden sind. Während seiner italienischen Reise (1786 – 88) arbeitete er erneut am „Faust“ und veröffentlichte 1790 „Faust, ein Fragment“. Um die Jahrhundertwende nahm er, inspiriert von Friedrich Schiller, die Arbeit am Faust-Thema wieder auf und veröffentlichte 1808 „Faust, der Tragödie erster Teil“. Dass für ihn das Thema keineswegs abgeschlossen war, macht nicht nur der Untertitel „erster Teil“ deutlich, sondern auch die Tatsache, dass Johann Wolfgang von Goethe sich damals bereits mit dem Helena-Akt beschäftigte.

Weiterlesen

Im Traum nähert man sich dem Zustand des reinen Seins an

Jede Nacht erlebt man in Träumen so intensive Empfindungen oder Gefühle, dass sie den Geist beinahe vollständig ausfüllen und wenig oder keinen Raum für Selbstwahrnehmung, Reflexion oder die Bildung von Erinnerungen lassen. Es gibt viele Formen der Halluzinationen. Manche sind Symptome psychischer Erkrankungen. Wenn Menschen halluzinieren, rufen sie nicht einfach nur eine Erinnerung ab, sondern sie durchleben sie noch einmal. David Gelernter fügt hinzu: „Wir betrachten das Erlebnis nicht nur von außen, sondern treten noch einmal in es ein. Eine halluzinierte Erinnerung ist mitreißender, umfassender und aufmerksamkeitserregender als eine gewöhnliche Erinnerung.“ In der Regel überwältigt die Halluzination den Halluzinierenden. In der Regel lässt man sich in Halluzinationen hineinziehen. Halluzinieren ist in der Regel gleichbedeutend mit Träumen. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Weiterlesen

Der Mensch hat einen besonderen Bezug zum Sein

Für den Philosophen Martin Heidegger zeichnet sich der Mensch durch einen besonderen Bezug zum Sein aus. Er steht im Sein, er kann sagen, was ist, und er kann mithilfe von Technik etwas aus der Verborgenheit ans Licht der Welt bringen. Thomas Damberger erklärt: „Um zu verstehen, war Martin Heidegger meint, macht es Sinn, eine Pflanze anzuschauen. Steckt man ein Samenkorn in die feuchte Erde, wird daraus mit etwas Glück eine Pflanze erwachsen. Die Pflanze kommt also aus sich heraus zu sich selbst, sie entbirgt sich.“ Bei einem Stuhl ist das zum Beispiel anders. Der Stuhl wächst nicht am Baum, sondern wird von einem Handwerker hergestellt. Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Weiterlesen

Das Deutsch Reich betrieb eine Politik der Täuschung

Die seit 1934 forcierte Aufrüstungspolitik des Dritten Reichs trug das Risiko in sich, dass die Westmächte, vor allem Frankreich, auf diesen Bruch des Versailler Vertrags mit Druck, womöglich mit dem Einmarsch in Deutschland reagierten. Das hätte vermutlich auch das Ende des nationalsozialistischen Regimes bedeutet. Ulrich Herbert ergänzt: „Deshalb begann Adolf Hitler mit einer nach Osten wie nach Westen gerichteten Beschwichtigungspolitik und der unablässigen Bekundung seines Friedenswillens und war sogar bereit, eine Ausgleich mit Polen zu finden.“ Zugleich verließ Deutschland jedoch die Genfer Abrüstungsverhandlungen und den Völkerbund, um gegen den Versuch der Rüstungskontrolle zu protestieren. Um diesen Schritt zu legitimieren, wurden erneut „Neuwahlen“ ausgeschrieben und mit einem Volksentscheid über die Politik der Reichsregierung verbunden. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Weiterlesen

Wolfgang von Goethe hat sein Leben als exemplarisch verstanden

Die große beherrschende Figur des literarischen Lebens im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ist Johann Wolfgang von Goethe. Nach Friedrich Schillers Tod (1805), dem Selbstmord Heinrich von Kleists (1811) und dem Rückzug Friedrich Hölderlins (1807) gelang es keinem anderen Autor, eine vergleichbar starke Stellung im Bewusstsein des Publikums, zu erobern. Dies gilt auch für Jean Paul, der von den Schriftstellern der Vormärz-Zeit im Nachhinein zwar als Gegenspieler Johann Wolfgang von Goethes gesehen wurde, der aber mit seiner resignativen Wende nach 1804 keinen Gegenpol zu dem universal ausgerichteten Johann Wolfgang von Goethe bilden konnte. Auch E. T. A. Hoffmann und Joseph von Eichendorff waren von ihrem Temperament und von ihrem Anspruch her einseitiger als Johann Wolfgang von Goethe, in seiner unvollendet gebliebenen Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ sein eigenes Leben als exemplarisch verstanden und sich selbst als historisch-repräsentative Persönlichkeit entworfen hatte.

Weiterlesen