Philip T. Hoffman enthüllt in seinem neuen Buch „Wie Europa die Welt eroberte“ die verblüffenden Gründe für Europas Vorherrschaft auf der Welt. Die Weltmacht der europäischen Staaten eroberten zwischen 1492 und 1914 rund 84 Prozent des Weltterritoriums. Dazu trug ein unverwechselbarer Entwicklungspfad bei, der auf militärischen Auseinandersetzungen aufbaute. Jahrhundertelang gaben die Staaten Europas riesige Geldsummen für militärischen Innovationen aus. Der Vorsprung Europas in der Verwendung des Schießpulvers sicherte beispielsweise die Kolonialreiche und den einträglichen Sklavenhandel. Die Herrscher des europäischen Kontinents führten ständig Kriege gegeneinander, die sich auf das Leben der Menschen in der ganzen Welt auswirkten. Philip T. Hoffman ergänzt: „Der Erfolg, der den Herrschern in diesem grausamen Wettbewerb winkte, waren finanzieller oder territorialer Zugewinn, die Verteidigung des eigenen Glaubens oder schlicht der Ruhm des Siegs.“ Philip T. Hoffman ist Professor für Wirtschaft und Geschichte am California Institute of Technology.
Die Herrscher in Europa investierten gigantische Summen ins Militär
Die politischen Bedingungen in Europa machten es möglich, gigantische Summen für Armeen und Flotten zu mobilisieren. Wenn man betrachtet, wofür die westeuropäischen Staaten in der Frühen Neuzeit Steuern erhoben beziehungsweise sich Geld liehen, so scheint der Krieg tatsächlich ihr einziger Zweck gewesen zu sein. Ludwig XIV. zum Beispiel investierte 40 bis 80 Prozent der öffentlichen Einnahmen ins Militär und finanzierte damit das Heer und die Kriegsflotte, die sich beide fast ohne Unterbrechung im Gefechtszustand befanden.
Auch in einem weiteren Punkt unterschied sich Westeuropa vom Rest der Welt. Auf diesem Kontinent zogen Privatunternehmer ihren Nutzen daraus, dass man allerorten mit der Schießpulvertechnologie vertraut war, und sie nutzten diesen Umstand für privat organisierte Handelsexpeditionen, für Entdeckungsfahrten und Eroberungen. Dabei gab es kaum rechtliche oder politische Hindernisse. Daneben fanden die Unternehmer für ihre Aktivitäten leicht Mäzene oder geeignete Partner.
Im Jahr 1815 endete der unaufhörliche Kriegszustand in Europa und die europäischen Mächte verlagerten ihre militärischen Anstrengungen auf den Rest der Welt. Mit ihrer immensen militärischen Macht, den Fortschritten in der Medizin und dem Schmieden von Allianzen, war es für die Europäer auf einmal wesentlich einfacher, ferne Länder zu erobern, und so vergrößerten sie ihre Gebiete in Afrika, Australien und Asien. Zudem wurde die Schießpulvertechnologie im Laufe des 19. Jahrhunderts immer effektiver, und die militärische Kluft zwischen denen, die über die neuesten Waffen- und Versorgungssysteme verfügten, und denjenigen, die hinterherhinkten, vergrößerte sich zusehends.
Ohne den Kolonialismus fiel Westeuropa im Rennen um die besten Innovationen in der Militärtechnologie immer weiter zurück. Philip T. Hofmann erklärt: „Seit dem Zweiten Weltkrieg dominierten zwei andere Militärmächte die Welt, die USA und die UdSSR, und beide versuchten in einem neue bewaffneten Frieden, dem Kalten Krieg, einander auszuspielen.“ Die meisten westeuropäischen Staaten mit diesen beiden Weltmächten unmöglich aufnehmen und saßen deshalb das Wettrüsten des Kalten Kriegs schlichtweg aus.
Wie Europa die Welt eroberte
Philip T. Hoffman
Verlag: Theiss
Gebundene Ausgabe: 336 Seiten, Auflage: 2017
ISBN: 978-3-8062-3476-3, 24,95 Euro
Von Hans Klumbies