Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) beschwören das Schreckgespenst einer noch größeren Zunahme von Marktmacht herauf. Denn Unternehmen wie Amazon, Google und Facebook können riesige Datenmengen über jeden einzelnen User zusammentragen. Joseph Stiglitz stellt fest: „Die Befürworter von Big Data behaupten, mithilfe dieses Ansatzes ließen sich Produkte entwerfen, die besser auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten seien. Es besteht auch die Hoffnung, dass die bereitgestellten Informationen langfristig eine maßgeschneiderte medizinische Versorgung ermöglichen werden.“ Die Suchmaschinenbetreiber erklären, die Daten erlaubten ihnen zielgerichtetere Werbung, sodass Verbraucher eher für sie nützliche Informationen erhielten. Dies sind die positiven Möglichkeiten von Big Data. Aber die marktbeherrschenden Unternehmen können diese Daten mithilfe von KI auch in einer Weise nutzen, die ihre Marktmacht und ihre Gewinne auf Kosten von Verbrauchern erhöht. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.
Algorithmus
Dem Menschen ist seine Autonomie sehr wichtig
Die Freiheit wird auch heute noch immer hochgeschätzt. Immanuel Kant schrieb einst, dass man von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch machen sollte. Aber um welche Freiheit geht es? Der amerikanische Informatiker und Künstler Jaron Lanier vergleicht moderne Menschen mit Wölfen. Wie kann das sein? Rebekka Reinhard antwortet: „Eigentlich ist der moderne, aus dem soliden Umfeld der Tradition gerissene Mensch doch ein unvergleichliches Individuum, eine Singularität. Dieser Mensch möchte kein skinnerisches Versuchstier sein. Autonomie ist ihm sehr wichtig.“ Die Computer-Logik dagegen übersetzt Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit und kennt nur zwei Zustände: Entweder – Oder. So blitzschnell, dass sie wie aus Versehen ein Gleichheitszeichen zwischen „subjektiv“ und „objektiv“ setzt. Die Philosophin Rebekka Reinhard war, bis zur Einstellung der Zeitschrift, stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.
Algorithmen benötigen eine stabile Welt
Beim Online-Dating hat zwar jede Person ein Profil, aber das Profil ist nicht die Person. Gerd Gigerenzer weiß: „Die Menschen neigen dazu, ihre Profile zu schönen. Und selbst wenn sie gewissenhaft zu Werke gehen, wird das Profil nicht der Vielschichtigkeit eines Menschen gerecht.“ Allgemeiner kommt diese Erkenntnis im „Prinzip der stabilen Welt“ zum Ausdruck. Komplexe Algorithmen arbeiten am zuverlässigsten in wohldefinierten, stabilen Situationen, in denen große Datenmengen zur Verfügung stehen. Die menschliche Intelligenz dagegen hat sich entwickelt, um Ungewissheit zu bewältigen, unabhängig davon, ob Big oder Small Data vorliegen. Die Regeln von Schach oder Go sind wohldefiniert und insofern stabil, als sie heute und morgen gelten. Gerd Gigerenzer ist ein weltweit renommierter Psychologe. Das Gottlieb Duttweiler Institut hat Gigerenzer als einen der hundert einflussreichsten Denker der Welt bezeichnet.
Der Funktionalismus hat unzählige Schwächen
Die Stärke des Funktionalismus, die sich technisch bezahlbar macht, besteht darin, das Denken nicht an bestimmte interne Vorgänge im Lebewesen zu binden. Es spielt demnach keine wesentliche Rolle, wie die Funktion realisiert wird. Solange sie verwirklicht wird, liegt scheinbar ein Denkakt der relevanten Art vor. Doch der Funktionalismus hat in seiner Reinform laut Markus Gabriel unzählige Schwächen: „Das Hauptproblem des Funktionalismus besteht darin, dass er keine Beschreibung dessen liefert, was das menschliche Denken wirklich ist.“ Er handelt nicht vom Denken selbst, sondern von einem Denkmodell. Denken ist dabei die Erstellung von Modellen der Wirklichkeit. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Im Internet wird jeder beobachtet
Auf Facebook zum Beispiel beobachten sich die Netz-Subjekte gegenseitig. „Hinter ihrem Rücken“ ist jedoch noch eine andere Singularisierung am Werk. Sie ist rein maschinell und das Resultat der Beobachtung der Menschen durch das digitale Computernetz. Andreas Reckwitz ergänzt: „Dieses avanciert so zum algorithmischen Beobachtungssystem, das Subjekte in ihrer Besonderheit zu begreifen versucht.“ Beobachtung bedeutet hier nicht Überwachung, sondern allgemein, dass Systeme ihre Umwelt beobachten. Dort unterscheiden sie Phänomene und bezeichnen sie. Die digitalen Verfahren, die hier zum Einsatz kommen, sind apparative Systeme der Beobachtung. Dazu zählt Andreas Reckwitz beispielsweise „data analytics“ bei Facebook oder Google oder Self-Tracking-Geräte, die am Körper getragen werden. Sie prozessieren nicht Informationen oder Sinnzusammenhänge, sondern Daten, und zwar in erheblichem Ausmaß: Big Data. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Freiheit gewährt niemals Herrschaft über andere
Freiheit ereignet sich stets im Rahmen der verbindlichen Gesetze. Paul Kirchhof erläutert: „Das Gesetz schafft Frieden und eine Lebensordnung, in der allein Freiheit möglich ist. Es bindet den Freien in Verboten und Geboten, die sprachlich verbindlich bestimmt sind und damit Grenzen der Freiheitsbeschränkung benennen. Diese sind auch vom Staat zu achten.“ Das Gesetz regelt, wann der Mensch frei und wann er gebunden ist. Du sollst nicht töten. Du musst mit sechs Jahren die Schule besuchen. Du musst Steuern zahlen. Freiheit ist nicht die Beliebigkeit, die den Mitmenschen den eigenen Willen aufdrängt, sondern ein Recht, das die selbstbestimmte Entfaltung des eigenen Lebens in einer Gemeinschaft des Friedens und der Freiheit für jedermann erlaubt und erwartet. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.
Viele Menschen bemerken ihre Würdelosigkeit gar nicht
Dass sich einzelne Personen sehr würdelos verhalten, hat der Hirnforscher Gerald Hüther in seinen Leben schon oft genug erlebt. Sonderbarerweise schienen die das gar nicht zu bemerken. Gerald Hüther erläutert: „Und mir selbst ist dieses würdelose Verhalten wohl nur deshalb aufgefallen, weil ich das Glück hatte, in meinem Leben auch einigen Menschen zu begegnen, die anders waren.“ Durch die Art und Weise, wie sie anderen Menschen begegneten, und oft auch, wie sie mit anderen Lebewesen umgingen, machten sie für Gerald Hüther erfahrbar, was es heißt, würdevoll zu leben. Über Jahrtausende lebten die Menschen von ihrer Hände Arbeit. Heute verbringen viele von ihnen die meiste Zeit vor Bildschirmen und brauchen ihre Finger nur noch zum Tippen. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.
Holger Volland stellt die Frage nach der Einzigartigkeit des Menschen
Ein kulturelles Selbstverständnis beruht auf der Annahme, dass die Menschen einzigartige Wesen sind, weil sie mit ihrem kreativen Geist komplexe Ideen entwickeln und die Welt nach ihrem Willen gestalten können. Holger Volland fügt hinzu: „Die christlichen Religionen und das Judentum nennen den Menschen ein Abbild Gottes und die Krone der Schöpfung, weil nur er wie Gott Dinge nach freiem Willen selbst erschaffen kann.“ Die meisten Philosophen stimmen darin überein, dass der Mensch nicht nur ein Geschöpf in der Welt, sondern ein aktiver Schöpfer seiner Welt und Gestalter des Wesens seiner Gattung ist. Wenn Algorithmen nun so funktionieren können wie unsere neuronalen Netze im Gehirn, dann können sie lernen, was Kultur ist und darauf basierend ihre eigene Kultur gestalten. Der Informationswissenschaftler Holger Volland lehrte an der Hochschule Wismar Gestaltung und kuratierte große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland.
Roboter erledigen immer mehr Aufgaben selbstständig
Zu jeder technologischen Neuerung gehörten auch immer diejenigen Menschen, die ein Ende der menschlichen Arbeit vorhersagten, aber tatsächlich ist das niemals eingetreten. Deshalb meinen viele Beobachter, dass auch bei der heutigen technologischen Revolution mehr und bessere Jobs geschaffen als vernichtet werden. Philipp Blom ist nicht dieser Ansicht: „Sie sehen ein Zukunft voller kreativer, interaktiver und interessanter Arbeit, während die monotonen und gefährlichen Arbeiten von Robotern ausgeführt werden. Sie irren gewaltig.“ Denn diesmal wird tatsächlich alles anders. Mit dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts haben Computer gelernt, zu lernen, zu verstehen, zu sprechen, zu erkennen und ihre jeweiligen Fähigkeiten der jeweiligen Situation anzupassen. Zumindest theoretisch werden damit ihre Anwendungsmöglichkeiten unendlich. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Der Homo Deus könnte das Ende des Homo sapiens bedeuten
In seinem neuen Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ entwirft Yuval Noah Harari ein düsteres Bild des 21. Jahrhunderts, in dem gerade die idealisierten Träume zur technologischen Optimierung der Gesellschaft, an denen in Silicon Valley gearbeitet wird, schließlich zur Erschaffung eines neuen „Übermenschen“ und zum möglichen Ende des Homo sapiens führen. Außerdem behauptet der Autor, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger. Er nennt ein Beispiel: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.