Emotionen sind von der jeweiligen Kultur abhängig

Bereits auf der Ebene der Sprache wird deutlich, wie abhängig die Gefühlswelt von der entsprechenden Kultur ist. Denn das Verständnis eines Menschen von Emotionen und Gefühlen hängt immer auch davon ab, wie er darüber redet. Auch im modernen Geschäftsleben zeigt sich die Kulturabhängigkeit von Emotionen. Ulrich Schnabel nennt ein Beispiel: „So kommt es in global operierenden Firmen immer wieder zu Problemen, weil Emotionen in verschiedenen Kulturkreisen so unterschiedlich interpretiert werden.“ In der Wissenschaft hat es sich eingebürgert, strikt zwischen biologisch geprägten Effekten und kulturell beeinflussten Emotionen oder Gefühlen zu unterscheiden. Ulrich Schnabel kennt die gängigsten Definitionen: „Ein Affekt ist eine (unbewusste) Reaktion des Körpers auf ein äußeres Ereignis, die weitgehend automatisiert und unreflektiert abläuft und nur kurze Zeit dauert; der Affekt wird nicht versprachlicht und unterliegt keiner Bewertung.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Eine Stimmung kann Stunden oder gar Tage währen

Von Emotionen dagegen sprechen Psychologen, wenn ein emotionales Ereignis mit einer bewussten Einordnung und Bewertung verknüpft wird. Dabei gibt es sehr basale (primäre) Emotionen und solche, die stärker kognitiv geprägt sind, bei denen also der autobiografische und soziale Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. Diese „höheren“ Emotionen bezeichnen manche Forscher als Gefühle. Einen lang andauernden Gefühlszustand, der Stunden oder gar Tage währen kann, nennt man wiederum eine Stimmung.

Eine Stimmung beeinflusst in der Regel die geistigen Prozesse eines Menschen wie beispielsweise seine Wahrnehmung – weshalb dem Verliebten plötzlich alle Welt zuzulächeln scheint, während der Depressive überall nur mürrische Gesichter und weitere Gründe für seine Depression sieht. Affekte führen in der Regel zu körperlichen Reaktionen, die zwar nach außen hin sichtbar sind, aber vom Betroffenen nicht bewusst kontrolliert werden. Gefühle hingegen sind eher nach innen gewandt und nur einem selbst vollständig bekannt.

Das Gefühlsleben lässt sich nicht aus primären Emotionen zusammensetzen

In diesem Sinne ist auch die Liebe ein Gefühl und kein Affekt, denn sie hängt von der Bewertung eines Menschen ab und ist nur dem Liebenden selbst vollständig bekannt. Im realen Leben lassen sich die einzelnen Affekte, Emotionen und Gefühle allerdings nicht immer so haarscharf voneinander trennen, sondern gehen oft ineinander über, vermischen sich und beeinflussen und verändern sich gegenseitig. Die Eigenart der Gefühle ändert sich mit allem, was in sie hineinspielt. Einerseits ist der Mensch ein biologisches Wesen, der viele grundsätzliche Impulse mit anderen Tieren teilt; andererseits ist er aber auch ein Kulturwesen, das massiv geprägt ist von seinem jeweiligen sozialen Umfeld.

Denn der biologischen Evolution, die in früheren Jahrmillionen für die Entwicklung der Arten ausschlaggebend war, folgt nun schon seit Jahrtausenden eine nicht minder einflussreiche kulturelle Evolution. Der amerikanische Anthropologe und Psychologe Paul Ekman erklärt: „Nicht alles, was unsere Emotionen auslöst, ist angeboren – nein, vieles, sogar das meiste, ist erlernt und baut auf einer Basis auf, einer Basis, die die Menschen vererbt bekommen.“ Und weil dieses „Erlernen“ von emotionalen Reaktionen stets vom kulturellen und sozialen Umfeld eines Menschen abhängt, lässt sich das komplexe moderne Gefühlsleben auch nicht einfach aus „Elementaremotionen“ wie Angst, Wut, Freude oder Ekel zusammensetzen. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies