Geliebt zu werden ist ein Glück

Die Erfahrung der Andersheit zeigt früher oder später Wirkung. Charles Pépin erläutert: „Durch die Berührung mit dir entdecke ich nicht nur deine Sichtweise, ich verändere mich auch. Ich habe einen neuen Weg eingeschlagen, habe einige meiner Gewohnheiten und auch einige Einstellungen geändert. Meine Vorlieben haben sich gewandelt und in manchen Situationen reagiere ich nicht mehr wie früher, kurzum, ich habe mich verändert.“ Ob zum Besseren oder nicht, ist unwichtig. Der fühlbarste Beweis dafür, dass man einem anderen begegnet ist, besteht darin, dass man sein Leben anders als vorher führt. Ein Don Juan dagegen verändert sich nicht: Er verführt alle Frauen, aber keiner begegnet er. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Der Verführer hat Angst vor echter Begegnung

Für einen Verführer wie ihn oder auch für Albert Camus, der auch einer gewesen zu sein scheint, wenn auch in geringerem Maße, sind sich alle Frauen ähnlich. Sie halten ihm denselben Spiegel vor, in dem er sich bewundern kann. Vielleicht hat der Verführer genau aus diesem Grund Angst vor der Liebe, vor echter Begegnung. Er liebt sich selbst so sehr, dass er den Wunsch nicht verspürt, sich zu verändern. Vielleicht trifft aber auch das Gegenteil zu: Er liebt sich nicht und glaubt auch nicht, sich verändern zu können.

In beiden Fällen interessiert ihn die Begegnung nicht, er bleibt mit sich selbst identisch. Charles Pépin stellt fest: „Wie oft ist zu hören, dass Geliebtwerden das Glück sei, so geliebt zu werden, wie wir sind. Der Mensch, der uns wirklich liebt, nimmt uns mit allen Stärken und Schwächen an und will gar nicht, dass wir anders sind.“ Das mag stimmen. Aber wer sich auf diese Weise geliebt fühlt, kann auch die Kraft entwickeln, seine Dämonen anzugehen und sich endlich verändern.

Ein Freund macht einen zu einem besseren Menschen

In seiner „Nikomachischen Ethik“ unterbreitet Aristoteles eine schöne Definition der Freundschaft. Ein Freund mach einen zu einem besseren Menschen. Er ist nicht nur jemand, auf den man sich verlassen kann. Sondern man kann ihm auch die eigenen Zweifel und Ängste anvertrauen. Ein Freund stellt eine Gelegenheit dar, dank derer man seine potenziellen Anlagen verwirklichen kann. Man kann mit dieser Person sogar rivalisieren oder sie nur sporadisch sehen.

Dennoch ist dieser Mensch ein Freund im aristotelischen Sinne, wenn die Beziehung zu ihm erlaubt, die eigenen Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Charles Pépin weiß: „In diesem Sinne sind Freunde: ein Lehrer, dessen Unterricht unseren Wissensdurst weckt oder den Wunsch, einen Weg einzuschlagen, den wir nicht ins Auge gefasst hatten.“ Ein guter Freund kann auch ein Therapeut sein, der einem hilft, sich von seinen Symptomen zu befreien und wieder auf die Beine zu kommen. Quelle: „Kleine Philosophie der Begegnung“ von Charles Pépin

Von Hans Klumbies

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