Die Bürger sind für eine stabile Demokratie verantwortlich

Das neue Philosophie Magazin 04/2024 geht im Titelthema der Frage nach: Ist die Demokratie auf Sand gebaut? Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt dazu: „Tatsächlich erlebt wohl jeder Mensch diese Momente, in denen man am Fundament unserer Staatsform, die alle Macht dem Volk verleiht, schier verzweifelt.“ Auch wenn alle Macht beim Volk liegt, gibt es kein Prüfsiegel für Mündigkeit und moralische Integrität. Niemand muss vor dem Wahlgang beweisen, dass er urteilsfähig ist. Der Rechtsphilosoph und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde sagt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Demokratien sind nur so lange stabil, wie die Bürger bestimmte, freiheitliche Werte teilen. Etwa, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist.

Zweckdenken führt zu geistiger Enge und zur Verarmung der Wahrnehmung

Für die Philosophin Marie-Luisa Frick ist die Demokratie nicht mehr oder weniger auf Sand gebaut als konkurrierende politische Ordnungen. Denn menschliche Belange sind unausweichlich von Fragilität und Unbeständigkeit betroffen. Marie-Luisa Frick weiß: „Anders jedoch als alternative Herrschaftsformen baut sie nicht auf dynastischer Abstammung, Elitismus oder Gewalt, sondern auf Freiheit auf: als Demokratie auf der kollektiven Freiheit des politischen Volkes und als liberale Demokratie zusätzlich auf der individuellen Freiheit seiner Mitglieder.“

Die Existenz der meisten Menschen ist oftmals auf irgendetwas ausgerichtet: Es gilt, sich anzustrengen, ein Ziel zu verfolgen, einen Erfolg einzufahren. Doch das, so der Philosophieprofessor Michael Hampe führt die in geistige Enge und lässt die Wahrnehmung verarmen. „Wir können nie unser ganzes Leben von außen betrachten, und deshalb ist es sinnlos zu fragen, was ist der Sinn oder Zweck des ganzen Lebens“, erklärt Michael Hampe. Als Alternative zum problematischen Zweckdenken stellt er eine reine, nicht wertende Aufmerksamkeit gegenüber.

Iris Murdoch möchte das Gute begreifbar machen

Die Rechtsphilosophin Frauke Rostalski vertritt im Gespräch mit dem Philosophie Magazin die These, dass es sich bei Vulnerabilität um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt. Selbst die Vulnerablen – die doch augenscheinlich profitieren – verlieren ihrer Meinung nach Freiheit. Sie büßen nämlich Eigenverantwortung ein. Frauke Rostalski diagnostiziert auch eine sogenannte Diskursvulnerabilität. Mit diesem Wortungetüm bezeichnet sie eine besondere Facette von Vulnerabilität, nämlich diejenige, die sich auf Risiken der Kommunikation selbst bezieht. Das Risiko, verletzt zu werden, die Möglichkeit, dass das Gespräch Schmerzen verursacht.

Die Rubrik „Klassiker“ ist diesmal der irischen Moralphilosophin Iris Murdoch vorbehalten. Die Bedeutung, die sie der Aufmerksamkeit beimisst, lässt sich nur vor dem Hintergrund ihrer metaethischen Überlegungen verstehen. Das Ausrichten auf die Wirklichkeit und andere Menschen ist für sie keine subjektive, jenseits von Richtig und Falsch gelagerte Angelegenheit. Ihr Hauptprojekt wird der Versuch, das Gute begreifbar zu machen und aufzuzeigen, wie sich ein Leben in seinem Lichte durch Ausübung von umsichtiger und gerechter Aufmerksamkeit führen lässt.

Von Hans Klumbies

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