Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) beschwören das Schreckgespenst einer noch größeren Zunahme von Marktmacht herauf. Denn Unternehmen wie Amazon, Google und Facebook können riesige Datenmengen über jeden einzelnen User zusammentragen. Joseph Stiglitz stellt fest: „Die Befürworter von Big Data behaupten, mithilfe dieses Ansatzes ließen sich Produkte entwerfen, die besser auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten seien. Es besteht auch die Hoffnung, dass die bereitgestellten Informationen langfristig eine maßgeschneiderte medizinische Versorgung ermöglichen werden.“ Die Suchmaschinenbetreiber erklären, die Daten erlaubten ihnen zielgerichtetere Werbung, sodass Verbraucher eher für sie nützliche Informationen erhielten. Dies sind die positiven Möglichkeiten von Big Data. Aber die marktbeherrschenden Unternehmen können diese Daten mithilfe von KI auch in einer Weise nutzen, die ihre Marktmacht und ihre Gewinne auf Kosten von Verbrauchern erhöht. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.
Big Data
Künstliche Intelligenz ist unfähig zum Denken
Die Geschichte der Philosophie ist Martin Heidegger zufolge eine Geschichte der Grundstimmung. Byung-Chul Han fügt hinzu: „Das Denken von René Descartes etwa ist bestimmt vom Zweifel, während das Staunen Platons Denken durchstimmt. Dem „cogito“ von René Descartes liegt die Grundstimmung des Zweifels zugrunde.“ Martin Heidegger zeichnet das Stimmungsbild der neuzeitlichen Philosophie wie folgt: „Ihm [Descartes] wird der Zweifel zu derjenigen Stimmung, in der die Gestimmtheit auf das ens certum, das in Gewissheit Seiende, schwingt.“ Die Stimmung der Zuversicht in die jederzeit erreichbare Gewissheit der Erkenntnis bleibt für Martin Heidegger das pathos und somit die arché der neuzeitlichen Philosophie. Künstliche Intelligenz dagegen hat keine Zugang zu Horizonten, die eher geahnt werden als klar umrissen sind. Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.
Im Internet wird jeder beobachtet
Auf Facebook zum Beispiel beobachten sich die Netz-Subjekte gegenseitig. „Hinter ihrem Rücken“ ist jedoch noch eine andere Singularisierung am Werk. Sie ist rein maschinell und das Resultat der Beobachtung der Menschen durch das digitale Computernetz. Andreas Reckwitz ergänzt: „Dieses avanciert so zum algorithmischen Beobachtungssystem, das Subjekte in ihrer Besonderheit zu begreifen versucht.“ Beobachtung bedeutet hier nicht Überwachung, sondern allgemein, dass Systeme ihre Umwelt beobachten. Dort unterscheiden sie Phänomene und bezeichnen sie. Die digitalen Verfahren, die hier zum Einsatz kommen, sind apparative Systeme der Beobachtung. Dazu zählt Andreas Reckwitz beispielsweise „data analytics“ bei Facebook oder Google oder Self-Tracking-Geräte, die am Körper getragen werden. Sie prozessieren nicht Informationen oder Sinnzusammenhänge, sondern Daten, und zwar in erheblichem Ausmaß: Big Data. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Der Homo Deus könnte das Ende des Homo sapiens bedeuten
In seinem neuen Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ entwirft Yuval Noah Harari ein düsteres Bild des 21. Jahrhunderts, in dem gerade die idealisierten Träume zur technologischen Optimierung der Gesellschaft, an denen in Silicon Valley gearbeitet wird, schließlich zur Erschaffung eines neuen „Übermenschen“ und zum möglichen Ende des Homo sapiens führen. Außerdem behauptet der Autor, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger. Er nennt ein Beispiel: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.
Menschliches Verhalten lässt sich nicht vorhersehen
Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 06/2016 beschäftigt sich mit der Frage, wie berechenbar der Mensch ist. Denn die großen Innovationssprünge unserer Zeit wie Gentechnologie, Neurowissenschaft oder Big Data versprechen eine immer präzisere Prognostizierbarkeit des menschlichen Verhaltens. Geht es nach dem Willen von Google und Co., wird der Alltag eines Menschen schon bald exakt voraussagbar sein. Es wäre ein Leben ohne böse Überraschungen, ohne Angst vor tiefen Enttäuschungen, ohne den Terror des Unverfügbaren. Hier stellt sich natürlich die Frage, wer denn ernsthaft in einer solchen Welt leben möchte. Wie, wenn überhaupt, könnte man frei in ihr existieren. Wie unvorhersehbar das Leben aber in Wirklichkeit ist und wie wenig sich menschliches Verhalten tatsächlich voraussagen lässt und wie wenig es in der Tat bedarf, von einem vollkommen berechenbar scheinenden Handlungsmuster in ein völlig irrationales auszurasten, haben gerade die letzten Monate wieder in aller Schmerzlichkeit vor Augen geführt.
Die Philosophin Rahel Jaeggi denkt über das „wahre Selbst“ nach
Viele Menschen kennen das Gefühl: „Nicht ich lebe mein Leben, sondern mein Leben lebt mich.“ Für Rahel Jaeggi sind die meisten Individuen in der heutigen Gesellschaft nicht direkt fremdbestimmt. Sie gibt zwar zu, dass es im Kapitalismus unbestritten Formen gezielter Einflussnahme auf menschliche Wünsche gibt – Manipulation durch Werbung zum Beispiel, die mein Verlangen nach bestimmten Gütern hervorbringt. Rahel Jaeggi relativiert diese Fremdbestimmung: „Doch auch wenn mein Wille in diesem Sinn beeinflusst ist, zwingt mich niemand, die Cola, das Smartphone oder das Auto auch tatsächlich zu kaufen. Und wir handeln, wenn wir konsumieren, auch nicht wie unter Hypnose – selbst in Zeiten von Big Data nicht.“ Fremdbestimmt ist ein Mensch nur, wenn ihn ein fremder Wille daran hindert, seinem eigenen Willen zu folgen. Rahel Jaeggi ist Professorin für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.