Kluge Menschen richten ihr Handeln an der Idee des Guten aus

Judith Glück weiß: „Die Klugheit zählt seit der platonischen Philosophie zu den Kardinaltugenden, die dafür sorgen, dass der Mensch sein Handeln an der Idee des Guten auszurichten imstande ist.“ Der Stuttgarter Philosoph Andreas Luckner sieht in der Klugheit den Ursprung einer jeden gelungenen Lebensstrategie. Sie ist für ihn die Grundlage einer Form von Selbstorientierung, die sich nicht an äußerlichen Zielen und Zwecken orientiert, sondern an der Güte der eigenen Handlungen, immer im Kontext der eigenen Möglichkeiten in einer konkreten Situation. Andreas Luckner sieht in der Klugheit die Fähigkeit zu wissen, dass man auf dem richtigen Weg ist, „ohne zu wissen, wohin dieser führt“. Die Tugend der Klugheit zeigt sich in einer klaren Orientierung an den eigenen Werten, den Maßstäben, die man ansetzt, auch beziehungsweise gerade dann, wenn sich der inhaltliche Kontext ändert. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Niemand ist seinen Ängsten hilflos ausgeliefert

Islamistischer Terror, rechtsextremistische Gewalt, die Umtriebe antidemokratischer Bewegungen, zunehmender Nationalismus und rechter Populismus in den westlichen Demokratien, die Herausforderungen, die die Flüchtlingskrise mit sich bringt, die vermeintlich zunehmende Ungleichheit: Die Welt scheint sich im Dauerkrisenmodus zu befinden und ein Ende der schlimmen Ereignisse und negativen Entwicklungen scheint nicht in Sicht zu sein. Georg Pieper versucht, diesen Ängsten zu trotzen und sagt sich, dass man sich von ihnen nicht unterkriegen lassen darf. Als verantwortungsbewusster Bürger muss dagegenhalten, auch wenn es manchmal schwerfällt. Georg Pieper stellt fest: „Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten konnte ich beobachten, wie auch bei besonnenen, reflektierten Menschen durch ein Schlüsselereignis die Angst plötzlich übermächtig werden kann und beginnt, das Denken und Handel zu beeinflussen.“ Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Einseitige Liebe kann niemals zur Intimität führen

Die Soziologin Eva Illouz wird in ihren Büchern nicht müde, darauf hinzuweisen, dass das Problem der modernen Liebe im Übergriff des Kapitalismus auf die Gefühle besteht. In der hyperkapitalisierten Welt von heute lasse sich keine Intimität mehr herstellen, ohne dass diese andauernd von Konkurrenzangeboten bedroht werde. Die Liebe will die Menschen, wie der Psychoanalytiker Erich Fromm es bereits in seinem 1956 erschienenen Buch „Die Kunst des Liebens – ausdrückte, vom „Schrecken der Getrenntheit“ erlösen. Matthias Horx ergänzt: „Intimität ist dabei ein wichtiger Schlüssel.“ Ziyad Marar beschreibt in seinem Buch „Intimacy“ die Intimität als Erleben in vier Dimensionen, in „vier Spiegeln“. Sie ist demnach immer gegenseitig, verschwörerisch, emotional und freundlich. Intimität ist die Errichtung eines nach außen abgeschlossenen Raumes, einer mentalen und emotionalen Blase. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

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Das Bewusstsein von der eigenen Würde schützt vor Verführbarkeit

Der Neurobiologe Gerald Hüther zeigt in seinem neuen Buch, dass Würde nicht allein ein ethisch-philosophisch begründetes Menschenrecht ist. Würde ist seiner Meinung nach auch ein biologisch verankerter innerer Kompass, der die Menschen in die Lage versetzt, sich trotz vielfältiger und Anforderungen und Zwängen in einer hochkomplexen Welt zurechtzufinden und sich nicht zu verlieren. Deshalb ist es für Gerald Hüther so wichtig, dass jeder Einzelne lernt, die Wahrnehmung der eigenen Würde zu stärken. Denn es ist klar: Wer sich seiner Würde bewusst wird, ist nicht mehr verführbar. Zudem erklärt der Autor in seinem neuen Buch „Würde“ unter anderem was es bedeutet, wenn einem die Würde genommen wird, weil man in der digitalen Welt nur noch als Datensatz zählt oder im Netz geschmäht oder gemobbt wird. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

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Persönliche Freiheit entsteht aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung

Überlegungen zur personalen Freiheit, die nur Vorteile in Betracht ziehen, bleiben einseitig, sogar naiv. Denn auch die personale Freiheit gibt es nicht ohne negative Kehrseiten. Otfried Höffe erläutert: „Ein freier Mensch ist nicht, wer nur in gewissen Augenblicken bewusst und freiwillig handelt, sondern wer beide Momente, Freiwilligkeit und Bewusstheit, in seiner gesamten Lebensführung realisiert. Frei ist also jemand, dem es gelingt, aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung zu leben.“ Durch die gesellschaftliche und politische Entwicklung wird ihm dieses Gelingen teils erleichtert, aber auch erschwert. Der Grund liegt nicht außerhalb der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, er kommt von innen. Verantwortlich sind nämlich die rechtliche und die soziale Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Singularität meint das Streben nach Einzigartigkeit

Singularität meint laut Andreas Reckwitz mehr als Selbstständigkeit und Selbstoptimierung: „Zentral ist ihr das kompliziertere Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit, die zu erreichen freilich nicht nur subjektiver Wunsch, sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist.“ Markant ausgeprägt ist dies in der neuen, der hochqualifizierten Mittelklasse, also in jenem Produkt von Bildungsexpansion und Postindustrialisierung, das zum Leitmilieu der Spätmoderne geworden ist. An alles in der Lebensführung legt man den Maßstab des Besonderen an: wie man wohnt, wie man isst, wohin und wie man reist, wie man den eigenen Körper oder den Freundeskreis gestaltet. Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert. Das spätmoderne Subjekt performed sein besonderes Selbst vor den anderen, die zum Publikum werden. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Jens Weidner kennt den Weg zum Optimismus

Optimismus entsteht nicht von allein. Optimismus ist ein Ergebnis von persönlicher Einstellung, von Erziehung, von Einflüssen in der Gesellschaft und natürlich auch von Erfahrungen am Arbeitsplatz. Fachlich spricht Jens Weidner hier von den Einflüssen der primären, sekundären und tertiären Sozialisation, die den persönlichen Optimismus im Guten wie im Schlechten – dann in Richtung Pessimismus – prägen können. Ein Mensch ist diesen Prägungen aber nicht hilflos ausgesetzt, sondern kann sie beeinflussen und steuern. Je mehr Optimismus man in der Lebens- und Berufswelt hat, desto besser. Von dieser These ist Jens Weidner fest überzeugt. In der Kindheit wird die Grundlage für das optimistische Potential gelegt, das später im Beruf Berge versetzen soll. Aber es gilt: Optimisten werden nicht als solche geboren, sondern sie bilden sich. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Mangelnde Selbstaufmerksamkeit kann zu Leiden aller Art führen

Es gibt Ebenen der Selbstregulierung, die Aufmerksamkeit benötigen. Die übermäßige Anspannung der Muskeln bemerkt man zum Beispiel oft erst, wenn es infolge der Spannung zu Schmerzen kommt. Besonders wesentlich ist Selbstaufmerksamkeit da, wo sich negative Gefühle in einem Menschen aufbauen. Wo man genervt ist, unter Druck gerät, Zorn zu empfinden beginnt. Georg Milzner erläutert: „Wird diesen sich aufbauenden Gefühlen keine Aufmerksamkeit zuteil, so fehlt uns die Möglichkeit, die Situation zu verändern. In der Folge kommt es zu Gefühlsausbrüchen, die dann etwas Unkontrolliertes bekommen.“ Primäre Selbstaufmerksamkeit nimmt Veränderungen wie diese wahr. Wer über primäre Aufmerksamkeit verfügt, der steht auf und lockert sich, ehe es zu Verspannungen kommt. Und bringt Gefühle frühzeitig zum Ausdruck, ehe sie zu Explosionen oder Implosionen führen. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Die Sieger werden unermesslich reich und unantastbar

Die Zukunft spaltete sich vor einem Jahrzehnt, plötzlich und ohne Vorwarnung. Menschen auf der ganzen Welt wurde im Jahr 2008 mitgeteilt, dass die großen Banken, denen alle etwas schulden und denen gegenüber alle Zahlungsverpflichtungen haben, sich verzockt haben – hoffnungslos, verantwortungslos, amoralisch und dumm. Philipp Blom fügt hinzu: „Und dann wurde ihnen mitgeteilt, man müsse ihnen gemeinsam erwirtschaftetes Geld geben, um ihnen über ihre Schwierigkeiten hinwegzuhelfen und so das ganze System vor dem Kollaps zu retten.“ Millionen von Menschen verloren ihr Haus, ihren Job, ihre Zukunft. Kaum ein Banker ging ins Gefängnis, und innerhalb weniger Jahre waren die Profite und Boni höher als je zuvor. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Stimmungen bilden die unterste Schicht des seelischen Lebens

Selbstaufmerksamkeit definiert Georg Milzner als das Interesse an der eigenen Subjektivität. Sehr bedeutsam ist für einen fühlenden Menschen die Stimmung, die sein aktuelles Lebensgefühl prägt. Stimmungen bilden, so der Pädagoge und Philosoph Otto Friedrich Bollnow, als „Lebensgefühle“ die „unterste Schicht des seelischen Lebens“. Georg Milzner ergänzt: „Wo wir Stimmungen aufmerksam nachspüren, sind wir daher in verlässlicher Weise mit uns selbst in Kontakt. Wo die Fähigkeit, sich zu spüren, dagegen nachlässt, da wird in der Folge auch die Kompetenz eingeschränkt, das eigene Lebensgefühl zu ermessen.“ Ein Mensch kann durchaus meinen, er sei eigentlich glücklich. Bis er merkt, dass das eben nicht ganz stimmt. Ereignisse, die die eigene Selbsteinschätzung korrigieren, kann es viele geben. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Erinnerungen an schöne Erlebnisse verursachen Glücksgefühle

Ein Erlebnis zählt erst durch die Erinnerung. Rolf Dobelli nennt dieses Phänomen das „Erinnerungskonto“. Je länger man mit einer Erinnerung lebt, desto mehr Wert wird dem Erlebnis zugeschrieben. Wenn eine positive Erinnerung bis zum Ende des Lebens Bestand hat, wird das Erlebnis rückwirkend am höchsten bewertet. Rolf Dobelli ergänzt: „Reicht sie nur bis zur Hälfte des restlichen Lebens, wird ihr nur der halbe Wert zugeschrieben – und so weiter bis zum Nullpunkt: Ohne Erinnerung wird das Erlebnis als komplett wertlos empfunden.“ Das ist überraschend und unsinnig. Es ist doch wohl besser, etwas Fabelhaftes zu erleben – Erinnerung hin oder her. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

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Faulheit wird fast reflexhaft als Gegensatz zur Arbeit bestimmt

Der Band 21 des Philosophicum Lech bietet wie immer einen anregenden Gedankenaustausch über gesellschaftlich fundamentale Fragen der Gegenwart. Der etwas provokante Titel lautete diesmal „Mut zur Faulheit. Die Arbeit und ihr Schicksal.“ Der breite thematische Bogen reicht von der Austreibung des Faulteufels und den Wonnen der Arbeit über ironisch-heitere Zukunftsvisionen einer Mußemaschine bis hin zu kulturellen Widersprüchen des Kapitalismus. Dennoch ist die Arbeit für viele Menschen offenbar die entscheidende Quelle für Wohlstand, Wert und Würde. Konrad Paul Liessmann, dem wissenschaftlichen Leiter des Philosophicum Lech ist es wieder gelungen, eine hochkarätige Referentenschar zu verpflichten. Dazu zählen unter anderem Univ.-Prof. Dr. Stephan Lessenich, Professor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, den Bestsellerautor Ulrich Schnabel und Univ.-Prof. Dr. Martin Seel, Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Menschen wollen in Harmonie mit sich und ihren Überzeugungen leben

Der gesunde Hausverstand lehrt, dass Menschen gemäß ihren Einstellungen handeln. Gläubige gehen sonntags häufiger in die Kirche. Befürworter einer Aidsprävention verwenden mehr Präservative. Mit der Arbeit Unzufriedene wechseln ihren Job. Grün-Wähler sind keine Vielflieger. Johannes Steyrer stellt klar: „All das hat seine Richtigkeit, aber nur in einem bescheidenen Ausmaß. Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist, das ist in vielen Studien gezeigt worden, unbedeutender als vermutet.“ Wann beeinflussen Einstellungen das menschliche Verhalten? So viel ist gewiss, auf die Situation kommt es an. Eines der wichtigsten Konzepte der Sozialpsychologie, nämlich die „Theorie der kognitiven Dissonanz“, hat der Amerikaner Leon Festinger (1919 – 1989) entwickelt. Seither wird ihre Grundannahme in unzähligen Studien bestätigt: Menschen woll in Harmonie mit sich und ihren Überzeugungen leben. Johannes Steyrer ist seit 1997 Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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Der Nationalismus ist eine typische Ausformung des Populismus

Wo Autorität schwindet, tritt Macht an ihre Stelle. Die aktuelle politische Weltlage zeigt diese Gefahr anschaulich. Die Gefahr kommt aus verschiedenen Richtungen. Die politische Ordnung ist immer weniger demokratisch, besitzt kaum noch Autorität und regiert auf Basis von Macht – häufig genug ist das Ohnmacht, doch das ändert nichts daran. Paul Verhaeghe erklärt: „Die Wähler sehen das, interpretieren es jedoch zu Unrecht als ein Scheitern der Demokratie an sich.“ Das birgt das größte Risiko, das David Van Reybrouck sehr treffend als neue Epidemie beschrieben hat: DES, das demokratische Erschöpfungssyndrom. Der Bürger glaubt nicht mehr an Demokratie, er ist bereit für zwei „Lösungen“, die schlimmer sind als die Krankheit selbst. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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François Jullien nähert sich den Kulturen mit dem Konzept des Abstands

Die Begriffe „Differenz“ und „Identität“ sind ein altes, von der Philosophie geerbtes Begriffspaar, das seit den alten Griechen auf der Erkenntnisebene erfolgreich funktioniert. François Jullien glaubt allerdings, dass eine Debatte, bei der es um die kulturelle „Identität“ geht, mit einem Geburtsfehler behaftet ist. Daher schlägt er eine konzeptuelle Verschiebung vor: „Anstatt die Verschiedenheit der Kulturen als Differenz zu beschreiben, sollten wir uns ihr mithilfe des Konzepts des „Abstands“ nähern; wir sollten sie nicht im Sinn von „Identität“, sondern im Sinn einer „Ressource“ und der „Fruchtbarkeit“ verstehen.“ Sowohl der Abstand als auch die Differenz markieren eine Trennung; die Differenz setzt dabei jedoch auf eine „Unterscheidung“ während der Abstand den Blick auf eine „Entfernung“ richtet. François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

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Eine Nation definiert sich durch Willkür und Wille

Am 11. März 1882 hält der französische Historiker, Schriftsteller und Philosoph Ernest Renan an der Sorbonne in Paris einen Vortrag. „Was ist eine Nation?“, fragt Ernest Renan, dessen Forschungsgebiet nationale Identitäten sind, und unterzieht im Weiteren die vier vermeintlichen Wesensmerkmale einer Nation – Rasse, Sprache, Religion, Geografie – einer kritischen Prüfung. Nationen sind, so darf man Ernest Renan verstehen, in der Geschichte etwas ziemlich Neues: „Das Vergessen – ich möchte fast sagen: der historische Irrtum – spielt bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle, die Vereinigung vollzieht sich immer auf brutale Weise.“ Christian Schüle erklärt: „Über Jahrhunderte hinweg war es üblich, dass die Nation vor allem eine Dynastie war, die eine alte Eroberung repräsentiert, mit der die Masse der Bevölkerung sich zunächst abgefunden und die sie dann vergessen hat.“ Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Eine Kultur entsteht durch Intelligenz und Gefühle

Herkömmlicherweise erklärt man die kulturellen Bestrebungen der Menschen unter dem Gesichtspunkt des außergewöhnlichen menschlichen Intellekts. Dabei hält man die Gefühle kaum einer Erwähnung wert. Antonio Damasio stellt fest: „Die Stars der kulturellen Entwicklung sind vielmehr die Expansion von menschlicher Intelligenz und Sprache sowie das ungewöhnliche Ausmaß an Geselligkeit.“ Auf den ersten Blick gibt es gute Gründe dafür, eine solche Erklärung für plausibel zu halten. Die Kulturen der Menschen zu erklären, ohne dabei die Intelligenz zu würdigen, die sich hinter den neuartigen Mitteln und Vorgehensweise namens Kultur verbirgt, ist undenkbar. Dass die Beiträge der Sprache für die Entwicklung und Weitergabe von Kulturen entscheidend sind, muss nicht eigens betont werden. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Der Mensch sollte immer offen für neue Perspektiven sein

Reifungsorientierte Persönlichkeitstheorien wie die die Theorie der Ich-Entwicklung von Jane Loevinger befassen sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Veränderungsprozessen im Erwachsenenalter. Jane Loevinger stellte fest, dass manche Menschen ihre eigenen Positionen im Laufe des Lebens immer mehr hinterfragen. Judith Glück erläutert: „Während man im jungen Erwachsenenalter seiner selbst und des eigenen Rechthabens oft sehr sicher ist, wird man später immer öfter mit Widersprüchen und Paradoxien konfrontiert und beginnt an der Allgemeingültigkeit der eigenen Sichtweisen zu zweifeln.“ Mit zunehmenden Alter erkennt man solche Widersprüche auch im eigenen Ich und lernt, sie immer besser zu akzeptieren und zu integrieren. Damit wird auch die wertende Haltung gegenüber anderen Menschen zunehmend aufgegeben. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Die Angst zerstört jede Zwischenmenschlichkeit

Jeder Mensch sollte sich mit der Wirkweise der Angst auseinandersetzen. Als Faustregel gilt: Je verängstigter man ist, desto weniger differenziert kann man denken. Wird die Angst größer, nehmen Tendenzen der Pauschalisierung ebenfalls zu. Georg Pieper erläutert: „So kann ein radikales Schwarz-Weiß-Denken entstehen, bei dem man alles in Gut und Böse unterteilt. Und gegen das Böse ist, glaubt so mancher, alles erlaubt. Diese Haltung wird dann zum gesellschaftlichen Problem, denn sie gefährdet unseren Wertekanon.“ Wenn die Angst überhandnimmt, entsteht also eine große Gefahr für die Gesellschaft. Die Angst zerstört jede Zwischenmenschlichkeit. Verschiedene sozialpsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen vor allem auf Fremde immer zuerst mit Vorurteilen und Ängsten reagieren. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Einsamkeit verursacht die verschiedensten Krankheiten

Einsamkeit ist eine weltweite Epidemie. Laut einer vergleichenden Umfrage hat sich zumindest in den USA die Zahl der Menschen, die keinen Vertrauten haben, mit dem sie über wichtige Dinge reden können, in weniger als zwei Jahrzehnten, von 1985 bis 2004, fast verdreifacht. Der Hirnforscher und Neurowissenschaftler Giovanni Frazzetto stellt fest: „Einsamkeit kann genauso wie Rauchen, Fettleibigkeit, Bewegungsmangel oder Luftverschmutzung zu einem frühen Tod führen.“ Die Einsamkeit schädigt den Körper eines Menschen und verändert seine Wahrnehmung der Welt und wie er mit ihr interagiert. Sie verursacht Erschöpfung und Schlafstörungen und geht einher mit Stress, Angst und Depressionen. Sie wird mit erhöhtem Blutdruck und Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems in Verbindung gebracht. Sei begünstigt zelluläre Entzündungsreaktionen und schwächt die Immunabwehr. Sie kann sogar zu geistigem Verfall und schließlich Demenz führen.

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Wolfram Eilenberger beschreibt das wichtigste Jahrzehnt der deutschen Geistesgeschichte

Die Hauptfiguren in Wolfram Eilenbergers neuem Buch „Zeit der Zauberer“ sind die großen Denker Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin und Ernst Cassirer. In den Lebenswegen und dem revolutionären Denken dieser vier Ausnahmephilosophen sieht der Autor den Ursprung der heutigen Welt begründet. Ludwig Wittgenstein ist der Verfasser des legendären Werks „Tractatus-logico-philosophicus“. Er beendet das Buch in dem festen Bewusstsein, sämtliche Probleme des Denkens „im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben“. Martin Heidegger hatte im Frühjahr 1927 mit „Sein und Zeit“ sein Hauptwerk veröffentlicht, das binnen weniger Monate als neuer Meilenstein des Denkens anerkannt war. Ernst Cassirer veröffentlichte eine dreiteilige „Philosophie der symbolischen Formen“. Dieses Werk etablierte ihn als unbestrittenes Haupt des Neukantianismus und damit der führenden akademischen Strömung der deutschen Philosophie. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie“ im Schweizer Fernsehen.

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Der Begriff der Mündigkeit spielt heute keine Rolle mehr

Bildung hatte schon immer zwei Seiten: die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen und die Ansprüche der Gesellschaft. Konrad Paul Liessmann fügt hinzu: „Bildung bedeutet die Steigerung individueller Entfaltungsmöglichkeiten und die Aneignung jener Kenntnisse, Techniken, Traditionen und Fähigkeiten, die eine Gesellschaft für wichtig und verbindlich erachtet.“ Geht dieser Zusammenhang verloren, befindet sich die Bildungssysteme in einer Krise. Die Individualisierung im Bildungsprozess meint folgendes: dass der Einzelne in Auseinandersetzung mit sich und der Welt, mit dem Wissen und der Kultur erfährt, was er und wie er in dieser Welt sein kann. Mündigkeit nannte man dieses Ziel eines bildenden Prozesses der Selbstgewinnung einmal, ein Begriff, der heute keine Rolle mehr spielt. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Das Thema Pornografie ist stark ideologiegeprägt

Timothy Garton Ash stellt fest: „Pornografie ist seit einem halben Jahrhundert eines der umstrittensten und meistdebattierten Themen in der westlichen Literatur über die Redefreiheit.“ Was ist Pornografie? Ist sie Kunst? Ist sie „Masturbationsmaterial“, wie die feministische Schriftstellerin Catharine MacKinnon verkündete? Ist sie Meinungsäußerung? Ist sie Hassrede? Übernimmt man die Definition von Ogi Ogas: „Alles, was die sexuellen Regionen in unserem Gehirn stimuliert“, dann erstreckt sie sich wahrscheinlich über den Großteil eines täglichen Männerlebens und über eine ordentliche Portion Kunstgeschichte. Im Gegensatz dazu definieren Catharine MacKinnon und Andrea Dworkin den Begriff enger als „die grausame, sexuell explizite Unter-Ordnung von Frauen durch Bilder und/oder Worte. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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In der Ekstase tritt das Denken aus sich selbst heraus

Plotin strebte ein Synthese des antiken Denkens an und entwickelte so eine Metaphysik des Einen, welche die Einheit als Grund und Bedingung alles Seienden und alles Denkbaren versteht. Den Urgrund des Bedingten und der Vielheit, der selbst urbedingt und absolut sein muss, nennt Plotin „das Eine“. Plotins Philosophie befasst sich anders als die platonische nicht nur mit der Frage des Aufstiegs zum Göttlichen, sondern auch mit dem Problem, wie das Göttliche sich in die Einzeldinge entfaltet hat. Diese Entfaltung des Einen in die verschiedenen Stufen des Seins – das Weltganze, den Geist, die Seele, die Einzeldinge – beschreibt Plotin als Vorgang der Emanation. Plotin lebte von circa 204 bis 270 nach Christus und lehrte in Rom seine neuplatonische Philosophie, die an Wirkmächtigkeit den Lehren von Aristoteles und Platon nicht nachstand.

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Der kulturelle Kapitalismus ersetzt den industriellen

In der Gesellschaft der Gegenwart wird nicht mehr das Allgemeine, sondern das Besondere erwartet. Andreas Reckwitz erläutert: „Nicht an das Standardisierte und Regulierte heften sich die Hoffnungen, das Interesse und die Anstrengungen von Institutionen und Individuen, sondern an das Einzigartige, das Singuläre.“ Diese Entwicklung hat die gesamte spätmoderne Ökonomie erfasst. Sowohl für materielle Güter wie für Dienstleistungen gilt, dass an die Stelle der Massenproduktion uniformer Waren jene Ereignisse und Dinge treten, die nicht für alle gleich oder identisch sind, sondern einzigartig, das heißt singulär sein wollen. Die spätmoderne Ökologie ist mehr und mehr an singulären Dingen, Diensten und Ereignissen ausgerichtet, und die Güter, die sie produziert, sind zunehmend solche, die nicht mehr rein funktional, sondern auch oder allein kulturell konnotiert sind und affektive Anziehungskraft ausüben. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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