Plotin strebte ein Synthese des antiken Denkens an und entwickelte so eine Metaphysik des Einen, welche die Einheit als Grund und Bedingung alles Seienden und alles Denkbaren versteht. Den Urgrund des Bedingten und der Vielheit, der selbst urbedingt und absolut sein muss, nennt Plotin „das Eine“. Plotins Philosophie befasst sich anders als die platonische nicht nur mit der Frage des Aufstiegs zum Göttlichen, sondern auch mit dem Problem, wie das Göttliche sich in die Einzeldinge entfaltet hat. Diese Entfaltung des Einen in die verschiedenen Stufen des Seins – das Weltganze, den Geist, die Seele, die Einzeldinge – beschreibt Plotin als Vorgang der Emanation. Plotin lebte von circa 204 bis 270 nach Christus und lehrte in Rom seine neuplatonische Philosophie, die an Wirkmächtigkeit den Lehren von Aristoteles und Platon nicht nachstand.
Unter Ekstase versteht Plotin einen Erkenntnisprozess
In der Philosophie Plotins ergibt sich im Denken eine Rückwärtsbewegung, die das Viele wieder zum Einen zurückführt und die von den Einzeldingen zu Ideen, von der Gesamtheit der Ideen zur Einheit des Weltganzen und von da zum absoluten Einem verläuft. Das Eine selbst kann im Denken des Einzelnen allerdings nicht erfasst werden, weil es absolut transzendent ist. Will man dieses Eine erfahren, so kann dies nur über eine „ekstatische“ Erfahrung geschehen, in der das Denken aus sich selbst heraustritt.
Mit Ekstase ist bei Plotin kein rauschhafter Gefühlszustand gemeint, sondern ein Erkenntnisprozess. Zunächst geht es darum, im Denken mit dem allgemeinen Geist eins zu werden. Um das absolut Transzendente zu erreichen, muss aber nicht nur die Körperwelt überstiegen werden, sondern auch der Geist selbst. In der Ekstase tritt das Denken aus sich heraus und wird mit dem Einen in einem mystischen Akt eins. Angeregt durch Platon, schildert Plotin die Hinwendung zum Einen als einen „erotischen“ Aufstieg, doch ist das Eine auch bei ihm nicht mit dem personalen Gott des Christentums gleichzusetzen.
Die glückseligen Menschen sind befreit von allem Hiesigen
Schönheit ist für Plotin, wenn die Natur des Einen die Teile beherrscht; und bei der Seele ist es Tugend, wenn sie in eins, das heißt zu einem in sich stimmigen Einen geeinigt worden ist. Plotin erklärt: „Also: Was wir suchen, ist eins; und wir betrachten den Ursprung von allem, das Gute und das Erste.“ Man mus daher von aller Schlechtigkeit frei geworden sein, da es ja das Gute ist, zu dem zu gelangen man sich bemüht; und man muss zu dem Ursprung emporgestiegen sein, den man in sich selbst hat, und eins aus vielen geworden sein, um den Ursprung und das Eine zu Gesicht zu bekommen.
Kurz, man muss Geist werden, das heißt seine eigene Seele dem Geist anvertrauen und unterstellen, damit sie alles, was jener sieht, wachend aufnimmt; und das Eine darf man dann nur durch den Geist anschauen, ohne irgendeine sinnliche Wahrnehmung hinzuzusetzen, ohne irgendetwas aus ihr in den Geist aufzunehmen; sondern man muss das Reinste, was es gibt, mit dem reinen Geist anschauen, mit dem, was im Geist das Erste ist. Plotin fasst zusammen: „Das ist das Leben der Götter und der göttlichen, glückseligen Menschen: Befreiung von allem anderen, Hiesigen; ein Leben frei von Lust am Hiesigen; Flucht allein zu ihm allein.“ Quelle: Reclam Heft „Was ist Liebe?“
Von Hans Klumbies