Europa bestimmt seine eigene Identität

Das Zeitalter der Aufklärung ist nicht nur selbst ein sich über den gesamten europäischen Kontinent erstreckendes Phänomen, es entwickelt auch als erste Epoche ein eigenständiges Bild von Europa als zivilisatorisches Gebilde. Wenn aufklärerisches Selbstverständnis und europäisches Bewusstsein der „philosophes“ (Aufklärer) in der Folge eine enge Verbindung eingehen, dann vor allem deshalb, weil die Aufklärer sich selber als eine genuin europäische Bewegung definieren, ebenso wie umgekehrt Europa von ihnen gerade als der geschichtliche Raum verstanden wird, der seit dem 16. Jahrhundert von dem Prozess der Aufklärung erfasst worden ist. Der Diskurs über Europa im Zeitalter der Aufklärung kann als Ausdruck eines spezifisch europäischen Bedürfnisses begriffen werden, die eigene Identität in Abgrenzung zur außereuropäischen Welt zu bestimmen. Im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts ist das Bild von Europa in erster Linie politischer Natur.

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Eine Nation definiert sich durch Willkür und Wille

Am 11. März 1882 hält der französische Historiker, Schriftsteller und Philosoph Ernest Renan an der Sorbonne in Paris einen Vortrag. „Was ist eine Nation?“, fragt Ernest Renan, dessen Forschungsgebiet nationale Identitäten sind, und unterzieht im Weiteren die vier vermeintlichen Wesensmerkmale einer Nation – Rasse, Sprache, Religion, Geografie – einer kritischen Prüfung. Nationen sind, so darf man Ernest Renan verstehen, in der Geschichte etwas ziemlich Neues: „Das Vergessen – ich möchte fast sagen: der historische Irrtum – spielt bei der Erschaffung einer Nation eine wesentliche Rolle, die Vereinigung vollzieht sich immer auf brutale Weise.“ Christian Schüle erklärt: „Über Jahrhunderte hinweg war es üblich, dass die Nation vor allem eine Dynastie war, die eine alte Eroberung repräsentiert, mit der die Masse der Bevölkerung sich zunächst abgefunden und die sie dann vergessen hat.“ Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Die Renaissance war die faszinierendste Epoche der Geschichte Europas

In seinem neuen Buch „Der Morgen der Welt“ entfaltet der Historiker Bernd Roeck ein beeindruckendes Panorama der europäischen Renaissance, jener glanzvollen Zeit, die erst Europa und dann die ganze Welt für immer veränderte. In dieser Epoche gab es revolutionäre Umbrüche es in der Politik, der Religion, den Künsten und der Philosophie. Zugleich erklärt Bernd Roeck warum es ausgerechnet in Europa zu dieser einzigartigen Anhäufung von weltbewegenden Innovationen und Ideen, historischen Umwälzungen, spektakulären Erfindungen und Entdeckungen sowie künstlerischen Jahrtausendwerken kommen konnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Renaissance die wohl faszinierendste Epoche der Geschichte Europas war, die keineswegs allein aus der Wiederbelebung antiker Traditionen war. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Die Nationalsozialisten ergriffen am 30. Januar 1933 die Macht

Ausschlaggebend für die Machteroberung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland waren vor allem zwei Faktoren: zum einen das stete Hinarbeiten der nationalkonservativen Führungsgruppen auf eine autoritäre, nicht parlamentarisch gebundene Elitendiktatur; zum anderen die Tatsache, dass nach dem abermaligen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft ein wachsender Teil der Gesellschaft das Vertrauen in das politische System von Weimar verloren hatte und entschlossen war, radikalere und zukunftsträchtigere Alternativen auszuprobieren. So wurde am 30. Januar 1933 die neue Regierung vereidigt, der allerdings nur drei Nationalsozialisten angehörten. Adolf Hitlers Regierungserklärung unterschied sich in der Sache nicht wesentlich von denen seiner Vorgänger. Ulrich Herbert erklärt: „Überwindung von Massenarbeitslosigkeit und Agrarkrise; Reform des Verhältnisses von Reich, Ländern und Kommunen; Fortsetzung der Sozialpolitik und Wiederherstellung der außenpolitischen Gleichberechtigung Deutschlands – das waren die wesentlichen Programmpunkte.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Europa unterscheidet sich von der übrigen Welt

Von seinem Ursprung her in der griechischen Mythologie angesiedelt, haben sich mit dem Begriff „Europa“ im Laufe seiner Geschichte verschiedenartige Vorstellungen vom europäischen Kontinent als einem Gebilde sui generis verbunden, das sich durch bestimmte politische und zivilisatorische Eigenschaften auszeichne und von den anderen Erdteilen grundlegend abhebe. Die Vorgeschichte des aufklärerischen Europabegriffs führt zurück zu den Anfängen der europäischen Geschichte. Denn bevor Europa zum Namen eines Kontinents wird, bezeichnet es zunächst eine Gestalt der griechischen Mythologie. Der Begriff Europa hat sowohl in der griechischen als auch in der römischen Antike ebenso wie auch im Mittelalter nur eine marginale Rolle gespielt. Allein im 8. Jahrhundert scheint sich für einen kurzen Zeitraum mit dem Begriff Europa eine über den geographischen Gehalt hinausgehende Vorstellung zu verbinden.

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Die Spontaneität der Jugend lockt und fasziniert die Erwachsenen

Henri Lefebvre will in einem Essay nicht die Situation der Jugend in der zeitgenössischen Gesellschaft, samt ihren Problemen, darstellen, sondern zur Zerstörung der Mythen über die Jugend beitragen und zugleich den Platz dieser Gruppe innerhalb der modernen Gesellschaft sowie die Vielfältigkeit der damit verknüpften Fragen darstellen. Henri Lefebvre schreibt. „Der Mythos der Jugend, gleich dem des Proletariats besteht in einer Reihe philosophischer Behauptungen und ontologisch operierender Überinterpretationen, also solchen, die sich auf ein vorgeblich zu definierendes Sein beziehen.“ In diesem Sinne käme der Jugend ein eigenes Wesen zu, das für sich und durch sich selbst definiert wäre. Sie brächte also ihre besonderen Werte mit, ihre ganz eigene Erfahrung, im Gegensatz zu den angehäuften Erkenntnissen des Erwachsenendaseins. Eine Erfahrung, die sich dem Faktum des Beginnens und dem Geheimnis der Spontaneität verdankt.

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Institutionen verursachen den Unterschied zwischen Zivilisationen

Der Historiker Niall Ferguson vertritt die These, dass die modernen historischen Ereignisse weniger von den Kräften der Natur, wie dem Wetter, der Geografie oder dem Auftreten von Krankheiten, sondern vielmehr von Institutionen bestimmt werden. Das ist seine Antwort auf die Frage, warum sich die westliche Zivilisation in den streitsüchtigen Kleinstaaten Westeuropas und in deren kolonialen Niederlassungen in der Neuen Welt seit etwa 1500 so viel besser entwickelt hat als andere Zivilisationen. Niall Ferguson fügt hinzu: „Vom Beginn des 16. Jahrhunderts an bis zu den 1970er Jahren gab es eine erstaunliche Divergenz des globalen Lebensstandards: Die Menschen im Westen wurden wesentlich reicher als die übrige Menschheit.“ Niall Ferguson ist Professor für Neuere Geschichte an der Harvard University mit dem Schwerpunkt Finanz- und Wirtschaftsgeschichte sowie Senior Research Fellow an der Oxford University.

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Alexander Emmerich untersucht die Geburt von Amerika

Nach der Entdeckung Amerikas verlagerte sich das Interesse der Europäer vom Mittelmeer in den Atlantikraum. Die Niederlande, Frankreich, Spanien und Portugal konzentrierten ihre Politik auf den amerikanischen Kontinent und begannen mit seiner Eroberung und Kolonisation. Hinzu kam Großbritannien, das laut Alexander Emmerich durch seine natürliche Lage im Atlantik in den Mittelpunkt des Geschehens rückte und sich zur Weltmacht entwickelte. Alexander Emmerich fügt hinzu: „Doch die Eroberungspolitik der englischen Krone verlief in anderen Bahnen als die der übrigen europäischen Mächte, allen voran Spanien. Weder gründeten die Briten in Amerika Vizekönigreiche, noch wurden Eroberungskriege im Namen Englands geführt.“ Das Königshaus stellte lediglich Freibriefe für die Kolonisation der Neuen Welt durch private englische Handelsgesellschaften aus. Diese übernahmen die Risiken der Besiedlung im eigenen Interesse und auf eigene Kosten. Der Historiker Alexander Emmerich lehrt an der Universität Augsburg am Lehrstuhl für transatlantische Kulturgeschichte.

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Das Prinzip der Gerechtigkeit ist auf dem Vormarsch

Eine der Thesen von Axel Honneth, einem der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart, lautet: „Nur wenn der Mensch um Anerkennung kämpft, kann er sein Recht auf Freiheit verwirklichen.“ Der Philosoph zählt zu den wichtigsten lebenden Vertretern der Kritischen Theorie. In seinem neuen Buch „Das Recht der Freiheit“ schreibt er: „Das Prinzip der Gerechtigkeit kommt immer stärker zur Entfaltung, da die Menschen nicht müde werden, bestehendes Unrecht einzuklagen.“ Zu den geistigen Vätern von Axel Honneth zählen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die Begründer der Frankfurter Schule und sein Doktorvater Jürgen Habermas, den er schon am Anfang seines Studiums für den stärksten Vertreter der Frankfurter Schule hielt.

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Das Unbehagen in der Gesellschaft nimmt stark zu

Die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten eines Menschen in den westlichen Industrienationen sind in den vergangen Jahrzehnten gewaltig gewachsen. Traditionelle Rollen verloren ihre Bedeutung, gesellschaftliche Bindungen zersetzten sich. Alain Ehrenberg beschreibt in seinem neuen Buch „Das Unbehagen in der Gesellschaft“ die Unfähigkeit der Menschen, diese Freiheiten und Wahlmöglichkeiten für ein sinnvolles Leben zu nutzen. Als Folge davon nehmen narzisstische Persönlichkeitsstörungen und Depressionen rapide zu. Auf der einen Seite ist die Autonomie des Individuums zum höchsten Wert an sich aufgestiegen, auf der anderen Seite kommt es mit dem Scheitern am Ideal des selbstbestimmten Lebens zu immer mehr Erkrankungen der Psyche. Der Soziologe Alain Ehrenberg erforscht diese Entwicklung an zwei groß angelegten Fallstudien in Frankreich und den USA. Alain Ehrenberg ist Leiter der Forschungsgruppe „Psychotropes, Santé mentale, Société“ am Centre National de Recherche Scientifique (CNRS) in Paris.

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Die Bedeutung der Arbeit im Wandel der Zeiten

Der Arbeitsplatz ist entscheidend dafür, welche soziale Stellung ein Mensch in der modernen Gesellschaft einnimmt. Dabei bestimmt der Job nicht nur die Höhe des Einkommens, sondern gleichzeitig auch das Prestige. Überall auf der Welt scheint das fast selbstverständlich zu sein, obwohl dies in früheren Zeiten ganz anders war. Früher verstanden die Menschen unter Arbeit Mühen und Strapazen, sie wurde gering geachtet. Im Griechenland der Antike waren die Sklaven für die harte Arbeit zuständig, während sich die Bürger der Politik und den schönen Künsten hingaben. Erst in der Zeit der Reformation und Aufklärung veränderte sich die Einstellung zur Arbeit entscheidend. Der berühmte Soziologe Max Weber definierte die Arbeit wie folgt: „Sie ist der von Gott vorgeschriebene Selbstzweck des Lebens überhaupt.“

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Kein Staat entsteht durch freiwillige Verträge

Der Kultur- und Kunstgeschichtler Jacob Burckhardt vertritt die These, dass noch kein Staat durch einen wahren, von allen Seiten freiwilligen Kontrakt entstanden ist. Denn Abtretungen und Ausgleichungen zwischen rivalisierenden Völkern sind keine Kontrakte. Er schließt daraus, dass auch künftig kein Staat auf diese Weise entstehen wird. Auch der optimistischen Ansicht, wonach der Staat zum Schutz der Gesellschaft entstanden wäre, als ihre negative, abwehrende, verteidigende Seite, so dass der Staat und das Strafrecht identischen Ursprung hätten, kann sich Jacob Burckhardt nicht anschließen. Eher sieht Jacob Burckhardt den Ursprung des Staates durch die Gewalt gegeben, da diese durch die Ungleichheit der menschlichen Anlagen von selbst entsteht.

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Augustinus schreibt die Geschichte der Theologie

In seiner Schrift „Vom Gottesstaat“ entwirft Augustinus eine Geschichte der Theologie, indem er die Geschichte der Menschheit als den Schauplatz des Ringens zwischen Glaube und Unglaube darstellt. Das Werk umfasst 22 Bücher, die sich in zwei Hauptabschnitte aufteilen lassen: die Bücher eins bis zehn widerlegen den Sinn und die Notwenigkeit an heidnische Götter zu glauben. Der Rest ist dem Kampf zwischen Glauben und Unglauben gewidmet. Die Bürgerschaft Gottes steht in einem ständigen Krieg der irdischen Bürgerschaft gegenüber. Augustinus ist der Meinung, dass dieser Kampf auf Erden nicht entschieden werden könne und sich erst vor dem Jüngsten Gericht entscheide, wer welcher Bürgerschaft angehört.

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Große Denker erobern das 20. Jahrhundert

Henning Ritter porträtiert in seinem Buch zwölf große Denker des vergangenen Jahrhunderts, die in ihrer jeweiligen Disziplin neue und unerforschte Wege beschritten haben. Dazu zählen Sigmund Freud, Franz Kafka, Ludwig Wittgenstein, Aby Warburg, Walter Benjamin, Carl Schmitt, Alexandre Kojève, André Malraux, Anthony Blunt, Elias Canetti, Isaiah Berlin und Claude Lévi-Strauss. Seine Kurzbiographien zeigen die Vielzahl von geistigen Antrieben, von exzentrischen Ideen und theoretischen Traumgebäuden. Der Autor ist seit vielen Jahren Redakteur bei der Allgemeinen Frankfurter Zeitung und dort Leiter des Ressorts Geisteswissenschaften.

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