Menschen wollen in Harmonie mit sich und ihren Überzeugungen leben

Der gesunde Hausverstand lehrt, dass Menschen gemäß ihren Einstellungen handeln. Gläubige gehen sonntags häufiger in die Kirche. Befürworter einer Aidsprävention verwenden mehr Präservative. Mit der Arbeit Unzufriedene wechseln ihren Job. Grün-Wähler sind keine Vielflieger. Johannes Steyrer stellt klar: „All das hat seine Richtigkeit, aber nur in einem bescheidenen Ausmaß. Der Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten ist, das ist in vielen Studien gezeigt worden, unbedeutender als vermutet.“ Wann beeinflussen Einstellungen das menschliche Verhalten? So viel ist gewiss, auf die Situation kommt es an. Eines der wichtigsten Konzepte der Sozialpsychologie, nämlich die „Theorie der kognitiven Dissonanz“, hat der Amerikaner Leon Festinger (1919 – 1989) entwickelt. Seither wird ihre Grundannahme in unzähligen Studien bestätigt: Menschen woll in Harmonie mit sich und ihren Überzeugungen leben. Johannes Steyrer ist seit 1997 Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Menschen wollen vor allem recht behalten

Lassen sich Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Absichten oder Wünsche schwer vereinbaren, wird das als unangenehm erlebt. Man setzt dann alles daran, daraus resultierende Spannungen beziehungsweise Dissonanzen zu tilgen, um wieder ins Gleichgewicht zu raten. Aber nicht nur das: Menschen wollen partout nicht wissen, was tatsächlich der Fall ist, sondern sie wollen recht behalten. Im Leben bekommt man oft nicht das, was man will, sondern will das, was man bekommt.

Jedes Sagen, Handeln, Tun zieht allmählich auch das dazugehörige Glauben, Denken, Wissen nach sich, selbst wenn man ursprünglich vom Gegenteil überzeugt gewesen ist. Handlungen beeinflussen Einstellung und Wollen, Einstellung und Wollen beeinflussen Handlungen. Johannes Steyrer weiß: „Allerdings hocken Menschen auf ihren Einstellungen und Denkweisen wie brütende Hennen auf ihren Eiern. Wer sie dabei aufscheucht, erntet Abwehr und Aggression. Daher ist es ratsamer, sie mit Futter zu locken und so aus vermeintlich freien Stücken zum Sprinten, Flattern und Fliegen zu bringen.“

Menschenfischer tarnen ihr eigentliches Ziel

Aber es geht noch desillusionierender, weil es gar keiner untergeschobenen rationalen Begründung bedarf, um das zu mögen, wonach einem zunächst gar nicht war. Vielmehr genügt bereits die irrige Annahme, dass wir dafür etwas übrighaben. Hat sich ein Mensch erst einmal für etwas entschieden, selbst wenn er dafür überhaupt keine Entscheidungsgrundlage gehabt hat, dann bleibt er dabei. Er folgt dabei automatisch und gedankenlos dem Muster: „Neue Entscheidungen sollen alte Entscheidungen rechtfertigen.“

Lassen sich Menschen ködern? Bei der „Fuß-in-die-Tür-Technik“ wird ratenweise, Stück für Stück, mehr abverlangt. Es liegt ein stetiges Mehr in ein und dieselbe Richtung vor, und es ist ein roter Faden erkennbar. Zuerst zum Beispiel Unterschrift und Anstecknadel für die Krebshilfe, dann Bitte um Spende. Hingegen werden beim „Ködern“ die wahren Kosten verschwiegen, die mit einem Verhalten verbunden sind. Auch Menschenfischer tarnen also ihr eigentliches Ziel. Johannes Steyrer erläutert: „Im Unterschied zum Fisch verbeißen sich Menschen aber nicht in Haken, sondern in die subjektive Logik ihrer zuvor getroffenen Entscheidungen, selbst wenn sie dabei objektiv betrachtet Kopf und Kragen riskieren.“ Quelle: „Die Macht der Manipulation“ von Johannes Steyrer

Von Hans Klumbies