Erinnerungen an schöne Erlebnisse verursachen Glücksgefühle

Ein Erlebnis zählt erst durch die Erinnerung. Rolf Dobelli nennt dieses Phänomen das „Erinnerungskonto“. Je länger man mit einer Erinnerung lebt, desto mehr Wert wird dem Erlebnis zugeschrieben. Wenn eine positive Erinnerung bis zum Ende des Lebens Bestand hat, wird das Erlebnis rückwirkend am höchsten bewertet. Rolf Dobelli ergänzt: „Reicht sie nur bis zur Hälfte des restlichen Lebens, wird ihr nur der halbe Wert zugeschrieben – und so weiter bis zum Nullpunkt: Ohne Erinnerung wird das Erlebnis als komplett wertlos empfunden.“ Das ist überraschend und unsinnig. Es ist doch wohl besser, etwas Fabelhaftes zu erleben – Erinnerung hin oder her. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

Die Gegenwart ist farbiger als neblige Erinnerungen

Immerhin wird man im Moment des Erlebens eine fabelhafte Zeit haben. Außerdem vergisst man nach dem Tod ohnehin alles. Der Tod wird alle Erinnerungen ausradieren. Soweit die Wissenschaft weiß, kennen die meisten Tiere als Lebensgefühl nur die Momente, aber kaum oder keine Erinnerungen. Studien zeigen, dass Menschen, die sich an schöne Erlebnisse erinnern, glücklicher sind – besonders wenn sie sie durch die rosarote Brille der Nostalgie betrachten. Viele Psychologen schließen daraus, man solle sich Zeit dafür nehmen, sich gezielt an die schönen Momente der Vergangenheit zu erinnern.

Für Rolf Dobelli ist das ein fragwürdiges Unterfangen. Warum sollte man diese Zeit nicht dafür einsetzen, sich schöne gegenwärtige Augenblicke zu schaffen, im Hier und Jetzt? Der Aufwand, den jetzigen Moment bewusst zu erleben, scheint nicht größer zu sein, als alte Erinnerungen aufzufrischen, im Gegenteil. Außerdem ist das momentane Erleben viel kräftiger, würziger, farbiger als die nebligen Erinnerungen. Man sollte als die aktuellen Momente des Lebens bewusst, ja körperlich, wahrnehmen, statt nach irgendwelchen Erinnerungen zu wühlen.

Erinnerungen sind eindimensional und oftmals fehlerhaft

Außerdem gilt: Wer in seinen Erinnerungen wühlt, wird ohnehin nicht viel ausgraben. Im Fall einer Urlaubsreise erinnert man sich zum Beispiel nur an den Höhepunkt beziehungsweise den Tiefpunkt der Reise und an deren Ende. Das ist Daniel Kahnemans sogenannten Peak-End-Regel. Vielleicht fallen einem noch zusätzlich zwei bis drei andere Szenen ein, aber das war´s. Viele Menschen glauben immer, sich zu erinnern sein, wie einen Film ein zweites Mal zu sehen. Das ist allerdings ein Irrtum wie Rolf Dobelli weiß: „Nein, Erinnerungen sind eindimensional, schal, abstrakt, oftmals fehlerhaft, teilweise zusammenfabuliert und letztlich unergiebig.

Kurzum, die meisten Menschen schätzen den Wert der Erinnerung zu hoch und den Wert des erlebten Augenblicks zu gering ein. Eine notwendige Korrektur kam erst in den sechziger Jahren, als das Bewusstsein für das „Hier und Jetzt“ ins Rampenlicht rückte. Die Jugend experimentierte mit LSD, freiem Sex und Happenings. Heute ist das „Im-Moment-sein-Gefühl“ der sechziger Jahre wieder en vogue, unter dem Etikett „Achtsamkeit“. Eine elitäre Schicht urbaner Hipster, Yogalehrerinnen und Lifestyle-Coaches ist ganz versessen darauf. Quelle: „Die Kunst des guten Lebens“ von Rolf Dobelli

Von Hans Klumbies

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