Kluge Menschen richten ihr Handeln an der Idee des Guten aus

Judith Glück weiß: „Die Klugheit zählt seit der platonischen Philosophie zu den Kardinaltugenden, die dafür sorgen, dass der Mensch sein Handeln an der Idee des Guten auszurichten imstande ist.“ Der Stuttgarter Philosoph Andreas Luckner sieht in der Klugheit den Ursprung einer jeden gelungenen Lebensstrategie. Sie ist für ihn die Grundlage einer Form von Selbstorientierung, die sich nicht an äußerlichen Zielen und Zwecken orientiert, sondern an der Güte der eigenen Handlungen, immer im Kontext der eigenen Möglichkeiten in einer konkreten Situation. Andreas Luckner sieht in der Klugheit die Fähigkeit zu wissen, dass man auf dem richtigen Weg ist, „ohne zu wissen, wohin dieser führt“. Die Tugend der Klugheit zeigt sich in einer klaren Orientierung an den eigenen Werten, den Maßstäben, die man ansetzt, auch beziehungsweise gerade dann, wenn sich der inhaltliche Kontext ändert. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Die Klugheit ist auf das gute Leben im Ganzen ausgerichtet

Auf diese Weise sieht Aristoteles die Klugheit in seiner „Nikomachischen Ethik“. Mit dem Begriff „phronensis“ beschreibt er ein „moralisch-praktisches Urteilsvermögen“, in Abgrenzung zu irgendeiner Form wissenschaftlichen Wissens oder einer konkreten Kompetenz des Herstellens. Die Klugheit ist eine Haltung, die den Handlungen zugrunde liegt, so der griechische Philosoph: „Es bleibt also nur übrig, dass sie eine handlungsleitende, wahre und auf Begründung beruhende Haltung im Bereich des für den Menschen Guten und Schlechten ist.“

Für Aristoteles ist die Klugheit auf „das gute Leben im Ganzen“ ausgerichtet. Und dabei zeigt sie sich nicht darin, dass ein Mensch in der Lage ist, kluge Regeln zu befolgen, also bestimmten Inhalten zu folgen, sondern darin, dass er Situationen im konkreten Moment beurteilen kann und das Vertrauen hat, dann zu wissen, was zu tun ist, denn die Klugheit „ist handelnd, und das Handelnde betrifft das Einzelne“. Dieses „Konkrete“ aber ist immer ethisch motiviert, und Aristoteles grenzte diese Form des gerichteten Handelns sehr deutlich von der sogenannten Gewandtheit ab.

Jede Entscheidung ist ein Balanceakt im Spiel der Möglichkeiten

In dieser Wendigkeit fand sich zwar wie im heutigen Sprachgebrauch Scharfsinn, Schlauheit oder Cleverness, aber keinerlei moralische Motivation. Klug aber kann nach Aristoteles nur sein, wer zugleich tugendhaft ist, und umgekehrt gilt auch, dass es keine wahre Tugend geben könne, die nicht gleichzeitig klug sei. Wichtig ist es für einen Menschen, die eigene ethische Motivation für sich klären zu können, gleichzeitig aber bereit zu sein, für die vorhersehbaren Folgen auch die Verantwortung zu tragen.

Jede Entscheidung ist ein Balanceakt im Spiel der Möglichkeiten, ein Abwägen und Ausprobieren, weil es einfach nicht anders geht – weil das, was das Leben ausmacht, eine ziemlich komplexe Angelegenheit ist und bleibt, ganz egal, wie sehr man sich anstrengt. Das Einzige, was man wirklich ändern kann, ist die Art der Betrachtung. Es ist eine Tatsache, dass es mehr Möglichkeiten gibt, als zu verwirklichen sind, wobei allerdings nicht jeden Wahl einen Menschen vor komplexe Fragen stellt. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies