Die Hauptfiguren in Wolfram Eilenbergers neuem Buch „Zeit der Zauberer“ sind die großen Denker Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin und Ernst Cassirer. In den Lebenswegen und dem revolutionären Denken dieser vier Ausnahmephilosophen sieht der Autor den Ursprung der heutigen Welt begründet. Ludwig Wittgenstein ist der Verfasser des legendären Werks „Tractatus-logico-philosophicus“. Er beendet das Buch in dem festen Bewusstsein, sämtliche Probleme des Denkens „im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben“. Martin Heidegger hatte im Frühjahr 1927 mit „Sein und Zeit“ sein Hauptwerk veröffentlicht, das binnen weniger Monate als neuer Meilenstein des Denkens anerkannt war. Ernst Cassirer veröffentlichte eine dreiteilige „Philosophie der symbolischen Formen“. Dieses Werk etablierte ihn als unbestrittenes Haupt des Neukantianismus und damit der führenden akademischen Strömung der deutschen Philosophie. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie“ im Schweizer Fernsehen.
Die Philosophie ist die Wissenschaft der absoluten Ehrlichkeit
Walter Benjamins Weltsicht ist eine tief symbolische: Jeder Mensch, jedes Kunstwerk, jeder noch so alltägliche Gegenstand ist ihm ein zu entschlüsselndes Zeichen. Und jedes dieser Zeichen steht in einer höchst dynamischen Verbindung mit allen anderen Zeichen. Walter Benjamin vertrat zudem die These, dass sich jeder Mensch darin üben kann, sich selbst kritisch zu prüfen und zu erkennen. Jeder Mensch kann, in gewissem Maße, sein eigenes Werden kritisch begleiten und gestalten. Jeder Mensch kann so zu dem werden, der er eigentlich ist.
Martin Heidegger behauptet in einer Vorlesung, seine gesamte Philosophie kreise um nichts anderes als um die Frage nach dem Sinn des Wortes „Sein“. Die Philosophie macht sich seiner Meinung nach nichts vor, denn sie ist die Wissenschaft der absoluten Ehrlichkeit. In ihr gibt es kein Gerede, sondern nur einsichtige Schritte. In ihr streiten keine Theorien, sondern nur echte Einsichten mit unechten. Martin Heidegger fügt hinzu: „Die echten Einsichten aber sind nur zu gewinnen durch ehrliche und rückhaltlose Versenkung in die Echtheit des Lebens an sich, letztlich nur durch die Echtheit des persönlichen Lebens selbst.“
Das Schicksal kennt keine Schuld
Die beiden zentralen Begriffe, zwischen denen jedes moderne Dasein nach Walter Benjamin steht, lauten „Freiheit“ und „Schicksal“. Wenn es wahre Freiheit geben soll, müssen schicksalhafte Kräfte gegenüber dem menschlichen Wollen letztlich machtlos bleiben. Behalten aber schicksalhafte Konstellationen die Oberhand, ist jede Freiheit und Wahl zu eine scheinbare – und insbesondere der moralisch aufgeladene Begriff der „Schuld“ leer in seiner Anwendung. Das Schicksal kennt keine Schuld, sondern nur Sühne. Die Freiheit kennt keine Sühne, nur Verantwortung.
Fortschritt – das Leitwort, das unsere Kultur nach Ludwig Wittgenstein mehr als jedes andere verblendet und fehlleitet: „Fortschritt ist deshalb auch genau das, was es in der Philosophie nicht und niemals geben kann.“ Ludwig Wittgenstein drängt es, gegen die Grenzen der Sprache anzurennen, und dies ist, so glaubte er, der Trieb aller Menschen, die je versucht haben, über Ethik oder Religion zu schreiben oder zu reden. Durch das was die Ethik sagt, wird das Wissen der Menschheit in keinem Sinn vermehrt.
Zeit der Zauberer
Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929
Wolfram Eilenberger
Verlag: Klett-Cotta
Gebundene Ausgabe: 429 Seiten, Auflage: 2018
ISBN: 978-3-608-94763-2, 25,00 Euro
Von Hans Klumbies