Menschen sehnen sich nach Gewissheit

In Begrenzungen und Zweifeln sehen sich die meisten Menschen nach Eindeutigkeit. Sie wollen mehr Gewissheit, als ihnen möglich ist. Menschen hoffen auf eine bessere Zukunft und vertrauen ihren Mitmenschen. Sie staunen und erleben Geheimnisse. Sie suchen zu vergessen und zu vergeben. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Ein Mensch, der nicht hoffen kann, der nicht nach dem Besseren, auch nach dem Unerreichbaren strebt, fiele in eine Leere, die den Sinn seines Lebens in Frage stellte.“ Hoffnungslosigkeit nähme seiner Freiheit einen wesentlichen Impuls und würde den Aufbruch zu Fortschritt und Erneuerung ersticken. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Misstrauen veranlasst angespannten Argwohn

Die modernen Verfassungen bekräftigen die Hoffnung, dass der Mensch in verantwortlicher Freiheit sein Glück suchen und finden kann. Als demokratischer Bürger fördert er das Gemeinwohl. Das Verfassungsrecht schafft Institutionen, die dem Gemeinwesen eine gute Zukunft bieten. Der Mensch lebt in einer Welt voll Hoffnung und weiß seine Hoffnungen zu organisieren. Der Gesetzgeber greift mit seinen Regeln in die Zukunft voraus, ohne alle Verbindlichkeitswirkungen voraussehen zu können.

Ein Mensch, der nicht vertrauen kann, der keines anderen Menschen in seiner Lebenssicht und Lebenserfahrung gewiss ist, wäre sprichwörtlich um den Schlaf gebracht. Ihm wäre das natürlich aus der Zeit sein nicht möglich. Denn in dieser Phase darf man ohne Anspannung des Denkens, ohne Verantwortlichkeit für einen Selbst und andere entspannen. Dabei braucht man keine Gefahren befürchten und muss sich nicht erklären, antworten oder rechtfertigen. Misstrauen veranlasst angespannten Argwohn, hält in ständiger Bereitschaft zur Gegenwehr.

Menschen brauchen Phasen der Gelassenheit

Paul Kirchhof erklärt: „Der wache Mensch lebt zwischen Spannung und Entspannung, kehrt – wie die Bogensehne – nach dem Anspannen in eine Gleichgewichtslage, einen entspannten Zustand zurück.“ Heuten entlasten die Menschen die Sicherheit im Recht, die sozialstaatliche Krisenvorsorge und insbesondere die freiheitliche Selbstgestaltung des Lebensumstände vom „Kampf ums Überleben“. Deshalb scheint der Mensch andernorts den Wechsel zwischen Spannung und Entspannung zu brauchen. Vielfach erzeugen Kunst und Spiel künstlich Spannungen.

Auch die sportliche Herausforderung und Überforderung des eigenen Organismus, die Herausforderungen des Schicksals durch Spiel und Spekulation sind auf den Wechsel zwischen Stress und Erholung, Wachheit und Schlaf angelegt. Die Menschen antworten auf ihre zivilisatorische Umhegung und Befriedung, indem sie künstliche Risiken und Herausforderungen suchen. Dann brauchen sie allerdings auch Phasen der Ausgeglichenheit, der Ruhe, des Schlafes und der Gelassenheit. Allerdings ist mit diesem Erlebnis von Spannung und Entspannung stets nur ereignishaft ein einzelnes Geschehen gemeint. Es bedeutet nicht eine Grundgestimmtheit gegenüber Mitmenschen und der Welt. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies