Das Über-Ich kann von Schuld und Schande befreien

Sigmund Freud Erklärung des Ursprungs des Gewissens, des Über-Ichs, ist nach Richard Rortys Eindruck eine weitere Lesart des John Dewey motivierenden Antiautoritarismus. Zwischen zwei Menschentypen besteht ein Verhältnis wechselseitigen Unverständnisses. Richard Rorty erklärt: „Die erste Gruppe umfasst diejenigen, die ihre größten Hoffnungen in die Vereinigung mit etwas Übermenschlichem setzen. Dabei handelt es sich um eine Quelle des Über-Ichs, die genügend Autorität besitzt, um die Menschen von Schuld und Schande zu befreien. Zur zweiten Gruppe gehören jene, die ihre größten Hoffnungen in eine bessere Zukunft des Menschen setzen, die man durch ein höheres Maß an brüderlicher Zusammenarbeit zwischen den Menschen erreichen will. Richard Rorty (1931 – 2007) war einer der bedeutendsten Philosophen seiner Generation. Zuletzt lehrte er Vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University.

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Die Selbstverwirklichung wird durch äußere Hindernisse eingeschränkt

Das romantische Konzept der Selbstverwirklichung geht generell davon aus, dass die Fähigkeiten des Selbst von Natur aus positiv sind. Das einzige Problem besteht darin, dass sie durch irgendwelche äußeren Hindernisse eingeschränkt werden: Staat, Gesetz, Despotismus, Patriarchat, Über-Ich, imperiale Autorität, herrschende Klasse, bürgerliche Moral und so fort. Terry Eagleton ergänzt: „Nach Sigmund Freuds Auffassung verinnerlichen wir das Gesetz in Gestalt des Über-Ichs, das heißt, wenn wir uns über seine Anweisung hinwegsetzen, laufen wir Gefahr, uns selbst zu schaden.“ Auch Edmund Burke ist sich bewusst, dass die einzige echte Souveränität diejenige ist, die man sich selbst zu eigenen macht. Es ist jene Macht, die Antonio Gramsci später als Hegemonie bezeichnet und gegen den Zwang abgrenzt. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Sigmund Freud unterscheidet zwischen Sexualtrieb und Todestrieb

In der Philosophie der Gegenwart wurden verschiedene Modelle entwickelt, um in der Struktur dessen, was Sigmund Freud „das Ich“ nennt, die menschliche Rationalität auszumachen. Der amerikanische Philosoph Robert Brandom spricht hier vom „Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen“ und er hat auch dafür plädiert, das Ich gleichsam als den allgemeinen Namen für Mitspieler an diesem Spiel aufzufassen. Markus Gabriel erklärt: „Ein Ich zu sein heißt, für die Beschreibungsebene zugänglich zu sein, auf der wir unsere Einstellungen zu uns selbst und zu anderen durch Gründe stützen und rechtfertigen.“ Sigmund Freud selber neigt leider häufig dazu, das Ich wie einen Homunculus zu behandeln, der seines Erachtens dadurch auf die Bühne tritt, das Wahrnehmungen im Menschen durch Reizungen entstehen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Das Über-Ich nimmt an der Figur des Vaters Maß

Das Über-Ich steuert die moralische Bestimmung des Individuums nicht von außen, sondern entspringt einer subjektiven Idealisierung mit ambivalenten Bezügen. Prägend steht dabei im Hintergrund die Figur des Vaters, an dem das Über-Ich Maß nimmt. Peter-André Alt erläutert: „Im Laufe des Erwachsenwerdens löst es sich von dieser konkreten Bindung, beim Jungen durch die Überwindung des Ödipus-Komplexes, beim Mädchen durch die Suche nach einer neuen männlichen Bezugsperson, auf die sich das Liebesbegehren richtet.“ Auch das Über-Ich bleibt im Bann libidinöser Kräfte, weil die Idealisierungsarbeit, der es seine Existenz verdankt, das Resultat einer sexuell aufgeladenen Fixierung auf den Vater ist. Es wäre daher unzutreffend, dem Über-Ich Eigenständigkeit und Freiheit zuzusprechen. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Das Über-Ich unterdrückt die aggressiven Triebe

Je höher der Kulturgrad des Menschen ist, desto mächtiger wird sein Über-Ich, das die Unterdrückung der Triebaggression sichert, zugleich aber selbst herrische Züge trägt. Das Ich-Ideal des kultivierten Individuums lädt sich mit jener Gewaltsamkeit auf, die es gerade bannen sollte. Peter-Andre Alt ergänzt: „Dort, wo Mangel existiert, verliert das Über-Ich dagegen seinen Einfluss.“ Sigmund Freund schreibt dazu: „Man denke an die Proletarier, deren Leben eine Häufung von Versagungen ist. Folge davon ist nicht ein besonders großartiges Schuldgefühl, sondern, was viel näher liegt, ein ungestillter Hunger nach Befriedigung mit Neigung zur rücksichtslosen Verleugnung der moralischen Schuld.“ Das Über-Ich leistet Widerstand gegen eine allzu direkte Triebabfuhr, was aber voraussetzt, dass das System der Überhöhung, Sublimierung und Idealisierung ausgebildet ist. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Das Ich wird von den Mächten des Unbewussten beherrscht

Während das Ich als steuernde Instanz auf Ordnung und Organisation ausgerichtet ist, bleibt das Es unberechenbar. Der Trieb ist materialistisch und auf Verbrauch ausgerichtet. Er unterliegt weder einer sittlichen noch einer rationalen Lenkung. Sigmund Freud schreibt: „Selbstverständlich kennt das Es keine Wertungen, kein Gut und Böse, keine Moral.“ Dem Es kann man nur in Vergleichen nahekommen, denn es ist eigentlich unbenennbar, sofern es sich nicht in Träumen oder Neurosen meldet. Peter-André Alt ergänzt: „Aus diesem Grund repräsentiert es auch kein „Unbewusstes“ – einen bis heute häufige Fehlbenennung, die Sigmund Freud immer rügte –, sondern eine amorphe und unbekannte, nur über Wirkungen erfahrbare Ordnung.“ Als „Kessel voll brodelnder Erregungen“ lässt sich das Es weniger beherrschen als über Umwege sublimieren. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Philipp Hübl stellt Sigmund Freuds Modell der Psyche vor

Sigmund Freuds Modell zufolge besteht die Psyche, also der Geist eines Menschen, aus drei Teilen, nämlich erstens aus dem Ich, also dem Bewusstsein, zweitens aus dem Es, in dem sich die Triebe befinden, und drittens dem Über-Ich, in dem Normen gespeichert sind, in Form von Geboten und Verboten zunächst der Eltern und später der Gesellschaft. Philipp Hübl konkretisiert: „Das Bewusstsein hat also, Freud zufolge, drei Zugänge. Erstens erhält es Informationen durch die Wahrnehmung, zweitens Wünsche aus dem Es und drittens Warnungen vom Über-Ich, und zwar vermittelt über das Gewissen, wenn die eigenen Normen und Ideale nicht erreicht sind.“ Das Es ist der älteste Teil des Geistes, in dem Triebe und Instinkte wohnen, ein Reich des Unlogischen ohne Begriffe für Raum und Zeit. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Das schlechte Gewissen ist die Angst vor dem Liebesverlust

Wenn sich eine Gesellschaft verändert, unterliegt auch die Gefühlskultur einem Wandel. Ulrich Greiner erklärt: „Zwar ist das Schamgefühl generell ein Merkmal menschlicher Zivilisation, doch seine Empfindlichkeit und die Anlässe seiner Erregung bleiben abhängig vom jeweiligen historischen und sozialen Umfeld.“ Die Wissenschaft hat versucht, diese Felder begrifflich zu fassen und sie einer „Schamkultur“ oder einer „Schuldkultur“ … Weiterlesen

Robert Pfaller klärt über die Kunst des klaren Wollens auf

Für viele Menschen ist es heutzutage sehr schwer, zu wissen, was sie eigentlich wollen. Das liegt unter anderem daran, dass die Individuen heute viel mehr Möglichkeiten haben als noch vor sehr kurzer Zeit, zumindest in den westlichen Gesellschaften. Es ist aber laut Robert Pfaller nicht die Zahl der Wahlmöglichkeiten, die eine Person überfordert, sondern es ist die Einbildung, es gäbe eine Wahl, die dem eigenen Ich genau entspricht – und das nur in der Personalisierung das Glück zu finden wäre. Robert Pfaller glaubt dass sich die Gesellschaften verändert haben, von denjenigen, in denen Leute etwas wollten, es aber von der Gesellschaft verboten bekamen und sich dafür schuldig fühlten, hin zu Gesellschaften, die stimulierend auf die Individuen einwirken im Sinne von: „Du sollst es ruhig wollen!“ Robert Pfaller ist Ordinarius für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

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Die Menschen leben heute in einem Zeitalter des Konformismus

Die Gegenwart ist von einem Widerspruch geprägt: Auf der einen Seite gibt es einen zunehmenden Egoismus, gepaart mit dem Gedanken der Selbstverwirklichung. Auf der anderen Seite scheinen sich die Individualität und Einzigartigkeit der Menschen immer mehr aufzulösen. Dabei entwickelt sich die Teamfähigkeit zu einer immer bedeutenderen Kompetenz. Und wer nicht gut vernetzt ist, wird schnell als Außenseiter abgestempelt. Das 17. Philosophicum Lech beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, wie sich Menschen in dieser widersprüchlichen Welt erleben und wie sie sich auf ihr Ich auswirkt. Daneben wurden auf folgende Fragen Antworten gesucht: Wie gestalten sich Beziehungen in virtuellen Netzen, was bedeutet es, wenn die virtuellen Netze enger, die realen sozialen Netze aber immer durchlässiger werden? Diesen Entwicklungen, ihren Vorgeschichten und Konsequenzen sind Soziologen, Philosophen sowie Kultur- und Naturwissenschaftler im Wintersportort Lech am Arlberg nachgegangen.

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