Die Epoche der philosophischen Neuzeit umfasst einen Zeitraum der etwa bei der Geburt René Descartes, der 1596 geboren wurde, beginnt und bis zum Tod von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, im Jahr 1831, dauerte. Die Philosophieepoche der neuen, der bürgerlichen Zeit dauerte also etwas mehr als 200 Jahren. Die Periode gehörte zu den produktivsten und spannendsten Episoden der Philosophiegeschichte. Kennzeichnend ist für diese Epoche, trotz ihrer Vielfalt und Gegensätzlichkeiten, eine gemeinsame Grundüberzeugung, die jeden Philosophen leitet, egal welchem Thema er sich gerade widmet und über welche Fragen er gerade nachdenkt. Die Basis der Überlegungen, die allen Philosophen der Neuzeit gemeinsam ist, ist das Prinzip der Vernunft.
Die Mathematik war das Vorbild der Vernunft
Die Philosophie der Neuzeit legt weder Autoritäten aus, wie dies zum Beispiel die Scholastiker praktizierten, noch ergründet sie die Ähnlichkeiten zwischen dem Mikro- und dem Makrokosmos, wie es die Denker der Renaissance zu tun pflegten. Alexander Gottlieb Baumgarten, ein deutscher Philosoph, der von 1714 bis 1762 lebte, definierte das Denken der Neuzeit mit folgenden Worten: „Philosophie ist das richtige Schlussfolgern auf der Grundlage von sicherem Wissen.“
Das gemeinsame Vorbild der Vernunft war die Mathematik und selbst Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der dieses Idol aufs schärfste kritisierte, glaubte dennoch, ein philosophisches Gebäude der Vernunft errichten zu können. Die Vernunft ist universell, die sich in allen Bereichen des Wissens anwenden lässt. Von der Gegenwart aus betrachtet, erscheinen einige Philosophen der Neuzeit Universalgenies gewesen zu sein. Das kommt daher, dass sich jeder von ihnen in einer Vielzahl von Gebieten auskannte und darüber schrieb. Die Philosophie in der Epoche der Neuzeit bedeutete damals noch so viel wie Wissenschaft überhaupt.
Die politische Dimension der Vernunft
In der Vernunft ist immer auch eine ausgeprägte politische Dimension enthalten. Das wird verständlich, wenn man weiß, dass alle Tendenzen dieser Epoche in der Französischen Revolution von 1789 ihren Höhepunkt erreichen. Im Verlauf der Revolution hat das Bürgertum den Adelsstand weggefegt. Es entstand ein neuer bürgerlicher Staat, der auf dem Grundsatz der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, auf der Vernunft selbst, beruhen sollte. Die Vernunft ist keiner Religion und keinem Kaiser untertan, sondern ganz und gar allgemein.
Jeder Mensch hat einen Anspruch auf die Vernunft, auf vernünftige Verhältnisse, in denen er sich und jeder andere verwirklichen kann. Dieser Anspruch entsteht aus seinem Menschsein heraus, aus seiner Natur. Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Menschen, den Bürger, der im Namen der vernünftigen Natur durch die Kraft der Philosophie vernünftige Ansprüche stellt. Man kann daher auch die Philosophie der Neuzeit als die Philosophie des werdenden Bürgertums oder der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft bezeichnen.
Von Hans Klumbies