Die Frage „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ wirft viele Rätsel auf

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2017 beschäftigt sich mit der Frage: „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ Eigentlich beruht die gesamte Lebensweise der modernen Staaten des Westens auf dem Imperativ des immer Mehrwollens. Sowohl im privaten Bereich als auch im Beruf führt dieser Wille oft zu einer dauerhaften Selbstüberforderung. Die Lust am Leben wird so eher gemindert anstatt gesteigert. Aus beglückender Fülle werden Leere und Angst. Scheinbar ist also klar: Wer weniger will, wird seltener enttäuscht, ist also entspannter und lebt so möglicherweise zufriedener. Das Wollen selbst sei die Wurzel allen Unglücks – das behaupten zumindest Denker von der Stoa bis zu Arthur Schopenhauer. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ist es nicht gerade die Suche nach mehr Intensität, die dem eigenen Leben erst Spannung und Sinn gibt?

Eine autonome Entscheidung kann an Selbsttäuschung scheitern

Der französische Philosoph Tristan Garcia vertritt die Auffassung, dass die Intensivierung der eigenen Erfahrung das eigentliche Lebensziel des modernen Menschen ist: „Ich glaube, dass der maximale Intensitätsmoment, der uns gegeben ist, die Gegenwart ist.“ Seiner Meinung nach muss man dahin gelangen, die maximale Intensität der Gegenwart aufrechtzuerhalten, ohne die Vergangenheit zu verlieren. Tristan Garcia rät sich allem, was die Intensität mindert, denkend zu widersetzen, um darauf aufbauend, die Intensität des Lebens zu erfassen. Die Intensität darf dabei niemals ein Absolutes sein.

Laut der Philosophin Beate Rössler handelt ein Mensch authentisch, wenn er sich halbwegs mit seinen Wünschen und Überzeugungen identifiziert. Sie glaubt, dass man in der Regel schon merkt, wenn man sich in einer entfremdeten Situation befindet. Eine autonome Entscheidung, also die Fähigkeit zu wissen, was man wirklich will, kann allerdings im Alltag daran scheitern, dass man sich selbst täuscht, und zwar nicht nur über die eigenen Fähigkeiten, sondern etwa auch über das Handeln anderer.

Die Geduld ist die Grundlage der suchenden Weisheit

In der Rubrik „Der Klassiker“ stellt das Philosophie Magazin Henry David Thoreau vor, den amerikanischen Philosophen par excellence. Der Philosoph Cord Riechelmann erläutert, wie Henry David Thoreaus Naturphilosophie mit seinen politischen Idealen zusammenhängt. Durch nur drei Texte ist Henry David Thoreau weltberühmt geworden. Wollte man diese sehr verschiedenen Texte auf eine Formel konzentrieren, so könnte sie lauten: „Folge deinem Begehren und beschränke deine Bedürfnisse.“

Der französische Philosoph Baptiste Morizot hat sich in Kirgistan auf die Suche nach dem Schneeleoparden gemacht, wobei er größte Geduld aufbringen musste. Die Geduld, verstanden als Beherrschung der Impulse und inneren Monologe, wird in der gesamten Philosophie, vom Zen bis zum Stoismus, als Grundlage der suchenden Weisheit ausgelegt. Jedes Mal, wenn es darum geht, voll und ganz da zu sein, überfällt die Menschen jener endlose Monolog, der vom vollen Bewusstsein abhält. Die wenigsten Menschen sind in der Lage sich auf einen Augenblick zu fixieren und sich im Rhythmus der Dinge zu bewegen.

Von Hans Klumbies