Die meisten Menschen führen ein weitgehend vermitteltes Dasein

Die Vorstellung von menschlicher Vortrefflichkeit zielt auf einen starken, unabhängigen Geist, der seine Möglichkeiten vollkommen ausschöpft. Eine solche Unabhängigkeit erlangt ein Mensch durch disziplinierte Aufmerksamkeit, durch Handeln, das ihn mit der Welt verbindet. Diese Aufmerksamkeit ist wichtig, um das Selbst in Übereinstimmung mit seiner Umwelt zu bringen. Matthew B. Crawford erklärt: „Wir sind in einer Welt verankert, die wir nicht gemacht haben – und diese „Situiertheit“ ist grundlegend für das menschliche Wesen.“ Matthew B. Crawford streicht drei Elemente der Situiertheit heraus: die Verkörpertheit des Menschen, seine zutiefst soziale Natur und die Tatsache, und dass er in einem bestimmten historischen Moment lebt. Außerdem möchte Matthew B. Crawford „Freiheit“ als positiven Begriff einfach fallen lassen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Das ideale Selbst der westlichen Kultur möchte seine Freiheit erlangen

Das Wort Freiheit wurde seiner Meinung nach durch übermäßigen kulturellen Gebrauch überstrapaziert und hat sich in einen sprachlichen Reflex verwandelt, der dazu dient, das eigene Selbstbild als autonomes Individuum zu festigen. Seit mehreren Hundert Jahren bemüht sich das ideale Selbst der westlichen Kultur, seine Freiheit zu erlangen, indem es die äußere Welt vollkommen seinem Willen unterwirft. Die Begründer des modernen Denkens glaubten, dass könne erreicht werden, indem man alle Objekte als Projektionen des Geistes behandele.

Diese Denker glaubten, ein Mensch könnte nur durch seine Repräsentationen dieser Objekte in Kontakt mit ihnen treten. Heute sind diese Repräsentationen derart wirkungsvoll und allgegenwärtig, dass die meisten Menschen ein weitgehend vermitteltes Dasein führen. Das Problem ist, dass diese Menschen in ihrer Art des Daseins formbar geworden sind. Matthew B. Crawford erläutert: „Jeder, der die Macht hat, betörende Repräsentationen zu gestalten oder die Pforten im öffentlichen Raum zu kontrollieren, durch die wir gehen müssen, um unser Leben führen zu können, kann unser Bewusstsein formen.“

Die Begegnung mit der Welt als Wirklichkeit kann eine Quelle der Freude sein

Das Gerede über die Autonomie hat laut Matthew B. Crawford seinen Ursprung in der Erkenntnistheorie und Moraltheorie der Aufklärung. Die Aufklärer leisteten zwar wichtige Beiträge zum Kampf gegen verschiedene Formen des Zwangs, die Zeiten haben sich allerdings geändert. Matthew B. Crawford will das Wirkliche wiedergewinnen und es den Repräsentationen entgegensetzen. Das ist unter anderem der Grund dafür, dass sein zentraler positiver Begriff nicht „Freiheit“, sondern „Handlungsmacht“ ist.

Denn wenn ein Mensch einer gekonnten Praxis nachgeht, öffnet sich ihm eine Welt, die ihre eigene, vom eigenen Selbst unabhängige Wirklichkeit hat. In der Begegnung zwischen dem Selbst und der rohen, fremden Andersartigkeit des Wirklichen wird Schönheit möglich. Matthew B. Crawford behauptet: „Die Begegnung mit der Welt als Wirklichkeit kann eine Quelle der Freude, ja sogar beinahe religiöser Empfindungen von Verwunderung und Dankbarkeit sein – im Vergleich dazu erweisen sich künstliche Wirklichkeiten als blasse Fälschungen, die einen Teil ihres Reizes für uns verlieren.“ Quelle: „Die Wiedergewinnung des Wirklichen“ von Matthew B. Crawford

Von Hans Klumbies