Das Bewusstsein für die Relativität von Wertesystemen fließt heutzutage in zahlreiche historische und kulturelle Studien ein. Carlo Rovelli betont: „Es hilft uns, uns ein wenige von unserem natürlichen Provinzialismus zu lösen.“ Zudem erlaubt es, diejenige Sichtweise zu korrigieren, die der europäische Imperialismus deformierte. Diese hat die Europäer geprägt und ihnen suggeriert, dass der westliche Standpunkt der einzig vernünftige ist. Und dieses Bewusstsein hilft den Europäern auch zu verstehen, dass das, was sie wahr, schön und gut finden, von anderen anders gesehen werden kann. Wenn die Naturwissenschaften selbst keine Sicherheit bieten können, dann sollte dies umso mehr ein Grund dafür sein, nicht alles für bare Münze zu nehmen, was man für wahr hält. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.
Imperialismus
Der Westen muss seine eigenen Prinzipien formulieren
Die Praxis des westlichen Universalismus war den größten Teil seiner Geschichte alles andere als universell. Er schloss viele Menschen im eigenen Land und fast alle Menschen im Ausland aus. Die Frauen und die Mitglieder der „niedrigeren“ Gesellschaftsschichten wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, hielt sogar Sklaven. Timothy Garton Ash ergänzt: „Ab etwa 1500 manifestierte sich der westliche Universalismus für den größten Teil der Welt als Kolonialismus.“ Für einige hat sich diese Geschichte des westlichen Universalismus, der sich als Imperialismus manifestiert, bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.
Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren
Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entwickelten mutige Philosophen ein neues Menschenbild. Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren, alle sind gleich vor dem Gesetz, und die einzigen Kriterien für Wissen sind Fakten und Rationalität. Philipp Blom ergänzt: „Auf dieser Grundlage können Menschen in Frieden miteinander leben und Fortschritt schaffen, der das Leben aller verbessert. Die Erlangung und Verteidigung der Freiheit ist oberstes Ziel von Individuen und Gesellschaften.“ Dieses neue Denken, dass man als „Aufklärung“ bezeichnete, wurde anfangs bekämpft und unterdrückt, konnte sich aber im Laufe von zwei Jahrhunderten durchsetzen. Nach den Philosophen und der Französischen Revolution kamen die Arbeiterbewegung, die Abschaffung der Sklaverei und danach die Dekolonisierung, die Civil-Rights-Aktivisten in den USA, Feministinnen, die Entkriminalisierung der Homosexualität, die Achtung von Minderheiten als Gradmesser der Zivilisiertheit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.
Richard David Precht macht sich Gedanken über die Arbeit der Zukunft
Aktuell bildet sich eine Tendenz ganz klar heraus. Sehr viele Berufe fallen in Zukunft weg. Von den „Jobs“ des Niedriglohnsektors über einfache bis hin zu vergleichsweise anspruchsvollen Dienstleistungsberufen. Richard David Precht erläutert: „Und selbst wenn wir viele Berufe des neuen Arbeitsmarktes noch nicht kennen – daran zu glauben, dass die Beschäftigung konstant bleibt oder gar steigt, ist fahrlässig bis irrsinnig.“ Denn die Digitalisierung – und das unterscheidet sie von früheren industriellen Revolutionen – erobert kein neues Terrain, sondern sie macht bestehendes effektiver. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Digitalisierung die Produktion gewaltig beflügeln wird. Aber was die Beschäftigung anbelangt, so muss diese nicht zwangsläufig dann steigen, wenn die Produktion sich erhöht. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.
Frank Schirrmacher analysiert den Informationskapitalismus
Frank Schirrmacher stellt in seinem Buch „Ego“ die These auf, dass die Ökonomen den Seelenhaushalt des modernen Menschen ohne dessen Wissen okkupiert haben. Sie haben dazu ein Modell entwickelt, das von der Überlegung ausgeht, jeder Mensch würde ausschließlich an sich und seinen eigenen Vorteil denken. Laut Frank Schirrmacher hat eine Ära des Informationskapitalismus begonnen. Dieser will Gedanken lesen, die Menschen kontrollieren und ihnen möglichst viele Waren und Dienstleistungen verkaufen. Der Informationskapitalismus ist unablässig damit beschäftigt, herauszufinden, was Individuen tun, sagen, kaufen und welche Unternehmungen sie als nächste planen. Er ist ein System, das alles immer besser weiß. Frank Schirrmacher fügt hinzu: „Er spricht den Menschen das Recht ab, sich der Umwelt anders darzustellen, als sie sind. Was immer sie tun, es behauptet, dass sie es um des eigenen Vorteils willen tun.“ Frank Schirrmacher ist seit 1994 einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Für sein Buch „Das Methusalem-Komplott“ erhielt er die Auszeichnung Journalist des Jahres 2004. Zuletzt erschien im Blessing Verlag im Jahr 2009 sein Buch „Payback“.
Theodor W. Adorno macht sich Gedanken über den Fortschritt
Theodor W. Adorno ist fest davon überzeugt, dass man den Begriff Fortschritt gar nicht grob genug verwenden kann. Denn Pedanterie in seinem Gebrauch betrügt seiner Meinung nach nur um das, was er verheißt, Antwort auf den Zweifel und die Hoffnung, dass es endlich besser werde, dass die Menschen einmal aufatmen dürfen. Theodor W. Adorno schreibt: „Schon darum lässt nicht genau sich sagen, was sie unter Fortschritt sich vorstellen sollen, weil es die Not des Zustandes ist, dass jeder diese fühlt, während das lösende Wort fehlt. Wahrheit haben nur solche Reflexionen über den Fortschritt, die in ihn sich versenken und doch Distanz halten, zurücktreten von lähmenden Fakten und Spezialbedeutungen.“ Theodor W. Adorno, geboren am 11. September 1903 in Frankfurt am Main, gestorben am 6. August 1969, lehrte in Frankfurt als ordentlicher Professor für Philosophie und Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität.
In Europa konkurrieren viele verschiedene Identitäten miteinander
Andreas Wirsching zweifelt daran, dass sich die Frage nach einer europäischen Identität überhaupt sinnvoll beantworten lässt. Für ihn ist allzu offenkundig, dass es in Europa zumindest viele und miteinander konkurrierende Identitäten gibt und dass sich diese Identitäten seit dem Ende des Kommunismus nachhaltig gewandelt haben. Andreas Wirsching ergänzt: „Überdies scheint auch die kulturelle Identifikation der Bürger in Europa mit ihrem Kontinent noch nicht soweit vorangeschritten zu sein, dass sich ohne weiteres ein Gemeinschaftsgefühl, europäischer Zugehörigkeit, geschweige denn von Öffentlichkeit sprechen ließe.“ Andreas Wirsching ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen „Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert“ und „Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit.“
Die Demokratie in den Zeiten der Finanzkrise
Viele Menschen verbinden mit dem Begriff der Demokratie das Versprechen wachsenden materiellen und pekuniären Wohlstandes. Sollte das Wachstum einmal ausbleiben, könnte es um die Demokratie schlecht bestellt sein. Gegen die angebliche Wohlstandsbindung der Demokrtie sprechen laut Professor Otfried Höffe drei grundverschiedene Argumente: semantisch der Begriff der Demokratie selbst, normativ die Gerechtigkeit und empirisch die Erfahrungen des Bürgers im Alltag. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie an der Universität Tübingen und leitet dort außerdem die Forschungsstelle Politische Philosophie.