Die Asylfrage dominierte die Politik

Seit dem Fall der Mauer ist die Zahl der in Deutschland Asylsuchenden kontinuierlich gestiegen. Hinzu kommen Spätaussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Flüchtlinge aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg. Die Union aus CDU und CSU sowie die rechten Splitterparteien hatten schon Ende der Achtzigerjahre die Angst vor den Asylsuchenden als zentrales politisches Thema besetzt. Philipp Hübl blickt zurück: „Die deutschen Wähler hielten damals die Asylfrage für politisch wichtiger als die Wiedervereinigung oder die Arbeitslosigkeit.“ Mit der Flüchtlingssituation von 2015 parallel zur Willkommenskultur kam es auch verstärkt zu fremdenfeindlichen Aktionen. Mit der Ankunft der Fremden nahm die Gewalt zu. Allein im Jahr 2017 gab es mehr als 2.000 Angriffe gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Viele Deutsche fühlen sich von Menschen aus fremden Kulturen bedroht

Da die Mittel im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen immer knapper werden, der Überlebenskampf in diesen riskanten Zeiten auch noch ihre letzten inneren und äußeren Ressourcenverbraucht, erfahren immer mehr Menschen die gesellschaftlichen Zustände als eine Bedrohung ihres Selbstwertgefühls. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Wenn persönliche und soziale Unsicherheiten infolge unberechenbarer Entwicklungen weiter zunehmen und gleichzeitig auf die politischen, sozialen und persönlichen Ressourcen kein Verlass mehr zu sein scheint, ist ein gesellschaftliches Radikalisierungsmoment erreicht, das eine Eigendynamik mit großer Sogwirkung entwickeln kann, sodass eine Radikalisierung von immer mehr Bevölkerungsgruppen in Deutschland kaum noch abzuwenden wäre.“ In den feindseligen Ablehnungen von Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden, wie sie spätestens seit Mitte 2015 ungehemmt auch öffentlich zur Schau gestellt wird, spiegeln sich tiefgreifende persönliche Erschütterungen in diesen Zeiten beschleunigter gesellschaftlicher Umbrüche wider. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Gaius Julius Caesar erfindet die Germanen

Im März des Jahres 60 v. Chr. war die Bedrohung durch barbarische Asylsuchende das wichtigste Gesprächsthema in Rom, wie der Philosoph, Anwalt und Politiker Cicero schrieb. James Hawes erläutert: „Nachdem es weiter nördlich zu Kriegen und Unruhen gekommen war, überfluteten sie die bereits unterworfenen, romanisierten Gebiete Galliens – also im Wesentlichen das heutige Südfrankreich und Oberitalien.“ Es schien, als wäre im weiter nördlich gelegenen Gallien eine neue, Ärger verheißende Macht aufgetaucht. Gaius Julius Caesar, der als neuner Prokonsul der gallischen Provinzen mit einem Eroberungskrieg seinen Ruf steigern und seine Schulden tilgen wollte, gab ihr im Jahr 58 v. Chr. einen Namen: Germani. Bereits mit der ersten Erwähnung auf Seite eins seines Bestsellers „Der Gallische Krieg“ verbindet Caesar mit diesen Germani die Vorstellung, dass sie das Gebiet jenseits des Rheins bewohnen. Der englische Germanist James Hawes ist Universitätsdozent für kreatives Schreiben in Oxford und Schriftsteller.

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Immer mehr Bürger radikalisieren sich in ihrer Lebensführung

Der Sozialpsychologe Ernst-Dieter Lantermann benennt in seinem neuen Buch „Die radikalisierte Gesellschaft“ Ursachen und Handlungsmotive der Selbstverschließung vieler Menschen gegenüber allem Neuen und weist auf jene inneren Ressourcen hin, die einem Menschen hilft, nicht den Versuchungen radikaler und fanatischer Haltungen zu erliegen. Das Verschwinden von Gewissheiten ist ein Kennzeichen der Gegenwart. Viele Menschen fühlen sich von dem rasanten Tempo der gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen überfordert. Ihr Selbstwertgefühl leidet unter der Prekarisierung ihrer Lebensverhältnisse, für die sie ja selbst, so suggeriert der Zeitgeist, verantwortlich sind. Die Antwort vieler Bürger auf die wachsende Unsicherheit ist eine Radikalisierung ihrer Lebensführung. Ernst-Dieter Lantermann nennt Beispiele: Den Fremdenfeind, der alle Probleme dieser Welt aus der massenhaften Ankunft von Flüchtlingen herleitet. Den Fitnesstreibenden, der sich distanzlos allen digitalen Neuerungen der Selbstkontrolle unterwirft. Den Sicherheitsfanatiker oder den fanatischen Nostalgiker. Sie eint aus psychologischer Sicht mehr, als ihnen bewusst ist.

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