Es tobt kein weltweiter Kampf der Kulturen

Es sieht für Markus Gabriel so aus, als gebe es mehr oder weniger deutlich voneinander abgegrenzte Kulturen. Die Grenzziehung zwischen Kulturen scheint außerdem häufig mit den Grenzen von Nationalstaaten verbunden zu sein. Man spricht landläufig etwa von einer deutschen, chinesischen, amerikanischen oder russischen Kultur. Manche glauben auch, es tobe seit Jahrtausenden ein welthistorischer Kampf der Kulturen. Dieser entfaltet sich im 21. Jahrhundert als Konflikt, den Kulturräume durch die Globalisierung in verschärften Wettbewerb miteinander austragen. Markus Gabriel erklärt: „Diese Idee wurde Ende des 20. Jahrhunderts prominent vom in Harvard lehrenden Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington vertreten.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Samuel P. Huntington entwickelt falsche Denkmuster

Dieses Gedankenkonstrukt widerlegte unter anderem der ebenfalls in Harvard lehrende Nobelpreisträger Amartya Sen. Eine besonders auffällige Argumentationslücke bei Samuel P. Huntington und anderen Theoretikern eines Kulturkampfes ist, dass sie nicht klären, was eine Kultur ausmacht. So kommt es zu einer inflationären Verwendung des Ausdrucks „Kultur“. Hinter diesem verbirgt sich bei genauerem Hinsehen kein eindeutiger Begriff, sondern eine gefährliche Verwirrung. Samuel P. Huntington meint, es gebe große Kulturkreise, etwa einen islamischen, westlichen und lateinamerikanischen.

Diese Kulturkreise befinden sich ihm zufolge in einem Konflikt, der zu Kriegen führt. Markus Gabriel kritisiert: „Allerdings gibt er keine religionswissenschaftlichen und kulturphilosophischen Kriterien an, wie er die Kulturen definiert und voneinander abgrenzt. Letztlich entstehen auf diese Weise lediglich Stereotype – falsche Denkmuster, die Menschen in Gruppen einteilen.“ Diese Gruppenbildungen entsprechen nicht den Tatsachen. Es ist ja keineswegs so, dass etwa alle Europäer gleich denken und handeln.

Werte sind kein Ausdruck einer Gruppenzugehörigkeit

Das zeigt sich auch auf sehr regionalen Ebenen. Bayern wirkt beispielsweise auf Menschen aus Norddeutschland teilweise kulturell befremdlicher als Regionen aus anderen Ländern. Und selbst das ist ein Stereotyp, weil es ja auch in Hamburg Menschen gibt, die sich als Gruppen von anderen Gruppen von Hamburgern abgrenzen. Der Gedanke, dass Menschen zu Gruppen wie den Hindus oder Christen gehören, ist eine Abstraktion. Diese kann irreführend und sogar gefährlich werden, wenn man glaubt, dass man dadurch einen Menschen verstehen kann.

Markus Gabriel betont: „Der auf einem schwammigen Kulturbegriff beruhende Wertepluralismus ist ein weit verbreiteter Widersacher des Universalismus.“ Grundsätzlich behauptet er, alle Werte, auch moralische, seien letzten Endes Ausdruck einer Gruppenzugehörigkeit. Demnach gebe es zum Beispiel deutsche Werte im Unterschied zu amerikanischen, chinesischen, russischen usw. Im vergangenen Jahrzehnt war überdies immer wieder die Rede von jüdisch-christlichen Werten oder Werten des Abendlands, die sich insbesondere von muslimischen Werten unterscheiden sollen. Quelle: „Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies