Martin Luther wetterte gegen Ablässe

Am 31. Oktober 1517 sandte Martin Luther ein Schreiben an Albrecht von Brandenburg, den Erzbischof von Mainz. In diesem Brief, der die berühmten 95 Thesen enthielt, wetterte Luther gegen Ablässe. Dabei handelt es sich um käufliche, aus einem Blatt Papier bestehende Dokumente, die einen angeblich von den Sünden befreien. Helmut Walser Smith fügt hinzu: „Ob Luther die Thesen dann auch an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg nagelte, ist in der Geschichtswissenschaft bis heute umstritten.“ Sicher ist, dass Martin Luthers Kritik im Wesentlichen auf der Vorstellung gründete, Gottes Gnade werden allein durch den gewährt und empfangen, nicht durch gute Werke oder die Fürsprache von Priestern. Diese Vorstellung hatte das Potential, das Christentum, wie man es damals praktizierte, zu untergraben. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Erasmus von Rotterdam begründet die Philologie

Erasmus von Rotterdam (1464/69 – 1536) war nicht nur der Erzieher Karls V., sondern er war darüber hinaus ein einschließender Geist. Der überlebensgroße Sammler hat jeden Tag circa 1.000 Wörter zu Papier gebracht. Er trug in seinem weitläufigen Werk Weisheiten von allen Ufern zusammen. Als Herausgeber, Redakteur und Textkritiker begründete er die moderne Philologie. Er war ein geselliger Geist, dessen Briefwechsel keine Ecke seiner Welt ausließen. Zugleich war er jedoch in seiner Zeit eine einsame Erscheinung. Keine Kompromisse nämlich machte er als Pazifist. Legitim konnte ein Krieg für ihn höchstens sein, wenn das ganze Volk in wünschte. Dieses aber bestand für Erasmus von Rotterdam bereits aus Individuen. Die Torheit ist seiner Meinung nach die Einzige, die für alle sprach. Nicht zu schön ist sie sich, vom Olymp zu den Menschen herunterzusteigen.

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Ohne Vielfalt gibt es keine Alternativen

Vielfalt ist eine Bereicherung von Freiheit. Wenn es keine Vielfalt gäbe, hätten die Menschen keine Alternativen, zwischen denen sie wählen könnten. Doch das Leben mit einer solchen Vielfalt der Unterschiede hat auch seine Schwierigkeiten. Denn viele wollen vielleicht gerne wieder mehr „unter ihresgleichen“ leben. Das Problem ist nichts Neues. Die Kombination von Massenmigration und Internet hat zu einer atemberaubenden Zunahme der sichtbaren Vielfalt, sowohl materiell auf den Straßen der Weltstädte als auch virtuell auf den Seiten des Internets, geführt. Timothy Garton Ash ergänzt: „Wie nicht anders zu erwarten, geht es in einigen der heftigsten Konflikte um die Meinungsfreiheit um die Frage, wie Menschen sich in Bezug auf solche Unterschiede ausdrücken.“ Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Die Aufklärung zielt auf den Bruch mit der Vergangenheit

Frei ist, wer in Wechselfällen und Umbrüchen des Lebens unerschütterlich und unaufgeregt bleibt. Frei sind auch diejenigen, die sich ihrer Maßstäbe sicher sind und selbstbewusst Erneuerungskraft und Reformfreude entfalten. Paul Kirchhof erläutert: „Gelassenheit wehrt sich nicht gegen das Neue, sondern vergleicht den Istzustand mit dem Reformvorhaben. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit soll die antike Welt wieder aufleben und auf die neue Welt der Renaissance einwirken.“ Das Mittelalter geht in das hellere Zeitalter der Aufklärung über. Die Renaissance sucht eine weltliche Kultur auszubilden. Die Reformation will das Verhältnis des einzelnen Menschen zu Gott zurückformen und erneuern. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Friedrich Nietzsche möchte den Menschen zu Größe verhelfen

Rückblickend war es für Volker Gerhardt höchst angemessen, eine geistesgeschichtliche Epoche im Anschluss an die Renaissance unter den Titel des „Humanismus“ zu stellen. Einer seiner wirkmächtigsten Anwälte war Erasmus von Rotterdam, der bis heute das Schicksal erleidet, in seiner Bedeutung als Theoretiker der Politik, der Freiheit, der Bildung und der Kultur nicht angemessen geschätzt zu werden. Selbst Friedrich Nietzsche ist mit seinen großen Formeln der „Umwertung der Werte“, des „Willens zur Macht“ und mit seiner Programmatik des „freien Geistes“, der sich als souveränes und zugleich produktives Individuum begreift und sich selbst zu überwinden hat, der Idee des Humanismus näher als manche andere Denker des 19. Jahrhunderts. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Thomas Mann unterscheidet strikt zwischen Kultur und Zivilisation

Es gibt den tief in der deutschen Geistesgeschichte verwurzelte Sonderauffassung, dass zwischen „Kultur“ und „Zivilisation“ ein unüberbrückbarer Gegensatz besteht. Denn nur wenn man sich mit diesem deutschen Sonderweg befasst, kann man begreifen, was Thomas Mann meinte, als er 1945 davon sprach, dass es nicht „zwei Deutschland“ gebe, „ein böses und ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch Teufelslist zum Bösen ausschlug“. Thea Dorn weiß: „Thomas Mann selbst war bis in sein fünftes Lebensjahrzehnt hinein ein Anhänger dieser Auffassung.“ In seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“, geschrieben zwischen 1915 und 1918, schließt er sich dem damals vorherrschenden konservativen deutschen Zeitgeist an, indem er den Ersten Weltkrieg als „Krieg der Zivilisation gegen Deutschland“ deutet und deshalb ohne Einschränkung unterstützt, dass Deutschland seinerseits mit aller Kraft zuschlägt. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Geistige Unabhängigkeit setzt ruhige Tapferkeit voraus

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter“, schrieb Kurt Tucholsky, „als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Zunächst einmal ist es intellektuell und psychologisch schwierig, sich außerhalb des tradierten Wissens seiner Zeit und eines Ortes zu stellen. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Die normative Kraft des Faktischen bringt uns dazu, dass wir die Bedingungen in unserem Umfeld, die alle anderen für normal zu halten scheinen, in mancher Hinsicht auch als ethische Norm betrachten.“ Zahlreiche Studien in Verhaltenspsychologie beweisen, dass eine individuelle Überzeugung, was wahr oder richtig ist, durch den massiven Druck der Mitmenschen erschüttert wird. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Europa unterscheidet sich von der übrigen Welt

Von seinem Ursprung her in der griechischen Mythologie angesiedelt, haben sich mit dem Begriff „Europa“ im Laufe seiner Geschichte verschiedenartige Vorstellungen vom europäischen Kontinent als einem Gebilde sui generis verbunden, das sich durch bestimmte politische und zivilisatorische Eigenschaften auszeichne und von den anderen Erdteilen grundlegend abhebe. Die Vorgeschichte des aufklärerischen Europabegriffs führt zurück zu den Anfängen der europäischen Geschichte. Denn bevor Europa zum Namen eines Kontinents wird, bezeichnet es zunächst eine Gestalt der griechischen Mythologie. Der Begriff Europa hat sowohl in der griechischen als auch in der römischen Antike ebenso wie auch im Mittelalter nur eine marginale Rolle gespielt. Allein im 8. Jahrhundert scheint sich für einen kurzen Zeitraum mit dem Begriff Europa eine über den geographischen Gehalt hinausgehende Vorstellung zu verbinden.

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