Der Krieg legitimierte alles

Der Krieg war das ureigenste Moment des Nationalsozialismus. Die Abwägung von Interessen, die schwierige Organisation einer vielgestaltigen modernen Industriegesellschaft, die Verwaltung des Mangels, der Ausgleich von Widersprüchen – das alles schien nun obsolet. Ulrich Herbert erklärt: „Fortan ging es nur noch um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Untergang. Das vereinfachte alles und legitimierte alles. Ethische Normen, geschriebene Gesetze, internationale Verpflichtungen konnte man fortan ignorieren, wenn es nur dem Sieg diente.“ Auch jenseits des Militärischen unterschied sich dieser Krieg von allen bisherigen. Schon vor dem Einmarsch in Polen hatte Adolf Hitler betont, es gehe gar nicht um Danzig: „Es handelt sich für uns um die Arrondierung des Lebensraums im Osten.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Die Führungsschicht Polens wurde ermordet

Adolf Hitler hatte sein ursprünglich auf die Sowjetunion gerichtete Idee vom deutschen Lebensraum nun auf Polen angewandt. Polen sollte ein landwirtschaftlich strukturiertes Nebenland, eine Kolonie Deutschlands mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung werden. Den Krieg gegen Polen erklärte Adolf Hitler den Befehlshabern vor Beginn der Kampfhandlungen, habe nicht allein militärische Ziele: „Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist die Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie. […] Herz verschließen gegen Mitleid. Brutales Vorgehen.“

Ulrich Herbert erläutert: „Speziell für solche Zielsetzungen waren kurz vor Kriegsbeginn Einsatzgruppen aus Gestapo, Kripo und SD, dem Sicherheitsdienst der SS, zusammengestellt worden.“ Sie hatten den Auftrag, die politische und intellektuelle Führungsschicht Polens zu ermorden, vor allem Angehörige der Intelligenz, der politischen Führung sowie des höheren Klerus. Unmittelbar nach Beginn des Krieges begannen diese Kommandos mit Festnahmen und Erschießungen.

In Polen lebten mehr als zwei Millionen Juden

Anfang Oktober teilen die Deutschen das besetzte polnische Territorium in zwei circa große Teile. Übergeordnetes Ziel der deutschen Politik war die „neue Ordnung der ethnografischen Verhältnisse“ in dieser Region, wie Adolf Hitler am 6. Oktober 1939 vor dem Reichstag formuliert hatte. Mit der Sowjetunion war vereinbart worden, die deutschsprachigen Minderheiten aus den ostpolnischen Gebieten und dem Baltikum in die westpolnischen, ins Reich inkorporierten Gebiete umzusiedeln.

Mit der Umsetzung dieser Pläne hatte Adolf Hitler den Reichsführer-SS Heinrich Himmler beauftragt und zum „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ ernannt. Anfang Dezember 1940 begannen die ersten Zwangsumsiedlungen von mehr als 80.000 Polen ins Generalgouvernement. Das Ganze führte aber innerhalb von kurzer Zeit zu einem solchen Chaos, dass die Deportationen zwischenzeitlich gestoppt werden mussten. Durch die Besetzung Polens waren den Deutschen mehr als zwei Millionen polnische Juden in die Hände gefallen. Dabei handelte es sich um die größte jüdische Bevölkerungsgruppe in Europa. Quelle: „Das Dritte Reich“ von Ulrich Herbert

Von Hans Klumbies