Thomas Junker kennt die Macht der Liebe

Viele Dichter haben die Macht der Liebe besungen und bewundert, religiöse und politische Weltverbesserer haben sie gefürchtet und verfolgt, und noch heute verzweifeln wohlmeinende Eltern am romantischen Eigensinn ihrer Kinder. Thomas Junker betont: „Und doch waren es diese scheinbar irrationalen Formen der Verliebtheit, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.“ Einige der faszinierendsten körperlichen und geistigen Anlagen der Menschen haben sich nur deshalb in der Evolution durchgesetzt, weil Frauen über viele hunderttausend Jahre Partner mit bestimmten Eigenschaften bevorzugten. Und weil die Männer nicht unterschiedslos mit allen Frauen schliefen, sondern eine sorgfältige Auswahl trafen. Durch die Partnerwahl haben sich die Geschlechter gegenseitig geformt. „Geformt“ ist im übertragenen Sinn gemeint, wenn es um den Charakter und die Talente geht. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Eine Partnerschaft ist nicht nur eine Quelle des Glücks

Aber es gilt auch im buchstäblichen Sinn: Die typisch weiblichen Formen, der Busen, die Taille und die Hüften, sind Ausdruck männlicher Vorlieben. So wie umgekehrt viele körperliche und charakterliche Merkmale der Männer das Resultat weiblicher Wünsche sind. Die Partnerwahl ist so machtvoll, weil es in der Evolution letztlich nicht entscheidend ist, ob ein Individuum überlebt, sondern ob es Nachwuchs hat. Und dazu benötigt es meist einen Partner oder eine Partnerin.

Die Partnerschaft ist nicht nur eine Quelle des Glücks und gemeinsamer Stärke, sondern auch des Zweifels und des Streits. Das liegt nur zum Teil an den unterschiedlichen biologischen Voraussetzungen von Frauen und Männern, am ewigen Kampf der Geschlechter. Interessenkonflikte gibt es auch unabhängig davon, sonst wären die Beziehungen von Schwulen und Lesben eitel Sonnenschein, was bekanntermaßen nicht der Fall ist.

Sex setzt die Überwindung der Scham voraus

Menschen sind Meister der Manipulation. Geschichten und Romane, Theaterstücke und Kinofilme erzählen davon, wie sehr die menschlichen Gemeinschaften auch durch ein Netz von Selbsttäuschungen, eigennützigen Verzerrungen und Lügen zusammengehalten werden. Nur frisch Verliebte leben in der Illusion, hier ausgenommen zu sein. Als Gegengewicht sind in der Evolution eine ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen entstanden. Eine davon ist die Kunst, über die man seine geheimsten Gedanken und Wünsche austauscht.

Eine andere ist der Sex, der die Überwindung der Scham voraussetzt und körperliche Ehrlichkeit erzwingt. Zumindest wenn er lustvoll sein soll. Was hat das alles mit dem Weißen im Auge zu tun? Schon unsere Vorfahren jedenfalls haben lieben mit jemandem geschlafen, der oder die Offenheit signalisierte, sonst hätte sich das Merkmal „das Weiße im Auge“ in der Evolution nicht durchgesetzt. Das Weiße im Auge ist nur eines von vielen Beispielen, das die Macht der Partnerwahl demonstriert. Es zeigt sich, dass sich diese Macht auch auf Merkmale erstreckt, die nicht unmittelbar mit Liebe und Sex zu tun haben. Quelle: „Die verborgene Natur der Liebe“ von Thomas Junker

Von Hans Klumbies