Die Aufklärung suchte nach Gewissheiten

Die europäische Aufklärung ist ganz durchtränkt vom Geiste der Kritik. Vor allem die aufklärerische Bibelkritik hat das kritische Denken damals sogar in die Religion getragen. Denn sie arbeitete die historischen und subjektiven Bedingungen der Entstehung von Bibeltexten heraus. Dadurch wurde der Anspruch einer direkten Gottesbotschaft durch diese Forschungen zur Historizität der Bibel stark relativiert. Silvio Vietta erläutert: „Die Aufklärung verfolgte dann auf der Grundlage der Erkenntnisse neuzeitlicher Naturwissenschaften über den Kosmos und auch Menschen das Ziel, endlich klar zwischen falschen und richtigen Urteilen über die Welt zu unterscheidenden. Sie suchte in Bezug auf die Wahrheit nach „Gewissheit“. Der Vorreiter dieser Denkbewegung war René Descartes. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Immanuel Kant schrieb drei große Kritiken

Und René Descartes findet mit seiner kritischen Spürnase im denkenden Ich eben jenen sicheren Grund der menschlichen Erkenntnis und ihrer Kritikfähigkeit. Dies allerdings nur, wenn der Mensch seinen Verstand richtig gebraucht. Die Philosophie der Aufklärung wird somit Kritik des menschlichen Erkenntnisapparates und seines richtige Gebrauchs. Der große Paukenschlag einer fundamentalen Neudefinition von „Kritik“ ist mit dem Namen Immanuel Kant verbunden.

Immanuel Kants drei große Kritiken waren mehr als eine bloße Beurteilungskunst, wie die philosophische Aufklärung den Begriff der Kritik bereits gedeutet hatte. Kant will insbesondere in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ die Denkmöglichkeiten, aber auch die Grenzen der Vernunft an sich ausloten. Und dies unabhängig von der Erfahrung und damit auch allen möglichen Spekulationen darüber hinaus das Wasser abgraben. Seine fundamentale Kritik der Vernunft war „Wissenschaft der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen. Damit sagt er auch allem Dogmatismus den Kampf an.

Kritik verbindet sich häufig mit Ideologie

Schon in seiner „Prolegomena“ hatte Immanuel Kant geschrieben: „So viel ist gewiss: wer einmal Kritik gekostet hat, den ekelt auf immer alles dogmatische Gewäsch“. Kritik wird dann im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Hauptkampfbegriff der Philosophen vor allem gegen den „Heiligenschein“. Silvio Vietta stellt fest: „Das Problem allerdings ist, dass Kritik sich da häufig selbst mit Ideologie verbindet, mithin einem neuen, ebenfalls parareligiösen Dogmatismus verfällt.

Es gibt eine Schwierigkeit der Unterscheidung von Kritik und Ideologie. Sie liegt darin, dass sich viele Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts selbst kritisch gebärden und dabei eben selbst Kritik der Ideologie und eigener Ideologie vermengen. Die Kritik nimmt dann selbst totalitär ideologische und dogmatische Züge an. Dabei dient sie selbst nur der scheinkritischen Beurteilung einer solchen Weltanschauung. Am deutlichsten ist das ein einer Ideologie schon des 19. Jahrhunderts, am sogenannten „historischen Materialismus“ zu erkennen. Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta

Von Hans Klumbies

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