Für den neueren Liberalismus dürfte John Rawls mit seiner „Theory of Justice“ (1971) der herausragende Repräsentant sein. An der unangefochtenen Spitze seiner berühmten Prinzipien der Gerechtigkeit steht eine Variante von Immanuel Kants einschlägigem Prinzip. Otfried Höffe erklärt: „Danach hat jeder das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben Recht aller anderen verträglich ist.“ Dieses Prinzip spricht sich sowohl für die liberalen Freiheitsrechte als auch die demokratischen Mitwirkungsrechte aus. In einem zweiten Prinzip wird es um ein hohes Maß an Sozialstaatlichkeit erweitert. Denn es erlaubt zwar wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, aber ist nur unter den Bedingungen fairer Chancengleichheit. Um Gerechtigkeit zu garantieren, muss eine zweiten Bedingung hinzukommen. Die entsprechende Wirtschafts- und Sozialordnung soll auch den Schlechtestgestellten zugutekommen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
John Rawls steht für den amerikanischen Pragmatismus
Das zweite Hauptwerk von John Rawls, „Politischer Liberalismus“ trägt den Liberalismus schon im Titel. Der Autor will hier zeigen, dass pluralistische Gesellschaften durchaus imstande sind, in einem „überlappenden Konsens“ genannten Prozess sich genau über die normativen Bedingungen verständigen zu können, die sie trotz ihres Pluralismus, aber auch für ihn benötigen. Otfried Höffe ergänzt: „Dazu brauchen sie weder die ohnehin strittigen religiösen oder weltanschaulichen Ansichten noch bedürfen sie einer philosophischen Begründung.“
Mit dem letzten Gesichtspunkt steht John Rawls in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus. Ihre drei großen Vertreter, Charles S. Pierce, William James und John Dewey, verzichten ausdrücklich auf Letztbegründung und absolute Gewissheit. Ähnlich wie sie das Wissen in den Dienst des Lebens stellen, trägt bei John Rawls die Philosophie zu einer Selbstvergewisserung des politischen Lebens liberaler Gemeinwesen bei. Ebenfalls vom Geist des Pragmatismus durchdrungen, aber noch philosophieskeptischer als der politische Liberalismus bei John Rawls ist Richard Rortys Gedanke einer „liberalen Ironie“.
Richard Rorty vertritt einen ironischen Liberalismus
Otfried Höffe erläutert: „Gegen die der Philosophie stets drohende Gefahr, sich nur auf ausgetretenen Denkpfaden zu bewegen, sucht Richard Rorty nachdrücklich ein zersetzendes, de-konstruktives Denken, das aber paradoxerweise konstruktiv wirke.“ In der Sprache der traditionellen Philosophie vertritt Richard Rorty einen extremen erkenntnis- und sprachtheoretischen Relativismus. Dieser erkennt für die Wahrheit keine ewiggültigen Kriterien an und stellt für die Philosophie alle verbindlichen Wahrheitsansprüche in Frage.
Aufgrund seines extremen Relativismus verzichtet Richard Rorty ironischer Liberalismus sogar auf die Menschenrechte. Stattdessen setzt er auf die zunehmende Sensibilisierung für die Schmerzen und Demütigungen anderer. Otfried Höffe erläutert: „Vielleicht weil er die festgefügten und bewährten politischen Institutionen seines Landes für zu selbstverständlich hält, hebt er die für konstitutive Demokratien doch unverzichtbare Gewaltenteilung nicht eigens hervor.“ Diese Ausführungen bestätigen, dass es den Liberalismus im Singular nicht gibt. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe
Von Hans Klumbies