Das Vertrauen ist selbst in einer Krise

Vertrauen reagiert nicht auf eine Krise, indem es in Misstrauen kippt. Denn ist selbst Teil einer Krise. Martin Hartmann nennt ein Beispiel: „Wie umfassend die Zweifel an alten Gewissheiten geworden sind, können auch die Diskussionen zum Klimawandel zeigen.“ Natürlich gibt es eine ganze Menge Evidenzen, die nahelegen, dass menschliche Einflüsse das Erdklima erwärmen. Wirkliche Gewissheit gibt es aber, so behaupten manche, nicht. Das ist die Chance der Leugner und natürlich auch der Verschwörungstheoretiker. Beide leben weniger vom kalkulierbaren Risiko als von der prinzipiellen Ungewissheit, von der sie sich ernähren. Man kann Verschwörungstheorien bekanntlich nicht widerlegen, und zwar nicht nur, weil sie meist von paranoiden Charakteren getragen werden. Diese haben keinerlei Interessen an einer Belehrung. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.

Die Klimaforschung will defensives Vertrauen

Verschwörungstheoretiker sind stets so gestrickt, dass ihnen absolut eindeutige Evidenzen für einen Sachverhalt fehlen. Gleichzeitig gib es Instanzen, etwa die Klimaforschung, die aufgrund ihnen vorliegender Beweise zum Handeln auffordern. Martin Hartmann stellt fest: „Wir können als Laien ihre Wissenschaft nicht beurteilen, aber wir können ihnen vertrauen, und deswegen wollen auch sie unser Vertrauen.“ Das Vertrauen, das die Klimaforschung will, ist eher defensiv. Denn es entspringt der Ahnung, dass ein Hinweis auf all die komplizierten Verfahren, an denen sich wissenschaftliche Forschung orientiert, kontraproduktiv wäre.

Der Appell an Vertrauen zieht gewissermaßen einen Autoritätsverlust nach sich, den man zugleich aber wieder leugnet. Man soll ja der Institution Wissenschaft vertrauen, weil viele Menschen sie nach wie vor als überlegenes Erkenntnisinstrument deuten. Die Gewissheit muss sich entweder verstecken, sie kann nicht mehr autoritär nach vorn treten und auf sich beharren. Denn sonst fängt sie tatsächlich an, an sich selbst zu zweifeln, vielleicht auch, weil es eine wachsende Orientierung an absoluter Sicherheit oder Gewissheit gibt, die keine Wissenschaft je erfüllen kann.

Eine absolute Gewissheit gibt es nicht

Man kennt das Problem aus der Risikoforschung. Je sicherer Systeme und Technologien werden, desto empfindlicher reagieren die Menschen auf die verbleibenden Risiken und Unsicherheiten. Auf paradoxe Weise wächst dann die Angst. Dabei müsste eigentlich jedem klar sein, dass es keine absolute Gewissheit gibt und damit immer auch ein Restrisiko vorhanden ist. Es gibt ein großes Paradox des Nachdenkens über das Vertrauen. Einerseits sind die Menschen daran interessiert, Bedingungen zu schaffen, die gegenseitiges Vertrauen ermöglichen sollen. Und sie beklagen gleichzeitig fehlendes Vertrauen.

Andererseits tun sie viel, um gerade das Entstehen solcher Bedingungen zu behindern, weil sie letztlich Angst vor den Verletzungen haben, die zu großes Vertrauen nach sie ziehen kann. Auch das ist ein Element der Krise des Vertrauens, das jedoch selten beschrieben wird. Zum Vertrauen gehört aber, jedenfalls so, wie Martin Hartmann den Begriff verwendet, die Möglichkeit des enttäuschten Vertrauens. Diese räumt man dem Empfänger des Vertrauens nicht deshalb ein, weil es nicht anders geht, sondern weil einem der Kontrollverzicht normativ wichtig erscheint. Quelle: „Vertrauen“ von Martin Hartmann

Von Hans Klumbies