Das soziale Unbewusste ist ein Teil der Kultur

Viele Überzeugungen eines Menschen liegen in einer weitgehend undefinierten Form vor, die Terry Eagleton als soziales Unbewusstes bezeichnet. Dabei handelt es sich um jenen riesigen Bestand an Instinkten, Vorurteilen, religiösen Einstellungen, Empfindungen, halb ausgeformten Meinungen und spontanen Annahmen, die das Substrat der das Substrat der alltäglichen Verhaltensweisen bilden und die man selten in Frage stellt. Terry Eagleton ergänzt: „Tatsächlich sind einige dieser Annahmen so tief verwurzelt, dass wir sie vermutlich nur in Zweifel ziehen könnten, wenn es zu einer weitreichenden Veränderung unsere Lebensweise käme, die sie uns zum ersten Mal deutlich zu Bewusstsein brächt.“ Dieses soziale Unbewusste ist ein Aspekt dessen, was man unter Kultur versteht. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Demokratie demonstriert eine erstaunliche Widerstandskraft

Menschenrechte zu postulieren und Demokratie zu wagen ist die beste Antwort auf die berühmte Frage des amerikanischen Philosophen John Rawls, der seine Leser aufforderte, eine gerechte Gesellschaft zu konstruieren. Philipp Blom erläutert: „Sie durften wie der weise Diktator alle Gesetze der Gesellschaft selbst bestimmen – aber sie wussten noch nicht, wo in dieser Gesellschaft sie selbst sich wiederfinden würden, ob sie als Krösus oder als Bettler leben würden, als alleinerziehende Mutter, kranker Alter oder als Popstar.“ Um die eigene Chance auf ein gutes Leben unter unvorhersehbaren Umständen zu maximieren, muss die Gesellschaft für alle so fair wie möglich sein. Allerdings stirbt jede Demokratie auf ihre eigene Weise, wie der Historiker Richard J. Evens einmal bemerkt hat. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Migrantion ist das beherrschende Phänomen der Gegenwart

Kein Mensch wird absichtlich heimatlos. Vermutlich keiner verlässt gerne den Ort, an dem die Vorfahren gelebt und gestorben sind. Christian Schüle erläutert: „Wer migriert, hat fast immer seine Heimat verloren oder war gezwungen, sie zu verlieren.“ Ihm wurde die Heimat genommen, durch Krieg, Gewalt, Dürre, Hunger, Verfolgung, Vergewaltigung, Verstoßung. Sein Zuhause ist von da an die Unbehaustheit, sein Habitat die Heimatlosigkeit. Das Selbstverständnis eines Fliehenden besteht in seiner Vertriebenheit. Migration ist das beherrschende Phänomen der Gegenwart, und der Flüchtling das traurige Extrem erzwungener Wanderungsbewegungen. Heimat richtet heute an jeden Einzelnen die Frage, wie er mit Fremdheit umgehen kann und will und was er, bezogen auf das Fremde, unter dem Eigenen versteht. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Shirley P. Glass rät zwanghafte Gedanken aufzuschreiben

Es ist wichtig zu begreifen, dass zwanghaftes Denken keine krankhafte Reaktion auf ein Trauma ist. Es ist eine normale Reaktion. Shirley P. Glass rät: „Schreiben Sie ihre Gedanken auf. Aufschreiben liefert Ihnen ein Ventil, das ihnen beim „Loslassen“ hilft, zumindest für eine Weile. Nachdem Sie Ihre Gedanken dem Papier anvertraut haben, müssen Sie nicht länger Ihr Gehirn damit verstopfen.“ Aufschreiben bietet einen sicheren Weg, Gedanken und Gefühle auszudrücken und zu erforschen, ohne sich darum kümmern zu müssen, wie sie sich auf andere Menschen auswirken. Man muss sich dabei selbst die Erlaubnis erteilen, die Gedanken unzensiert niederzuschreiben und der eigenen Besessenheit bis an den Rand der Erschöpfung nachzugeben. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Die Kontrollierbarkeit von Ereignissen ist oft eine Illusion

Illusionen der Kontrolle sind scheinbar gut für das Wohlbefinden eines Menschen. Viele Studien zeigen, dass die sogenannten Überzeugungen der Selbstwirksamkeit – also die Überzeugung, in einer schwierigen Situation das tun zu können, was nötig ist – stark beeinflussen, wie man sich in einer Situation verhält. Interessant ist, dass Menschen außerordentlich raffiniert darin sein können, sich ihre Illusionen der Kontrolle auch dann zu erhalten, wenn einige Beweise gegen sie sprechen. Selbsttäuschungen, mit deren Hilfe sich Menschen von nicht mehr haltbaren Kontrollillusionen verabschieden, kommen durchaus häufig vor. Nach dem Motto: Wenn man etwas nicht haben kann, will man es plötzlich auch gar nicht mehr. Illusionen der Kontrolle sind in der Sprache der Psychologie adaptiv. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Schon ein paar Schritte Richtung Weisheit können sehr bereichernd sein

Viele Menschen kennen nicht eine einzige Person, die sie als wirklich weise bezeichnen würden. Offensichtlich ist ein nicht so einfach, Weisheit zu entwickeln. Und ohne Zweifel gibt es auch wesentlich weniger steinige Wege zu einem recht glücklichen und zufriedenen Leben. Wenn man sich selbst nicht so hinterfragt, sich nicht zu intensiv mit den Problemen anderer Menschen und der Menschheit im Allgemeinen befasst, lebt es sich leichter und angenehmer, als wenn man auf dem Weg zur Weisheit immer alles in Frage stellen muss. Judith Glück ergänzt: „Und wenn wir diesen mühseligen Weg dennoch einzuschlagen suchen, könnte es sein, dass wir nicht allzu weit kommen, ehe wir wieder abbiegen. Aber schon ein paar Schritte können sehr interessant und bereichernd sein.“ Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Eltern müssen nicht immer und überall für ihre Kinder da sein

Eltern haben Macht und sorgen als Bezugspersonen für Sicherheit. In der Psychologie geht es häufig um die mehr oder weniger sichere Bindung von Kindern. Diese ist laut Paul Verhaeghe in der Tat von höchster Bedeutung: „Es handelt sich dabei im Wesentlichen um das Verhältnis zwischen Bezugsperson und Baby bis ins Vorschulalter. Wie sicher die Bindung eines Kindes ist, lässt sich paradoxerweise buchstäblich daran messen, wie gut es die Bezugsperson loslassen kann.“ Der Psychoanalytiker fügt hinzu: „Den Erfolg unserer Erziehung können wir daran messen, wie unsere Kinder sich von uns lösen können.“ Die vom Kleinkind gefühlte Sicherheit hängt ganz eng mit der Sicherheit und Vorhersehbarkeit zusammen, die es immer wieder erfahren hat. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Bei einem Trauma wird Todesangst erlebt

Eine Angststörung muss man ganz eindeutig von einer Traumastörung trennen. Georg Pieper erläutert: „Unter Trauma verstehen wir in der Psychologie außergewöhnlich belastende Ereignisse oder Situationen, in denen Todesangst erlebt wird. Entweder ist das eigene Leben direkt in Gefahr oder, wie zum Beispiel bei einer Vergewaltigung, die eigene körperliche Unversehrtheit schwer bedroht.“ Auch als Zeuge eines solchen Ereignisses kann man ein Trauma erleiden. In einer traumatisierten Situation erlebt man außerdem das Gefühl der totalen Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts. Man hat den Eindruck, die Situation nicht mehr handhaben zu können und ihr vollkommen ausgeliefert zu sein. Nicht alle Menschen entwickeln allerdings nach einer traumatisierenden Situation eine posttraumatische Belastungsstörung. Manche kommen mit solchen schweren Erlebnissen erstaunlich gut zurecht. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Das menschliche Gehirn ist ein raffinierter Trickbetrüger

Es ist eine Tatsache, dass sich Menschen nicht auf ihr Gedächtnis verlassen können. Von eigebildeten Erinnerungen über falsche Zeugenaussagen bis zu digitaler Amnesie: Die Psychologin Julia Shaw führt in ihrem neuen Buch „Das trügerische Gedächtnis“ den Beweis, dass das menschliche Gehirn ein raffinierter Trickbetrüger ist. Auf der Basis ihrer wissenschaftlichen Forschung zeigt sie, welchen Erinnerungen man trauen kann und welchen nicht – und wir man das Beste aus seinem trügerischen Gedächtnis herausholt. Zudem erklärt Julia Shaw, warum das Gedächtnis ähnlich wie eine Wikipedia-Seite funktioniert: Jeder kann den Inhalt selbst verändern, aber andere können es auch. Dabei stützt sich die Forscherin auf ihre richtungsweisende Forschung, in der sie Probanden davon überzeugt, sie hätten Straftaten begangen, die in Wahrheit nie verübt wurden. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Träume sind Gefühle in bewegten Bildern

Die Mehrheit der Traumforscher nimmt an, dass das Träumen dazu da ist, tagsüber Erlebtes in den bereits vorhandenen Erfahrungsschatz zu integrieren und insofern neue Erfahrungen zu formieren beziehungsweise Sichtweisen zu entwickeln. Die Wissenschaft weiß heute, dass Menschen tatsächlich im Traum lernen, auch in der Schlafphase, die mit dem Träumen verbunden ist. Brigitte Holzinger erklärt: „Wenn diese Schlafphase aus irgendeinem Grund nicht sein kann, dann wird manches, was wir tagsüber wahrgenommen haben, nicht so gut verarbeitet.“ Nicht jeder erinnert sich an seine Träume. Ein wesentlicher Faktor bei der Erinnerung ist, ob sich jemand davon etwas verspricht. Also, wenn jemand an Träumen interessiert ist, wird er sie sich eher merken als einer, für den Träume nur fantastische Gebilde sind, die nur stören. Die Psychologin und Psychotherapeutin Brigitte Holzinger ist Inhaberin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien.

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Die häufigste Diagnose bei Autounfällen heißt Schleudertrauma

Rund 300.000 Autounfälle mit Personenschäden wurden in Deutschland im Jahr 2012 erfasst. Leicht verletzt wurden dabei 318.099 Menschen. Eine der häufigsten Diagnosen lautete: Schleudertrauma. In der Fachsprache der Ärzte heißt es Halswirbelsäulen-Distorsion, posttraumatisches Zervikalsydrom oder Beschleunigungstrauma. Das Schleudertrauma beschreibt eher einen Unfallhergang als einen Befund. Professor Gert Krischak, Leiter des Instituts für Rehabilitationsmedinzinische Forschung an der Universität Ulm, erklärt: „Das ganze Geschehen bei einem Heckaufprall dauert nicht länger als eine Zehntelsekunde.“ Zuerst werden dabei Oberkörper und Kopf nach hinten gedrückt. Gert Krischak fügt hinzu: „Dabei gibt es noch keine schädlichen Einwirkungen auf die Halswirbelsäule.“ Erst in der zweiten Phase des Aufpralls kommt es zur eigentlichen Verletzung und zwar wenn der, im Vergleich zum Hals, schwerere Kopf langsamer als Hals und Oberkörper nach vorn geht.

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