Die geistige Unabhängigkeit ist die Voraussetzung für politische Freiheit

Derjenige Mensch, der in Unverständnis verharrt, lebt in tiefster Sklaverei. In seinem Werk „Versuch über den menschlichen Verstand“ leistete John Locke einige seiner folgenreichsten Beiträge zur Befreiung des Menschen. Der kanadische Politikwissenschaftler und Philosoph Charles Taylor weist darauf hin, dass der ganze Essay gegen diejenigen gerichtet ist, die anderen Vorschriften machen wollen, indem sie trügerische und vermeintlich über jeden Zweifel erhabene Grundsätze anwenden, wie beispielsweise die angeblich angeborenen Prinzipien. Matthew B. Crawford erklärt: „Gemeint sind die Priester und Scholastiker, die Bewahrer einer verkalkten aristotelischen Tradition. Ungeachtet der Reformation waren politische und kirchliche Autorität in John Lockes Zeit eng verwoben und hingen voneinander ab.“ Folglich war die geistige Unabhängigkeit Voraussetzung für die politische Freiheit. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Die Menschen sollen sich von allen Autoritäten befreien

Und John Locke ging in seinem Essay noch einen Schritt weiter. In Anlehnung an René Descartes forderte er seine Zeitgenossen auf, sich von den überkommenen Sitten und Vorstellungen, ja sogar von allen anderen Menschen in ihrer Funktion als Autoritäten zu befreien: „Wir könnten ebenso gut hoffen, mit den Augen anderer zu sehen, wie wir erwarten können, mit ihrem Verstande zu erkennen. […] Dass in unserem Hirn die Meinungen anderer auf und ab wogen, macht uns keinen Deut klüger, mögen sie auch zufällig wahr sein.“

Das Projekt der politischen Freiheit geht also in etwas Umfassenderes über: Das Ziel sollte eine Art von erkenntnistheoretischer Selbstverantwortlichkeit sein. Jeder Mensch sollte selbst die Quelle seines gesamten Wissens sein – sonst ist es kein Wissen. Diese Eigenverantwortung ist das positive Bild der Freiheit, das sich durch Subtraktion ergibt, wenn man das negative Ziel, frei von jeglicher Autorität zu sein, konsequent verfolgt. Aber diese Selbstverantwortlichkeit hat aber auch etwas Beängstigendes.

Die Erfahrung des Denkens ist über jeden Zweifel erhaben

Denn wenn man im Bemühen um Erkenntnis vollkommen auf sich gestellt ist, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie man sicher sein kann, dass das eigene Wissen wirklich Wissen ist. Eine unnachgiebige Haltung gegenüber den Aussagen anderer führt zum Problem des Skeptizismus. Matthew B. Crawford stellt fest: „Wie kann ich wissen, dass mich nicht irgendein böser Geist getäuscht hat. Schließlich führen uns unsere Sinne oft in die Irre (beispielsweise bei optischen Täuschungen). René Descartes betrachte die bloße Existenz einer Außenwelt als legitimes philosophisches Problem.

Auf der Suche nach Gewissheit, nach einer Wissensgrundlage, die gegen Herausforderungen des Skeptikers gefeit ist, kommt René Descartes auf die Idee, dass die Erfahrung des Denkens über jeden Zweifel erhaben ist. Wer denkt, muss existieren. Diese Erkenntnis ist die unerschütterliche Grundlage allen Wissens. Entscheidend ist daher nicht mehr der Inhalt des Wissens, sondern die Art und Weise, wie man dieses Wissen erlangt. Hier hat man es mit einer neuen Vorstellung von der Vernunft zu tun. Quelle: „Die Wiedergewinnung des Wirklichen“ von Matthew B. Crawford

Von Hans Klumbies

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