Der Literaturkalender 2022 weckt Erinnerungen

Diesmal dreht sich im „Literatur Kalender 2022“ alles um Momente der Erinnerung, die manchmal Haltepunkte im Leben sind. Dabei kann es sich um eine Reise, eine vergangene Liebe, ein wichtiges Gespräch oder einen Sonnenuntergang am Meer handeln. Einen Moment lang befindet sich der Erinnernde an einem anderen Ort, sei es das Haus der Kindheit, versunken in eine Melodie oder in ein Buch. Erinnerungen sind manchmal glücklich, können jedoch auch tief traurig sein. Wie zum Beispiel diese Zeilen aus dem Gedicht „Du hast Spanien gehasst“ von Ted Hughes, des Mannes von Sylvia Plath. Er veröffentlichte es in seinen „Birthday Letters“ 35 Jahre nach ihrem Suizid und kurz vor seinem eigenen Tod: „ …Ich sehe dich im Mondlicht, Den leeren Kai von Alicante entlanggehen, Wie eine Seele, die auf die Fähre wartet, Eine neue Seele, die noch immer nicht versteht, Die denkt, es sei noch immer deine Hochzeitsreise In der glücklichen Welt, dein ganzes Leben noch vor dir, Glücklich, und alle deine Gedichte warteten noch auf dich.“

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Der Held im Bildungsroman ist immer ein Mann

Die Rehabilitierung des Romans als Literaturgattung war eine Leistung der Aufklärung, aber erst in der Kunstepoche erlangte der Roman weltliterarische Geltung und trat gleichberechtigt neben das Drama. Als Kunstepoche bezeichnete Heinrich Heine die Zeit zwischen der Französischen Revolution 1789 und dem Tod Johann Wolfgang von Goethes 1832. Johann Wolfgang von Goethes „Werther“ (1774) und Christoph Martin Wielands „Agathon“ (1766/67) stellten die ersten Versuche dar, Erfahrungen und Entwicklungen des bürgerlichen Individuums episch zu erfassen. Beide Romane waren jedoch noch weit davon entfernt, die hoch gesteckten Hoffnungen zu erfüllen, die Friedrich von Blanckenburg in seiner „Theorie des Romans“ (1774) mit dem bürgerlichen Roman verbunden hatte. „Werther“ bot nur einen höchst subjektivistischen Ausschnitt der Gesellschaft. „Agathon“ war in ein antikes Gewand gehüllt und verdeckte die bürgerliche Identitätsproblematik mehr, als dass er sie verdeutlichte.

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Der erste deutsche Patriotismus war nicht politisch

Das Unheil, in welches sich die deutsche Nation in den Jahren zwischen 1933 und 1945 verrennen sollte, ist laut Thea Dorn nur zu begreifen, wenn man sich klarmacht, was in den Jahren um 1800 in Deutschland passiert ist. Die Patrioten der deutschen Aufklärung hielten ein politisch vereintes Deutschland für keine realistische Option. Ihr Idealismus hatte deshalb so milde, menschenfreundliche Züge, weil er im Kern unpolitisch war. Beim ersten deutschen Patriotismus hat es sich um keine genuin politische Bewegung gehandelt, die für ein konkretes nationalstaatliches Ziel gekämpft hätte. Sondern es ging ihr vor allem um die „Tugendhaftigkeit“ und um die „moralische Emphase“. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Heinrich Heine stand an der Spitze der literarischen Avantgarde

Heinrich Heine (1797 – 1856), der sich selbst den „letzten, abgedankten Fabelkönig“ der deutschen Romantik nannte, knüpft an George Gordon Byron an, dem Vertreter der liberalen westeuropäischen Romantik und aktiven Teilnehmer am griechischen Freiheitskampf. Bei George Gordon Byron schon findet sich die für die dann in den 20er Jahren gemeineuropäisch verbreitete literarische Haltung des „Weltschmerzes“ charakteristische Verbindung von radikaler Subjektivität und reflexiv gebrochenem Gefühl. Mit ihr verbunden sind die Erscheinungen der „Zerrissenheit“, der Hamlet-Gestalten und „problematischen Naturen“, die als Ausdruck einer ersten fundamentalen Krise der sozialen Identität oppositioneller Intellektueller in der Zeit der Heiligen Allianz und metternichschen Restauration gedeutet werden können. Diese mit sich selbst Zerfallenen sind zugleich resignierend und – im dialektischen Umschlag des Gefühls – revoltierend gegenüber der bestehenden Wirklichkeit, ohne dass allerdings die gesellschaftlichen Ursachen sofort ganz in den Blick geraten.

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Der deutsche Realismus zeichnet sich durch Verklärung und Harmonie aus

Die Literatur in der Epoche nach der Revolution von 1848 ist schwer unter einem einheitlichen Aspekt zu beschreiben: Einerseits steht sie noch immer unter dem Leitbild Johann Wolfgang von Goethes, andererseits waren besonders Schriftsteller des liberalen Lagers schon seit 1830 nicht mehr bereit, dem „Fürstenknecht“ nachzueifern. Sie standen in deutlicher, oft auch polemischer Opposition zur idealistischen und romantischen Literaturauffassung. Der Begriff „Realismus“ wurde in Europa zwischen 1830 und 1880 als allgemeiner kunsttheoretischer Terminus für die neue Literatur und zugleich als Selbstkennzeichnung des künstlerischen Standpunkts dieser Epoche benutzt. Man ging von der Wiedergabe der zeitbezogenen Aktualität aus, glaubte alle wichtigen Zusammenhänge – soziale, ökonomische, politische – an der gesellschaftlichen und individuellen Entwicklung der Figuren eines Romans, einer Novelle oder eines Dramas darstellen und auf diese Weise „das Leben“ beschreiben zu können.

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Jedes Land hat seine eigenen Klassiker

Was „Klassik“ in der Literatur eigentlich ist, lässt sich nicht eindeutig festlegen. Zum einen ist sie verstanden worden als ein von Ausnahmekünstlern, von Genies geschaffenes überzeitliches Kunst- und Lebensideal, als Norm und Vorbild schlechthin, aus entschwundener Vergangenheit leuchtend und in die Zukunft weisend. So etwa begriffen von der Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Humanisten das Klassische und hatten dabei als historische Ausformung stets nur einen Kulturraum vor Augen: die Antike – besonders die perikleische Glanzzeit Griechenlands im 5. Jahrhundert v. Chr. und die augusteische Blütezeit Roms um Christi Geburt. Die Tatsache jedoch, dass darüber hinaus die Italiener schon frühzeitig das 15. Jahrhundert (Leonardo da Vinci, Raffael), die Engländer und Spanier das 16. Jahrhundert (Shakespeare, Cervantes), die Franzosen das 17. Jahrhundert (Corneille, Molière, Racine) und schließlich die Deutschen die Goethezeit als die Epoche ihrer Klassik bezeichneten, zeigt ein verändertes Klassikverständnis an, das auch im Zusammenhang mit der Herausbildung moderner Nationalstaaten gesehen werden muss.

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Die Literatur von 1789 bis 1815 ist von hoher Qualität

Die Zeit zwischen 1789 und 1815 – dem Ausbruch der Französischen Revolution und der konservativen Neuordnung Westeuropas durch den Wiener Kongress – gehört zu den fruchtbarsten Perioden der deutschen Literaturgeschichte. In etwas mehr als 25 Jahren wurde eine Literatur geschaffen, die sowohl von ihrer Quantität als auch von ihrer Qualität her beeindruckend ist. Die klassischen Werke von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, die Werke der Romantiker und die heute weitgehend vergessene jakobinische Literatur bilden eine verwirrenden Komplex von unterschiedlichen Themen und Formen, der kaum auf einen Nenner gebracht werden kann. Den Eindruck der Vielfalt, den die Kunstepoche vermittelt, wird noch durch zwei weitere Faktoren verstärkt. Zum einen gab es neben den Autoren, die sich den großen literaturhistorischen Lagern ziemlich eindeutig zuordnen lassen, Autoren wie Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist und Jean Paul, die Einzelgänger waren und sich von den literarischen Parteien der Zeit weitgehend fernhielten.

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Als Stammvater der Novelle gilt Johann Boccaccio

Der Roman als epische Großform stellte an Autor und Leserschaft gleichermaßen hohe Anforderungen. So beschäftigte zum Beispiel der „Wilhelm Meister“ Johann Wolfgang von Goethe fast fünfzig Jahre und wurde als ein äußerst durchdachtes, sorgfältig komponiertes, künstlerisch raffiniertes gearbeitetes Zeugnis der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Identitätsproblematik nur von einer schmalen Intellektuellenschicht verstanden. Sehr wenige Autoren waren – auch finanziell – in der Lage, ihre schöpferischen Kräfte so lange an ein Werk zu binden. Hier spielte die wirtschaftliche Sicherheit Johann Wolfgang von Goethes als Berater des Herzogs von Weimar eine entscheidende Rolle. Sie bot ihm Zeit, Muße und den langen Atem für literarische Großvorhaben dieser Art. Autoren, die stärker auf den literarischen Markt, das heißt auf den Verkauf ihrer Bücher angewiesen waren, mussten notgedrungen auf die Adressatenorientierung und die Verkaufschancen ihrer Werke achten.

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Die „Goethezeit“ stellt den deutschen Beitrag zur Weltkultur dar

Was zur Menschwerdung gehört, ist nicht so sehr die dauernde Rückversicherung bei sich selbst, sondern das sich offen halten für das andere, Fremde. Gerade die Deutschen sind von alters her geradezu Herolde der Entwurzelung. Ein anderes Volk hat so sehr die Erlösung von sich selbst, von seinen nationalen, geografischen, mentalen Prägungen immer wieder zum Thema seiner großen Kunstwerke und kulturellen Hervorbringungen gemacht. In der größten kulturellen Blütezeit in Deutschland, während jener paar Jahrzehnte vor und nach 1800, die gemeinhin als „Goethezeit“ bezeichnet werden und die bis heute das Paradigma für den deutschen Beitrag zur Weltkultur darstellen, ist die Sehnsucht nach Entgrenzung das Thema schlechthin. Deutsche Klassik und Romantik, sie bringen mit unterschiedlicher Akzentuierung die Verherrlichung des antiken Griechenlands und des klassischen Italien mit sich.

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Die Deutsche Literaturgeschichte beginnt im frühen Mittelalter

Das Lexikon „Deutsche Literaturgeschichte, das in der 8. Auflage im Verlag J. B. Metzler erschienen ist, stellt die nahezu 14 Jahrhunderte umfassende Geschichte der deutschsprachigen Literatur dar. Die ausgezeichneten Texte sind mit 555 Bildern illustriert. Eingeteilt ist das Werk in 15 Kapitel, beginnend bei der Literatur des Mittelalters, endend bei den Tendenzen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Neben den literarischen werden auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge der einzelnen Epochen analysiert. Die achte Auflage enthält ein neuverfasstes Kapitel zum Literaturbetrieb und Ergänzungen im Schlusskapitel um die die Entwicklungen der letzten Jahre. Zu Beginn ihrer Ausführungen weist das Autorenteam darauf hin, dass die ersten bekannten Texterzeugnisse auf germanischem Boden nur in ganz wenigen Beispielen, zudem in Überlieferungen späterer Zeit, erhalten sind.

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Ironie setzt das geschärfte Bewusstsein eines Konflikts voraus

Die großen Ironiker wie Sokrates, Michel de Montaigne, Alfred de Musset und Heinrich Heine treten laut Henri Lefebvre in unruhigen, gestörten Zeitläufen auf, wenn sich die Menschen in ihrem Umkreis bedeutsamen Angelegenheiten widmen, wenn die Zukunft von großen Entscheidungen abhängt, wenn enorme Interessen im Spiel sind und die Menschen der Tat sich rückhaltlos in den Kampf begeben. Henri Lefebvre fügt hinzu: „Dann genau zieht der Ironiker sich auf sich selbst zurück, ohne sich freilich für immer einzuigeln.“ Er besinnt und stärkt sich nur, um anschließend dach draußen zum Publikum zurückzukehren, um die Akteure des Kampfes zu befragen, ob sie wirklich wissen, warum sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Der Ironiker erkennt als erster die Grenzen der aufgebotenen Interessen und die Chancen der vorliegenden Taktiken.

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Ein Exkurs von Gordon A. Graig über die deutsche Sprache

Schöpfer der deutschen Sprache war, wie Heinrich Heine in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ schrieb, Martin Luther. Dies ist für Gordon A. Craig keine Übertreibung, denn wie immer man Literatur der einzelnen deutschen Dialekte bewertet, die Basis für eine gemeinsame deutsche Literatur existierte erst, als der Mönch aus Wittenberg die Voraussetzungen dafür schuf. Seine Bibelübersetzung und seine politischen und theologischen Flugblätter waren eingebettet in eine neue Sprache von unvergleichlicher Klarheit und Fülle. Seine Wortwahl war kraftvoll und dennoch sensibel und gleichermaßen geeignet für die Erfordernisse von Darlegung und Argumentation sowie für Satire und Humor. Gordon A. Craig, der von 1913 bis 2005 lebte, war amerikanischer Historiker und Schriftsteller schottischer Herkunft. Er erhielt im November 1981 für sein Werk „Deutsche Geschichte 1866-1945“ den Historikerpreis der Stadt Münster.

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Der Romantiker und moderne Autor Heinrich Heine

Die Meinungen über Heinrich Heine sind geteilt: Für die einen ist er der größte Lyriker nach Johann Wolfgang von Goethe, einer der ganz großen Virtuosen der deutschen Sprache in Dichtung und Journalismus. Für die anderen bleibt und ist er eine zweifelhafte Figur: ein flatterhafter Spötter, ein charakterloser Erotomane, ein dubioser Nestbeschmutzer. Zu seinen engsten Freunden in seiner Kindheit zählte Josefa die Nichte des Düsseldorfer Scharfrichters und der „Hexe von Goch“, die den Kindern geheimnisvolle, längst vergessene Volkssagen und schaurige Totenlieder vorsang.

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Die Märchen des Hans Christian Andersen

Das Geheimnis des Erfolges von Hans Christian Andersen beruhte auf seiner blühenden Phantasie, mit der er alle bezauberte, weil er alles verzauberte, und selbst tote Gegenstände, Pflanzen und Tiere sprechen ließ. Hans Christian Andersen war allerdings nicht nur ein liebenswürdiger Märchenerzähler, sondern auch ein witziger Satiriker und aggressiver Gesellschaftskritiker. In seinen Erzählungen und Märchen hat Hans Christian Andersen immer wieder das Motiv des aus kleinen Verhältnissen aufsteigenden Dichters, Bildhauers oder Malers aufgenommen. Aus eigener bitterer Erfahrung schildert er immer wieder den Kampf genialer Menschen, die durch äußere Umstände benachteiligt sind und sich ihren Erfolg im Leben hart erkämpfen müssen.

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