Bodo Kirchhof wurde im Frankfurter Römer für seine Novelle „Widerfahrnis“ (FVA) mit dem Deutschen Buchpreis 2016 ausgezeichnet. Dieses Werk erzählt von zwei älteren Menschen, die sich kaum kennen und gemeinsam ihrem Leben und ihren Krisen davonfahren gen Süden und in Richtung einer späten Liebe. Doch plötzlich treffen die Flüchtlinge des Lebens in Sizilien auf echte Flüchtlinge, eine Begegnung von Ideen und Projektionen mit der Realität der Gegenwart. Für Bodo Kirchhoff ist dieser Preis mehr als nur die Auszeichnung dieses Buches: „Man hat das Buch, aber auch das, was ich vorher geschrieben habe, endlich einmal für sich gesehen und gewürdigt. Häufig hat meine Person dem Werk im Weg gestanden.“ Bodo Kirchhoff hat ein einem verhältnismäßig kurzem Zeitraum von wenigen Jahren drei Bücher geschrieben, die stark beachtet wurden.
Der Deutsche Buchpreis geht im Wesentlichen auf Bodo Kirchhoff zurück
Deshalb mussten sich die Kritiker mehr mit seinem Werk als der Person des Autors beschäftigen, was sich auch in dem Deutschen Buchpreis 2016 ausgedrückt hat. Die Auszeichnung war für Bodo Kirchhoff sehr erlösend. Es war für ihn eine Erlösung in dem Sinne, dass das Werk nun auf eigenen Füßen steht. Vorher stand es auf merkwürdig tönernen Füßen. Im Schatten von vergangenen Bestsellererfolgen und begleitet auch von diffusem Neid. Durch die Schreibseminare, die Bodo Kirchhoff zusammen mit seiner Frau jeden Sommer am Gardasee veranstaltet, bekommt er stark mit, welche Mutmaßungen über ihn angestellt werden.
Bodo Kirchhoff erklärt: „Man glaubt, von der Bekanntheit eines Menschen auf sein Bankkonto schließen zu können. Aber ich gebe diese sehr anstrengenden Schreibkurse nicht nur aus Liebe zur Sache, obwohl ich es auch gern mache, sondern weil sie mich finanziell unabhängig machen. Ich muss meine Bücher nicht mehr damit belasten, dass ich mit ihnen Geld verdiene.“ Mit dem Deutschen Buchpreis verbindet Bodo Kirchhoff eine eigene Geschichte, da der Preis im Wesentlichen auf ihn zurückgeht. Nach dem Roman „Parlando“ von 2001 hatte er das Gefühl, es hätte mehr Leser dafür geben können.
Der Begriff „Widerfahrnis“ steht für die Liebe und den Tod
Bodo Kirchhoff erzählt: „Ich dachte, es müsste in Deutschland etwas existieren, um Romanen einen Rückenwind zu geben, so wie den Prix Concourt oder der Man Booker Prize. Der Anspruch, einen „Deutschen“ Literaturpreis zu vergeben, hat die Leute damals fast erschrocken.“ Er ging dann in die Hände des Börsenvereins über, und Bodo Kirchhoff war Sprecher der ersten Jury. Von Anfang an hat er sich dafür eingesetzt, dass im Mittelpunkt das Werk steht. Das Wort „Widerfahrnis“, den Titel seiner Novelle, hatte Bodo Kirchhoff seit Jahren im Kopf.
Dann kam auf Sizilien etwas von außen dazu, was für den Schriftsteller sehr stark und bewegend war, die Flüchtlinge. Bodo Kirchhoff hat erkannt, dass viele immer nur die große Zahl sehen, aber nicht die Größe in der Sache, außer vielleicht Bundeskanzlerin Angela Merkel, am Anfang jedenfalls. Es gibt auch einen autobiographischen Kern in der Novelle, wobei ab einem gewissen Punkt bei Bodo Kirchhoff die Lust am Schreiben und Fabulieren einsetzt. Der Begriff „Widerfahrnis“ steht im Buch für mehrere Dinge: die Liebe, den Verlust und die Begegnung mit dem Flüchtlingsmädchen, auch für die Begegnung mit dem Tod.
Kurzbiographie: Bodo Kirchhoff
Bodo Kirchhoff wurde 1848 in Hamburg geboren. Im Jahr 1968 machte er Abitur in einem christlichen Internat am Bodensee. 2010 berichtet er im „Spiegel“, dass er als Schüler in der Internatsschule sexuell missbraucht worden sei. Er lebt in Frankfurt und am Gardasee, wo er seit 2003 gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Bauer Schreibseminare gibt. Mit „Die Liebe in großen Zügen“ (2012) stand er bereits auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Wichtige Werke sind: „Infanta“ (1990), „Parlando“ (2001), „Wo das Meer beginnt“ (2004), Eros und Asche (2007), „Verlangen und Melancholie(2014). Quelle: Welt Kompakt
Von Hans Klumbies