Jede Meinung ist zunächst zu gut wie jede andere

Die Idee einer parlamentarischen Demokratie ist darauf angelegt, durch Debatten einen Konsens zu erzeugen, der vorher nicht bestand. In den Konsens sollen, wie bei einem Kompromiss, verschiedene Perspektiven mit einfließen. Damit soll sichergestellt werden, dass möglichst viele Bevölkerungsgruppen, in die sich die Wählerschaft einteilt, repräsentiert sind. Markus Gabriel erklärt: „Im Raum der freien Meinungsäußerung ist somit zunächst einmal jede Meinung so gut wie jede andere.“ Ob sie auch wahr ist, spielt scheinbar keine Rolle. Deshalb führt diese Vorstellung dazu, dass man den Wert der Wahrheit in ethisch dringlichen und schwierigen Fragen durch Strategien der Kompromisslösung ersetzt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Paul Kirchhof kennt die Freiheitsrechte

Die Verfassung gewährleistet nicht Freiheit, sondern ein Freiheitsrecht, das definiert, begrenzt, auf die Freiheiten anderer und das Gemeinwohl abgestimmt ist. Paul Kirchhof betont: „Im Mittelpunkt des Rechtsstaates steht die Freiheit.“ Die Menschen wehren sich gegen Sklaverei, gegen willkürliche Verhaftung, gegen Entrechtung und Verachtung bestimmter Gruppe und Einzelpersonen. Im Kern weist das Freiheitsanliegen die Obrigkeit in Distanz und unterbindet deren Willkür durch Recht. Ist dieses Freiheitsziel erreicht, beginnt der Aufbau einer vorbereitenden Freiheitsordnung. Diese verhindert zukünftige Freiheitsverletzungen und fördert den Freiheitsberechtigten in der Freiheitswahrnehmung und der Mitgestaltung des Gemeinwesens. Der Gesetzgeber erlässt ein Bürgerliches Gesetzbuch, gibt damit der Eigentümer- und Berufsfreiheit die Möglichkeit verbindlichen Gestaltens. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Viele Menschen glauben an eine Führerfigur

Im Unterschied zur traditionellen Auffassung, dass Autorität in Gott begründet liegt, sowie in Immanuel Kants Überzeugung, dass der Mensch selbstständig denken muss, glauben viele Menschen, dass Autorität am besten von einer Führerfigur ausgehen sollte. Paul Verhaeghe stellt fest: „Den Glauben an einen großen Anführer, der aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften (er ist weise und gerecht) die Befehlsgewalt erwirb oder zumindest bekommt, gab es zu allen Zeiten.“ Die Idee geht zurück auf Platons Philosophenkönig, doch der wichtigste Impuls ging von Thomas Hobbes aus. Nach ihm legt Jean-Jaques Rousseau eine sehr eigene Interpretation des Gedankens vor. Und in Deutschland plädierte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts seinerseits Max Weber für eine charismatische Führerschaft. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Die Geschichte der Philosophie bewegt sich zwischen Extremen

Die Geschichte der Philosophie bewegt sich zwischen Extremen: Am einen Ende der Skala gibt es Meister der Festlegung, die immerzu ihren einen und einzigen Gedanken denken, ihn bestenfalls noch variieren. Andreas Urs Sommer kennt einige von ihnen: „Zu den Meistern der Festlegung gehört Arthur Schopenhauer, auch Baruch de Spinoza.“ Am anderen Ende gibt es die Meister der Verflüssigung, die stets wieder Neues, Ungedachtes aushecken und dem vermutlich fest Gegründeten den Boden entziehen. Zu diesen Meistern der Verflüssigung zählt Andreas Urs Sommer nicht nur Skeptiker wie Sextus Empiricus, Michel de Montaigne oder David Hume, sondern auch den deutschen Philosophen Wilhelm Joseph Schelling. Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

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Die Aufklärung stellte die Vernunft ins Zentrum des Denkens

Die Aufklärung bot eine Möglichkeit, den erwachenden Machtanspruch der urbanen Mittelschicht argumentativ zu untermauern. Philipp Blom zählt die Argumente auf: „Wir sind alle gleich, alle frei, haben alle dieselben Rechte, jeder von uns muss die Möglichkeit haben, sein Leben zu gestalten und in der Gesellschaft eine Rolle zu spielen.“ Jeder Mensch hat ein Anrecht auf Respekt, unabhängig von seiner Religion, seinen Überzeugungen, seiner Herkunft. Gleichzeitig machte es das Zusammenleben von sehr unterschiedlichen Menschen möglich, solange sich alle, wie die Aufklärer argumentierten, an die Gesetze hielten, welche die Vernunft diktierte und die im Allgemeinen Willen zum Ausdruck kamen. Sowohl die Aufklärer als auch ihr erklärter Feind Jean-Jacques Rousseau argumentierten mit dem Allgemeinen Willen, der von der Gemeinschaft ausgedrückt wird. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Versprechen müssen gehalten werden und Lügen ist nicht gestattet

Nach Immanuel Kant gibt es zahllose hypothetische Imperative der Form „Wenn du A willst, musst du B tun“, die eine Handlung eines Menschen auf bestimmte Absichten steuert. Kategorisch – also unabhängig von Absichten und Bedingungen und für alle ohne Wenn und Aber geltend – ist jedoch nur einer, der von allem Inhaltlichen absieht und die reine Form des Moralurteils darstellt. Ludger Pfeil erklärt: „Der gute Wille ist es, der dabei bereits fürs Werk zählt.“ Während andere eine Vielzahl konkreter Regeln als Anleitung zum Handeln aufstellen, kommt Immanuel Kant elegant mit dieser einzigen aus: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Kränkungen sind die Wurzel der meisten Übel in der Welt

Gerichtspsychiater Reinhard Haller glaubt, dass fast jedem menschlichem Problem eine Kränkung zugrunde liegt. Reinhard Haller, der zugleich Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik ist, wird seit Jahren mit der Begutachtung großer Kriminalfälle beauftragt. Bei den Tätern sieht er die auffällige Gemeinsamkeit der Gekränktheit. Kränkungen bedeuten Angriffe auf Selbstachtung, Ehrgefühl und Werte. Sie treffen einen Menschen im Innersten. Und doch haben sie auch eine positiven Einfluss auf die Menschheit – auf ihre Kulturgeschichte und ihr Zusammenleben. Reinhard Haller sieht in der Kränkung die Wurzel der meisten Übel in der Welt. Gleichzeitig redet komischerweise fast niemand über diese Empfindung. Reinhard Haller nennt einen Grund dafür: „Kränkungen sind was für Warmduscher und Weicheier, sagt man sich. Kränkungen sind peinlich. Darum bleiben sie meistens im Verborgenen.“

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Michel de Montaigne verehrt die wahre Freundschaft

Die Natur hat den Menschen für das Zusammenleben geschaffen. Aber um eine vollständige und vollkommene Freundschaft aufzubauen, bedarf es laut Michel de Montaigne so vieler günstiger Umstände, dass dies im Zeitraum von drei Jahrhunderten nur einmal vorkommt. Er zitiert Aristoteles, der gesagt hat, dass deshalb den guten Gesetzgebern die Freundschaft mehr am Herzen gelegen sei als die Gerechtigkeit. Michel de Montaigne schreibt: „Nun ist die Freundschaft die eigentliche Erfüllung des Ideals der Gesellschaft: alle anderen Beweggründe für menschliche Bindungen, sexuelle Anziehung, Vorteil, Notwendigkeit für die Gruppe oder für den einzelnen, sind weniger schön und uneigennützig.“

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Freie Bürger sind für die Folgen ihrer Handlungen verantwortlich

In einer freiheitlichen Gesellschaft ist es der einzelne Bürger selbst, der entscheidet, was gut für ihn ist. Jedes ist seines Glückes Schmied. Das bedeutet aber auch, dass jeder für die Folgen seines Tuns auch selbst einzustehen hat. Daniel Zimmer erklärt: „Der Mensch wird in einer freiheitlichen Gesellschaft als vernunftbegabtes Wesen angesehen – auch wenn seine Fähigkeit zur Vernunft in dem einen oder anderen Grad eine Fiktion darstellt.“ Eine auf freie Entscheidungen von Bürgern gegründete Gesellschaftsordnung kann nur funktionieren, wenn jeder für die Folgen seiner Handlungen verantwortlich ist. In dem Grade, in dem diese Möglichkeit zu Selbstbindung beschränkt wird, wird eine Gesellschaft unfrei. Professor Dr. Daniel Zimmer ist Vorsitzender der Monopolkommission und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics der Universität Bonn.

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In allen Fragen der Moral gehen die Ansichten weit auseinander

Die große Vielfältigkeit des Geschmacks wie auch der Meinungen, die in der Welt herrscht, ist allzu offensichtlich, um nicht jedermann aufzufallen. Selbst Menschen mit sehr geringer Bildung können feststellen, dass es im engen Umkreis ihrer Bekannten Unterschiede des Geschmacks gibt, auch wenn sie alle dieselbe Erziehung genossen und von früh an denselben Vorurteilen ausgesetzt waren. Jene aber, die ihren Horizont vergrößern und fremde Völker und ferne Zeiten mit in den Blick nehmen, sind dann doch überrascht, wie groß die Unstimmigkeit und Gegensätzlichkeit ist. David Hume erklärt: „Wir neigen dazu, „barbarisch“ zu heißen, was nur weit genug von unserem Geschmack und von unserer Auffassung abweicht – um freilich bald festzustellen, dass das herabsetzende Epitheton uns selbst zurückgegeben wird.“ David Hume, der von 1711 bis 1776 lebte, gehört zu den Klassikern der europäischen Philosophie.

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Das Verhältnis zwischen Gesetz und Moral ist sehr kompliziert

Obwohl die meisten Menschen erwarten, dass es zwischen Moral und Gesetz eine Beziehung gibt, ist es für Julian Baggini keine einfache Sache, die beiden Dinge so nahe wie möglich zusammenzubringen. Vieles, was Menschen als falsch erachten, ist nicht gesetzwidrig, und vieles, was gesetzwidrig ist, ist in sich nicht falsch. Und die meisten möchten, dass dies so bleibt. Der Philosoph Julian Baggini ist 1968 in Dover, Kent geboren. Er ist Mitbegründer und Herausgeber des „Philosopher´s Magazine“. Er schreibt regelmäßig für große Zeitungen und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Eines seiner Bücher trägt den Titel „Der Sinn des Lebens“ und ist 2005 im Piper Verlag erschienen. Sein neuestes Werk trägt den Titel „Ethik“ und ist im Verlag Springer Spektrum veröffentlicht worden.

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Herbert Schnädelbach begibt sich auf die Spur der Naturgesetze

Herbert Schnädelbach definiert Gesetze wie folgt: „Es handelt sich dabei um allgemein verbindliche Rechtsnormen, die von einer zur Rechtssetzung ermächtigten staatlichen Instanz als dem Gesetzgeber in einem selbst gesetzlich fixierten Verfahren erlassen wurden.“ Herbert Schnädelbach unterscheidet zwischen materialen und formalen Gesetzen. Die materialen Gesetze sind für die Regeln des sozialen Zusammenlebens der Menschen zuständig, sowohl in zivilrechtlicher als auch in strafrechtlicher Hinsicht. Die formalen Gesetze dagegen umfassen alle Beschlüsse, die ein Gesetzgeber verabschiedet, zum Beispiel ein Haushaltsgesetz für ein bestimmtes Jahr. Aber nicht allen Normen, die das Leben der Menschen bestimmen, sind Rechtsnormen, sondern nur diejenigen, deren Geltung mit den Mitteln legitimer Staatsgewalt auch gegen Widerstand durchgesetzt werden kann. Vor seiner Emeritierung war Herbert Schnädelbach Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Paul Kirchhof fordert einen Subventionsabbau in allen Bereichen

Das Stabilitätsgesetz vom 8. Juni 1967 verpflichtet die Bundesregierung jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen, also einen Subventionsbericht, zu veröffentlichen. Paul Kirchhof erklärt: „Dieser unterrichtet über die Fortschritte bei einem Subventionsabbau sowie über die Aufteilung der Förderung auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche.“ Eine Subventionsabbauliste ist beigefügt. Paul Kirchhof beklagt, dass bis heute kein substantieller Subventionsabbau gelungen ist. Der Umfang verharrte lange Jahre auf hohem Niveau. Mit der Hälfte der Subventionen wurde die gewerbliche Wirtschaft, mit einem Viertel das Wohnungswesen gefördert. Paul Kirchhof ist einer der führenden Finanzexperten und bekanntesten deutschen Autoren. Er ist Professor für Öffentliches Recht sowie Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg und war zwölf Jahre Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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Rettungsschirme schützen Banken und Anleger vor Privatverlusten

Bisher hat der Staat der privaten Hand Gelder nur zugewendet, um einen Preis für empfangene Güter zu bezahlen. Es handelt sich dabei um Subventionen, um zum Beispiel zu erreichen, dass private Untenehmen in einem staatlich kontrollierten Leistungsprogramm mitwirken. Es kann sich dabei auch um eine Entschädigung bei Enteignung oder theoretisch um einen Finanzausgleich bei einer Sozialisierung handeln. Die Zeiten haben sich aber geändert. Paul Kirchhof schreibt: „Doch dieses System von Gütertausch, Enteignung, Subvention oder Sozialisierung scheint nunmehr durch staatliche Geldleistungen großen Stils erweitert zu werden, neue Formen staatlicher Geldzuwendungen zwischen Wirtschaftsfreiheit, Feudalherrschaft und Sozialisierung zu entwickeln.“ Paul Kirchhof ist einer der führenden Finanzexperten und bekanntesten deutschen Autoren. Er ist Professor für Öffentliches Recht sowie Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg und war zwölf Jahre Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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Die größten Schwächen der Europäischen Union

Die Europäische Union war wahrscheinlich das Beste, was der Kontinent jemals hervorgebracht hat. Doch im Laufe der Geschichte hat sich das Bündnis zu einem unkontrollierbaren und unabwählbaren Monster entwickelt. Die europäische Idee war im Grunde sehr einfach: durch eine allmähliche Verschränkung der Volkswirtschaften würde bald jedes Motiv, ja jede logistische Möglichkeit wegfallen, um in Europa Kriege zu führen. Schon Immanuel Kant träumte den Traum vom ewigen Frieden, der mit der Einführung des Euro scheinbar auszubrechen schien. Das friedliche Europa ist heute keine Fiktion mehr, sondern Realität geworden. Es gibt keine Binnenkonflikte mehr, auch Massenarmut und Diktaturen gehören der Vergangenheit an. Der Kontinent hat sich zudem zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt.

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In der Demokratie bleiben die Bürger meist Zuschauer

Das Misstrauen gegen Formen der direkten Demokratie ist in Deutschland tief verwurzelt. Laut Lutz Wingert werden Volksabstimmungen schnell mit der Herrschaft von Stimmungen der leicht erregbaren, launischen Bürger gleichgesetzt. Folgerichtig hat der Gesetzgeber Sicherungen gegen ein Übergreifen von unberechenbaren politischen Laien auf die komplizierte Gesetzgebung eingebaut. So müssen sich in Baden-Württemberg zum Beispiel 33 Prozent der Stimmberechtigten an einer Volksabstimmung über ein Gesetz beteiligen. Nur dann wird eine Mehrheit unter ihnen für ein Ja zu einem bindenden Volksentscheid. In Deutschland wird Demokratie scheinbar noch immer maßgeblich als Regieren für das Volk und nicht durch das Volk verstanden. Lutz Wingert ist Professor für Philosophie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und Mitglied des Zentrums für Geschichte des Wissens an der Universität und ETH Zürich.

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