Heinrich Heine stand an der Spitze der literarischen Avantgarde

Heinrich Heine (1797 – 1856), der sich selbst den „letzten, abgedankten Fabelkönig“ der deutschen Romantik nannte, knüpft an George Gordon Byron an, dem Vertreter der liberalen westeuropäischen Romantik und aktiven Teilnehmer am griechischen Freiheitskampf. Bei George Gordon Byron schon findet sich die für die dann in den 20er Jahren gemeineuropäisch verbreitete literarische Haltung des „Weltschmerzes“ charakteristische Verbindung von radikaler Subjektivität und reflexiv gebrochenem Gefühl. Mit ihr verbunden sind die Erscheinungen der „Zerrissenheit“, der Hamlet-Gestalten und „problematischen Naturen“, die als Ausdruck einer ersten fundamentalen Krise der sozialen Identität oppositioneller Intellektueller in der Zeit der Heiligen Allianz und metternichschen Restauration gedeutet werden können. Diese mit sich selbst Zerfallenen sind zugleich resignierend und – im dialektischen Umschlag des Gefühls – revoltierend gegenüber der bestehenden Wirklichkeit, ohne dass allerdings die gesellschaftlichen Ursachen sofort ganz in den Blick geraten.

Ab 1831 lebte Heinrich Heine im Pariser Exil

Indem Heinrich Heine George Gordon Byron bei dessen Tod 1824 als seinen „Vetter“ bezeichnet und dabei auf den politischen Kern von George Gordon Byrons Weltschmerzhaltung aufmerksam macht, rückt er auch für sich den politischen, allerdings radikal subjektiv, ja provozierend privat und bekenntnishaft abgefassten Protest gegen eine unadlig feudale und philiströs bürgerliche Welt in den Vordergrund – dies freilich zunächst noch ohne George Gordon Byrons Trotz, aber dafür mit sich steigernder Ironie.

Die Gegenwart, so schreibt Heinrich Heine 1831, erfordere den „scharfen Schmerzjubel jener modernen Lieder, die keine katholische Harmonie der Gefühle erlügen wollen und vielmehr, jakobinisch unerbittlich, die Gefühle zerschneiden, der Wahrheit wegen“. Ab 1831 im Pariser Exil lebend, vollendete Heinrich Heine die begonnene Kritik der Romantik als „Poesie der Ohnmacht“ durch eine theoretische Fundierung, durch die sein schriftstellerisches Selbstverständnis und seine Einschätzung der Funktion von Literatur im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse eine neue Qualität erlangten.

Heinrich Heine klagte Thron und Altar scharf an

Zuvor hatte er in der Vorrede zu den „Französischen Zuständen“ (1832), die auch als Flugschrift verbreitet wurde, seinen Anspruch als öffentlicher Sprecher der intellektuellen Opposition manifestiert: Es ist eine der schärfsten Anklagen, die im Vormärz gegen Thron und Altar geschrieben worden sind. Heinrich Heine stand an der Spitze der literarischen Avantgarde, zu der sich auch die sogenannten jungdeutschen Schriftsteller (Gutzkow, Laube u. a.) rechneten, die nach Heinrich Heines Worten und Programm „keinen Unterschied machen wollten zwischen Leben und Schreiben.

Heinrich Heine hat dieses Konzept einer operativen Literatur in den 30er Jahren, zunächst unter skeptischem Verzicht auf poetische Umsetzung, theoretisch weiter präzisiert, indem er sich in der polemisch scharfen Auseinandersetzung mit Ludwig Börne schroff abgrenzte von Forderungen der republikanischen Opposition, sein Künstlertum unmittelbar in deren Dienst zu stellen. Heinrich Heine bestand mit seinem Begriff vom politischen Künstler jetzt stärker auf einer Position „zwischen den Parteien“, wofür ihm von seinen Kritikern in völliger Verkennung „Gesinnungslosigkeit“, sogar Verrat vorgeworfen wurde. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler

Von Hans Klumbies