Die Pflicht des Vergebens gilt nicht für das Böse

Die Philosophin Hannah Arendt vertritt die Meinung, verstimmte Verbrechen von der Möglichkeit des Verzeihens auszuschließen: „Zweifellos bildet die Einsicht >Denn sie wissen nicht, was sie tun< den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Während für den französischen Philosophen Jacques Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss: Das Unverzeihliche mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Damit bleibt Arendts Begriff des Verzeihens innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits der Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

Weiterlesen

Eine Trennung ist keine Schande

Keine Ansprüche von außen, keine Normen, keine Moral sollen sich in die gegenwärtigen Konstrukte der Liebe einmischen. Die israelische Soziologin Eva Illouz, die gerade an einem Buch mit dem Titel „Unloving“ arbeitet, erklärt: „Das ist die Kehrseite der sexuellen Freiheit, für die wir gekämpft haben. Es ist allein unser Verlangen und unser Gefühl, das legitimiert, was wir tun. Sobald das schwindet, schwindet auch unser Engagement für die Beziehung.“ Unter diesen Vorzeichen kann man ihrer Meinung nach beispielsweise auch das Fremdgehen nicht mehr in moralischen Kategorien begreifen. Derjenige, der es tut, drückt damit lediglich das eigene sexuelle Verlangen aus. Und das ist heute um seiner selbst willen zulässig. Eva Illouz stellt fest: „Weder das Scheidungsrecht noch die Psychologie suchen noch nach Schuldigen.“

Weiterlesen

Verschwörungstheorien bieten simple Erklärungen

Populisten bedienen sich auch in Deutschland gezielt Verschwörungstheorien. Auf die Frage, warum plötzlich so viele Leute dazu bereit sind, den größten Irrsinn zu glauben, antwortet Michael Butter: „Weil Verschwörungstheorien den Zufall beseitigen und dem Einzelnen die Chance geben, eine simple Erklärung für etwas zu finden, was ihn nervt, verängstigt oder belastet.“ Außerdem erlauben es Verschwörungstheorien, mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen. Das können dann wahlweise die Politik, die Medien oder auch die Flüchtlinge sein. Zudem kann sich der Einzelne mit Verschwörungstheorien aus der Masse herausheben, weil er derjenige ist, der weiß, wie der Hase läuft. Der Kulturhistoriker Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und Initiator eines EU-Forschungsprojekt zur vergleichenden Analyse von Hintergründen, Nutzen und Gefahren von Verschwörungstheorien.

Weiterlesen

Jürgen Habermas nennt die Schuldigen der Europakrise

Der weltberühmte deutsche Philosoph Jürgen Habermas ist der festen Überzeugung, dass Europa eine gemeinsame Sozialpolitik braucht. Er fordert eine wohlfahrtsstaatliche Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Euro-Zone herzustellen und lehnt sich dabei an den Artikel 106 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland an. Erst dann kann sich laut Jürgen Habermas ein europäisches Bürgerbewusstsein bilden, das zugleich der Ausdruck einer europaweiten staatsbürgerlichen Solidarität wäre. Für ihn ist die gegenwärtige Krise weniger eine ökonomische als vielmehr ein normatives Versagen. Er klagt an: „Europa versagt vor dem demokratischen Pensum, das es seinem Begriff nach zu leisten hat.“ Seine Kritik richtet sich dabei sowohl gegen die politischen Eliten, das Bundesverfassungsgericht als auch gegen die Medien.

Weiterlesen