Julia Shaw hat wirklich eine Abneigung gegen Typologien, die versuchen, Menschen, die einen Mord begangen haben, auf der Grundlage der Tatorte, die sie hinterlassen, oder ihrer vermeintlichen unbewussten Motivation zu klassifizieren. Allerdings steht sie auf funktionale Typologien. Und der im Jahr 2007 von Albert Roberts und seinen Forscherkollegen veröffentlichte Aufsatz hält in dieser Hinsicht einer Prüfung stand. In diesem Aufsatz behaupten die Forscher, dass „Homizid kein homogenes Verhalten ist. Menschen, die Tötungsdelikte begehen, unterscheiden sich in puncto Motivation, Umweltfaktoren, Demografie und interpersoneller Dynamik. Verschiede Faktoren komplexer Kombinationen führen Tötungsdelikte herbei.“ Morde, die politisch motiviert sind, fehlen in ihrer Taxonomie. Die Forscher stellten jedoch fest, dass die meisten Morde trotz dieser Komplexität gut in eine Vierer-Typologie passen, die nur auf den wesentlichsten Elementen des Verbrechens basiert. Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.
Menschen werden aus lächerlichen Gründen zum Mörder
Bei der ersten Art handelt es sich um „Morde, die durch Auseinandersetzungen oder Streit herbeigeführt werden“ – Streit, der manchmal aus lächerlichen Gründen eskaliert. Es sind impulsive Reaktionen auf geringfügige Frustrationen. Die Mordmotive sind hierbei in der Regel nicht nachvollziehbar, sondern basieren auf der Wahrnehmung des Täters, dass die Gewalt in diesem Moment gerechtfertigt ist. Bei der zweiten Tötungsart handelt es sich um ein „Verbrechen mit Todesfolge“.
Es liegt vor, wenn Menschen jemanden während der Verübung eines schweren Verbrechens fahrlässig oder absichtlich umbringen. Die Todesfälle ereignen sich in Folge von Raubüberfällen, Einbrüchen oder Entführungen. Hier besteht das Endziel nicht darin, jemanden umzubringen, sondern Zugang zu Geld oder anderem zu erhalten. Die dritte Art sind „Tötungsdelikte im Rahmen von häuslicher Gewalt oder von Gewalt durch Beziehungspartnern“. Hier töten die Menschen ein Familienmitglied oder ihren Partner.
Die Rückfälligkeitsraten bei Mord sind extrem gering
Diese Morde werden nicht aus materiellen Gründen begangen, sondern sind den Komplexitäten von menschlichen Emotionen und von Macht in Beziehungen geschuldet. Die vierte Tötungsart, die Roberts und seine Kollegen aufführen, ist der sogenannte „Unfalltod“. Dieser beinhaltet laut ihrer Definition ausschließlich das Töten von Menschen, während man unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen Drogen hinter dem Steuer eines Fahrzeugs sitzt. Die Kategorie fällt ein wenig aus der Reihe, denn sie ist die einzige, bei der es nicht um ein vorsätzliches Verbrechen geht.
Diese Typologie zeigt, dass die Situationen, in denen Tötungsdelikte begangen werden, oft sehr banal sind. Die meisten Menschen, die jemanden ermordet haben, tun dies nie wieder. Die Wiederholungsraten bei Mord, auch als Rückfälligkeitsraten bekannt, sind sehr niedrig, was nur zu einem Teil daran liegt, dass man für seine Tat lange im Gefängnis sitzt. Untersuchungen zur Bewertung der Rückfälligkeit – das heißt zum Begehen eines weiteren Mordes – haben ergeben, dass die Raten zwischen ein und drei Prozent liegen. Quelle: „Böse“ von Julia Shaw
Von Hans Klumbies