Das Absolute ist relativ

Wozu dient Strafrecht? Sogenannte absolute Theorien beantworteten das früher mit Verweisen auf überhistorische, natürliche und religiöse Prinzipien. Dazu zählten Vergeltung, Ausgleich von Schuld und anderes. Thomas Fischer stellt fest: „Solche Theorien halten der Überprüfung nicht stand, weil sie sich auf einer rein begriffsfixierten Ebene bewegen. Sie nehmen die Worte und Begriffe für die Wirklichkeit.“ Denn was zum Beispiel Schuld und was Ausgleich ist, ist ja gerade die Frage. Und diese ist nicht absolut zu beantworten, sondern nur nach Maßgabe der jeweils historisch geltenden Rationalität. Das „Absolute“ in der menschlichen Zivilisation ist, wie die Geschichte lehrt, in jeder Hinsicht relativ. Die Gerechtigkeit durch das Strafrecht muss man daher anders definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

Die Strafe hat eine Funktion der Abschreckung

Sie muss definiert werden als soziales Phänomen, Ergebnis und Struktur einer Verständigung zwischen wirklichen Menschen, nicht zwischen Ideen. Strafrecht – allgemeiner: formelle Sanktionierungen von abweichendem Verhalten – dient dazu, abweichendes Verhalten zu verhindern. Das ist banal und kompliziert zugleich. Es bedeutet aber vor allem, dass System des Strafens nicht für die fünf Prozent einer Gesellschaft besteht, die man als abweichend auswählt und sanktioniert. Sondern es besteht für die Gesamtheit der Bevölkerung.

Thomas Fischer erklärt: „Strafe ist ein formeller Teil sozial negativer Sanktionierung von als abweichend angesehenem Verhalten.“ Es liegt auf der Hand, dass eine solche Sanktionierung erfolgt, um das bestrafte Verhalten zu verhindern. Die Mitglieder der Gesellschaft sollen es auch Furcht vor Strafe unterlassen, Handlungen zu begehen, die mit Strafe bedroht sind. Diese Funktion nennt man Abschreckungsfunktion oder negative Generalprävention. Negativ, weil sie auf das Unterlassen, also ein Nicht-Handeln abzielt. Generell, weil sie nicht auf eine bestimmte Person, sondern auf einen allgemeinen Abschreckungseffekt setzt.

Die Rache gilt als eher unzivilisiert

Dieser Effekt steht in der öffentlichen Diskussion oft weit im Vordergrund. Denn er vermeidet einen Rückgriff auf reine Motive der Rache des Strafens, die man in der Bundesrepublik nur noch unmittelbar Betroffenen zugesteht. Öffentlich gelten sie aber als eher unzivilisiert, weil er eine fast beliebige Spekulation über die Wirkung von Strafandrohungen erlaubt. Dies hat allerdings erhebliche kommunikative Vorteile. Vor allem, wenn es darum geht, die eigene Überzeugung zu demonstrieren, dass Verbrechen nicht begangen werden sollten, und die eigene Entschlossenheit, dieses Ziel zu erreichen.

In der schlichtesten, aber leider häufigsten Version liegt dem ein quantitatives Konzept zugrunde. Je höher die Strafdrohung, desto geringer ist die Neigung, die betreffende Straftat zu begehen. Auf dieser Grundlage beruht die endlos wiederkehrende rechtspolitische Forderung, gesetzliche Strafdrohungen zu erhöhen. Thomas Fischer betont: „Dieses Konzept ist nicht von vornherein falsch, aber viel zu banal.“ Differenzierungen im Strafrahmen eines Gesetzes habe häufig eher systematische als kriminologische Plausibilität. Quelle: „Über das Strafen“ von Thomas Fischer

Von Hans Klumbies