Aggression ist eine Reaktion auf negative Erfahrungen

Wenn man das Verhalten eines Menschen verstehen will, dann sind besonders seine Motive interessant. Das gilt auch für das Thema Aggression. So ist denn das „Tatmotiv“ ein fester Begriff in jedem Krimi und ebenso bei der Klärung und juristischen Bewertung realer Verbrechen. Die Frage nach Motiven betrifft aber nicht nur schwerwiegende Taten, sondern das gesamte Spektrum der Aggression. Auf die Frage, warum sich Menschen aggressiv verhalten, gehen die Antworten überwiegend in eine Richtung. Hans-Peter Nolting erläutert: „Aggressives Verhalten ist eine Reaktion auf negative Erfahrungen. Genannt werden unter anderem: Überforderung, Einengung, Armut, vor allem aber negative Erlebnisse mit anderen Menschen, zu Beispiel egoistisches, abweisendes, verständnisloses Verhalten.“ Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

Soziale Frustrationen sind häufig Auslöser von Aggressionen

In eine ähnliche Richtung weist ein Begriff, der in der Geschichte der Aggressionsforschung eine prominente Rolle spielt: Frustration. Der Frustrationsbegriff bezieht sich auf vielerlei negative Erfahrungen und die damit verbundenen Befindlichkeiten. Gegenüber der ursprünglichen engen Bedeutung ist das eine deutliche Ausweitung des Begriffs. Hans-Peter Nolting erklärt: „Gemäß dem lateinischen Ursprung des Wortes (frustra = vergebens) war jedenfalls in der Forschung zunächst nur gemeint, dass eine Aktivität zur Erreichung eines Zieles durch ein Hindernis gestört wird.“

Das Scheitern an einem Hindernis ist als Ursache einer Aggression relativ unbedeutend. Andere Arten negativer Erfahrungen sind viel bedeutsamer, nämlich solche, die mit einer unerfreulichen Behandlung durch Mitmenschen zu tun haben; man könnte sie soziale Frustrationen nennen. Hans-Peter Nolting stellt fest: „Das wichtigste Stichwort ist hier: Provokation. Das können körperliche Angriffe sein, aber auch Beleidigungen und andere Verletzungen des Selbstwertgefühls. Weiterhin sehr bedeutsam ist unfaires und ungerechtes Verhalten anderer, zum Beispiel ein Betrug oder eine Benachteiligung.“

Verstöße gegen die Regeln des Zusammenlebens erzeugen Aggressionen

Aggressiv reagiert ein Mensch in erster Linie auf Verstöße gegen die Regeln des Zusammenlebens. In solchen Fällen spricht man auch gerne von einem zwischenmenschlichen Konflikt, und aggressives Verhalten ist eine Form des Umgangs mit dem Konflikt. Aber nicht jeder Konflikt ruft ein aggressives Verhalten hervor. Ein Konflikt liegt vor, wenn unvereinbare Wünsche oder Absichten aufeinandertreffen, wenn zum Beispiel Ehepartner ganz unterschiedliche Urlaubswünsche haben. Doch auch ohne ein böses Wort können sie sich auf eine Lösung verständigen.

Ebenso ist es möglich, dass jemand auf provozierendes Verhalten ganz gelassen reagiert. Damit aggressives Verhalten auftritt, muss also zu einem Konflikt, einer Provokation oder wie man den Anlass auch nennen mag, noch etwas hinzukommen. Es liegt für Hans-Peter Nolting nahe, hier die Emotion des Ärgers ins Spiel zu bringen und die These aufzustellen: „Aggressives Verhalten tritt nur dann auf, wenn man sich über eine negative Behandlung beziehungsweise über einen Konflikt ärgert.“ Quelle: „Psychologie der Aggression“ von Hans-Peter Nolting

Von Hans Klumbies