Frank Trentmann erforscht den Kult ums Neue

Auf die Frage, warum die meisten Menschen so viel mehr konsumieren, als sie benötigen, antwortet Frank Trentmann: „Konsum ist heute ein wesentliches Merkmal unseres Lebens. Unsere Identität wird zum großen Teil davon bestimmt, was und wie wir konsumieren. Wir drücken uns über Dinge aus, die wir kaufen.“ Dass es solche Massen von Dingen sein müssen, hängt vor allem damit zusammen, dass viele Menschen ihre Identität ständig verändern – oder sie glauben dies zumindest. Diesen Wandel wollen sie mitteilen und kaufen sich daher etwas Neues. Was beispielsweise eben noch das Lieblingskleid war, wird mit folgender Begründung aussortiert: „Das bin doch nicht mehr ich. Also besorge ich jetzt etwas anderes, das ich für passend erachte.“ Der Geschichtsprofessor Frank Trentmann forscht und lehrt seit dem Jahr 2000 am Birkbeck College der University of London.

Das Italien der Renaissance war ein früher Vorreiter des Konsums

Frank Trentmann vertritt die These, dass viele Menschen heutzutage ihre Identität häufiger ändern als in der Vergangenheit: „Heute nun wollen wir uns ständig neu entwerfen, und deshalb wechseln wie die Mode, aber auch Möbel, Reiseziele oder Essensvorlieben so häufig.“ Sie lassen sich dabei auch von der Industrie und der Werbung dazu verführen. Denn natürlich versuchen Unternehmen, Bedürfnisse zu wecken. Doch entscheidend ist, das viele Menschen heute ein viel dynamischeres Leben führen als früher: Es eröffnet immer neue Optionen zum Konsum.

Es ist allerdings kein neues Phänomen, dass viele Menschen so viel mehr kaufen, als sie brauchen. Aus alten Inventurlisten weiß Frank Trentmann, dass schon im 15. Jahrhundert Handwerker in Siena oder Florenz in ihrer Truhe, der sogenannten Cassa – Schränke gab es damals noch nicht –, 10 bis 20 Hemden hatten, Mäntel mit verschiedenen Kragen, manche aus Pelz, feines Tafelsilber mit vergoldeten Messern, Teppiche und Musikinstrumente. Das Italien der Renaissance war ein früher Vorreiter des Konsums, ebenso das späte Ming-China zur selben Zeit.

Die Baumwolle war das erste wahrhaft globale Produkt des Massenkonsums

An beiden Orten genossen nicht nur die Elite, sondern bereits auch Händler, Handwerker und einige Bauern ansehnlichen Wohlstand. Auf die Frage, ob der Staat damals schon den Massenkonsum gefördert hat, antworte Frank Trentmann: „Im Gegenteil, der Staat hatte überhaupt kein Interesse daran, dass die Bürger Edelmetall für Güter aus dem Ausland ausgaben. Geld war knapp, die Abwanderung von Ressourcen eine ständige Sorge. Denn dann fehlte es zur Finanzierung des nächsten Krieges oder der lokalen Wirtschaft.“

Erst im 17. und 18. Jahrhundert öffnete sich der Staat gegenüber Konsum und Luxus, vor allem in Großbritannien und den Niederlanden entwickelte sich eine dynamische Kaufkultur. Der Handel wurde von diesen Nationen nicht mehr als Nullsummenspiel betrachtet, sondern als Prozess, der für alle von Vorteil war. Der Warenstrom nahm extrem zu. Der Moralphilosoph Adam Smith erklärte 1776 den Konsum zum „Ziel und Zweck aller Produktion“. Dabei war die Baumwolle das erste wahrhaft globale Produkt des Massenkonsums: leicht, bunt und exotisch. Quelle: Der Spiegel

Von Hans Klumbies