Viele sehnen sich nach Einzigartigkeit

Valentin Groebners neues Buch „Bin ich das?“ ist ein Blick in den historischen Spiegel. Er beantwortet darin unter anderem die Frage, woher der Wunsch vieler Menschen nach demonstrativer Einzigartigkeit kommt. Dabei recherchiert er leichtfüßig über den großen Wunsch, jemand ganz Besonderes zu sein – und das allen anderen auch zu zeigen. Valentin Groebner schreibt: „Reden über sich selbst als öffentliche Intimität ist im 21. Jahrhundert nicht nur Merkmal von Teilhabe und Offenheit, sondern gilt als unverzichtbar für privaten und beruflichen Erfolg.“ Geht das? Um welchen Preis? Davon handelt sein Buch. Valentin Groebner lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Renaissance an der Universität Luzern. Seit 2017 ist er Mitglied in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

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Der Schein ist Sein

In seinem neuen Buch „Fiktionen“ entwickelt Markus Gabriel eine realistische Philosophie der Fiktionalität. Diese legt zugleich die Fundamente einer Theorie der Objektivität der Geisteswissenschaften. Markus Gabriel hat damit nicht mehr und nicht weniger als ein philosophisches Grundlagenwerk geschaffen. Im Zentrum seines Denkens steht die „Selbstbildfähigkeit“ des Menschen. Diese wird fundamental sozial reproduziert, ohne deswegen sozial reproduziert zu sein. Fiktionen sind laut Markus Gabriel wirksame Prozesse der Selbstdarstellung der geistigen Lebensform des Menschen. Um dies anzuerkennen muss der anthropologischen Zentralstellung der Einbildungskraft zu ihrem Recht verholfen werden. Auf diese Weise überwindet der Neue Realismus von Markus Gabriel den falschen Gegensatz von Sein und Schein. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Unterschiedliche Aufgaben verlangen differenzierte Rollen

Interaktionen können gelingen oder misslingen, im Beruf ebenso wie im Privaten. Kleine Fehler oder Unachtsamkeiten können große emotionale Konsequenzen nach sich ziehen oder zu peinlichen Momenten führen. Jens Weidner schreibt: „Wir alle müssen sehr unterschiedliche Rollen im Leben beherrschen, denn „Wir spielen alle Theater“, wie schon der berühmte amerikanische Interaktionist Erving Goffman in seinem gleichnamigen Buch zur Selbstdarstellung im Alltag postulierte.“ Er meinte damit aber kein Theaterstück, sondern die Flexibilität, unterschiedlichen Rollenerwartungen gleichzeitig gerecht zu werden. Er beschäftigte sich mit den Fallstricken der Asymmetrie der Kommunikation, die man umgehen sollte. So kann der Versuch des Chefs, durch Selbstironie einen Konflikt zu entschärfen, beim Gegenüber als unerträgliche Selbstgefälligkeit ankommen oder als gelungener Humor. Nur weiß man das erst hinterher. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Die Präsentation des wirklichen Ichs macht sehr verletzlich

Die meisten Menschen haben sich schon immer für die Welt um sich herum herausgeputzt, ihre besten Seiten herausgekehrt und ihre Fehler, so gut es ging, versteckt oder getarnt. Und so machen sie es auch heute noch in hohem Maß. John Bargh erläutert: „Jeder, der schon einmal auf Facebook, Instagram oder einem anderen sozialen Medium war, weiß, dass die Leute viel Zeit und Sorgfalt darauf verwenden, Upgrade-Versionen ihrer selbst zu präsentieren, das Bild eines Lebens zu zeichnen, das perfekter erscheint, als es tatsächlich ist.“ Manchmal sind diese „Personen“ rein fiktiv, wie etwa beim sogenannten Catfishing. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

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Manche Menschen gieren förmlich nach Aufmerksamkeit

Das Bedürfnis wahrgenommen zu werden, kann einen Menschen weit bringen. Babys zum Beispiel schreien sich fast die Lunge aus dem Hals, nur damit Mutter oder Vater zu ihrem Bettchen treten. Georg Milzner nennt ein anderes Beispiel: „Wer in der Schulklasse übergangen wird und keine herausragende Begabung hat, mit der sich Eindruck schinden lässt, der wird vielleicht zum Klassenclown, weil Gelächter immer noch besser ist, als ignoriert zu werden.“ In der Pubertät dann stellen manche schon etwas an, nur um sicherzustellen, dass sie auch etwas abkriegen von jener Aufmerksamkeit, die viele Menschen scheinbar so dringend brauchen. Manche von ihnen gieren förmlich nach Aufmerksamkeit. Schon als Jugendliche stellen sie durch ironische Bemerkungen sicher, dass sie wahrgenommen werden. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Bei der Ernährung geht es oft um Moral und Werte

Im Zeitalter der nahezu unendlichen Optionen, in dem man ohne feste Vorgaben von Tradition und sozialen Selbstverständlichkeiten seinen Alltag und seine Essgewohnheiten selbst bestimmen und mit Sinn erfüllen muss, wird jedoch für viele Menschen, die nach Sinn und Halt suchen, beispielsweise die Ernährung zum immer wiederkehrenden Gesprächsstoff. Ernst-Dieter Lantermann erläutert: „Im privaten Kreis genauso wie im Restaurant, auf Partys und in der Kantine gerät man rasch in Diskussionen über das richtige und das falsche Essen.“ Dabei geht es nur selten um den Geschmack, sondern meist um Krankheit und Gesundheit, um die Frage, wie man leben will und leben soll, also um Moral und Werte, Leben und Verantwortung. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Das exzentrische Selbst spiegelt sich in anderen Menschen

Der Psychologe Martin Altmeyer schreibt: „Identität ist das seelische Hauptproblem unserer Zeit. Das individualisierte Ich strebt nach Selbstvergewisserung.“ Was der Frankfurter Soziologe und Psychologe Martin Dornes als postheroische Persönlichkeit bezeichnet, nennt Martin Altmeyer das „exzentrische Selbst“, ein neuer Sozialcharakter, der stärker denn je dazu neigt, sich anderen Menschen zu zeigen. Dabei geht es um mehr als gewöhnliche Eitelkeit. Martin Altmeyer erklärt: „Wer in dieser Welt unterwegs ist, tut das nicht als Einzelgänger, sondern sehnt sich nach einem sozialen Echo, möchte sich gespiegelt sehen. Er zeigt sich letzten Endes, um zu erfahren, was er kann, wer er ist und welche Bedeutung er für andere hat.“ Die mediale Selbstdarstellung ist quasi zu einer Art Existenzbeweis geworden. Die Identitätsformel der digitalen Modere lautet: Ich werde gesehen, also bin ich.

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Jeder möchte einzigartig und authentisch sein

Im Titelthema des aktuellen Philosophie Magazins 03/2016 wird die Frage beantwortet: „Wer ist mein wahres Selbst?“ Fast jeder möchte echt sein, einzigartig erscheinen und authentisch wirken. Gerade in den Zeiten der digitalen Selbstdarstellung zum Beispiel bei Facebook ist der Übergang von der gekonnten Verstellung in die dauerhafte existenzielle Entfremdung fließend. Auch der Alltag ist bei genauerer Betrachtung eine Abfolge von Situationen, in denen man eine bereits vorbestimmte Rolle möglichst überzeugend zu spielen hat. Die Frage „Wer bin ich wirklich?“ wird durch den tiefen Wunsch hervorgebracht, das eigene Leben selbst zu führen, anstatt geführt zu werden. Der Philosoph Byung-Chul Han kritisiert in seinem Beitrag den „Terror des Andersseins“. Im Kapitalismus wollen sich vielen Menschen von der Masse unterscheiden. Doch gerade die Abgrenzung und der permanente Vergleich führen laut Byung-Chul Han in die Hölle der Konformität.

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Die Generation Ego sehnt sich vor allem nach Sicherheit

Das Bild der Jugend von heute ist sehr vielfältig – nie war eine Generation so inhomogen wie in der Gegenwart. Was die jungen Menschen aber eint, ist die Sehnsucht nach Sicherheit und der Rückzug in eine hedonistische Welt: Unterhaltung, Freizeit und Freunde stehen auf der Hitliste der Prioritäten ganz oben. Die Soziologin und Jugendforscherin Martina Schorn bestätigt diesen Trend: „Junge Menschen sind mit Krisenszenarien konfrontiert. Dazu gehören Kriege, Terror, das Platzen der Internet-Blase, Unsicherheiten auf dem Finanzmarkt und neue Herausforderungen in der Arbeitswelt.“ Dazu kommen die häufig hohen Leistungsanforderungen der Eltern, die unter anderem ein Grund dafür sind, dass sich viele später nicht auf eine Karriere konzentrieren, sondern ein ausgewogenes Privatleben bevorzugen. Mehr als 50 Prozent der 14- bis 19-Jährigen sagen, dass sie in der Arbeit, in der Schule oder während des Studiums starkem Druck ausgesetzt sind.

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Jon Fosse will sich allen Ernstes vom Theater verabschieden

Norwegens berühmtester lebender Schriftsteller ist zweifellos Jon Fosse. Selbstdarstellungsfeiern und Wortexzesse sind ihm dennoch fremd. Jon Fosse ist beim Schreiben eher einer, der bescheiden auftritt und seine scheinbar kargen Sätze ganz genau auf den Punkt bringt. Literaturkritiker bezeichnen ihn als den größten Sprachminimalisten der nördlichen Hemisphäre. In seinen Dramen, die karg an Worten sind, setzt er Pausen und Auslassungen als wichtiges Stilmittel. Seine Romane sind durchzogen von den Grundgefühlen Melancholie und Einsamkeit. Jon Fosse liebt das Schweigen, den Wind, die Nacht und das Meer. In allen seinen Texten spielen sie eine wichtige Rolle. Und immer auch geht es in seinen Werken um das große Ungenannte, um erste und letzte Fragen, um die Liebe und den Tod, mit dem jedes Leben ein Ende findet.

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Das Leben ist heute nicht besser oder schlechter als früher

Auch im Binnenraum der technischen Zivilisation, der ihn mehr und mehr als sekundäre Ersatznatur umgibt, bleibt der Mensch doch immer der primären Natur verhaftet. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist zwar außerordentlich, aber dabei wird häufig übersehen, dass offenbar nur unter Einhaltung bestimmter Minimalbedingungen die Kümmerform seines Existierens überschritten wird. Alexander Mitscherlich erklärt: „Die Geschichte der Menschheit ist, wie die Ethnologie lehrt, voll von Beispielen unproduktiver, eben kümmerlicher Gesellungsformen, deren mentales Niveau sehr bescheiden blieb.“ Er macht dafür vornehmlich die unzureichende oder einseitige Ernährungsbedingungen, klimatische Extreme oder natürliche Feinde verantwortlich. In der industrietechnischen Natur wirken andere feindliche Belastungsfaktoren, die eine freie Entwicklungsmöglichkeit der Menschen schleichend, aber deshalb nicht weniger gravierend hemmen und zu typischen Verkümmerungen führen können.

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